Die Dose macht die WeltstadtArtistin

Sprayer Morgan über Auftragsarbeiten und Desperado-Aktionen

Shell, Coca-Cola, Ikea und Co. überschwemmen den öffentlichen Raum unserer Städte – unbeauftragt von den jeweiligen Bevölkerungen -mit ihren Logos. Oft sogar penetrant beleuchtungsterroristisch, immer unübersehbar. Jeden Tag rücken Leute mit Sprühdosen aus, um das Recht der Geldlosen zu reklamieren, den öffentlichen Raum ebenso unbeauftragt mit ihrer Art von Logos zu überschwemmen: den Tags und den Pieces der Graffiti-Szene. Warum gilt das eine als anständig und das andere als ungehörig, verworfen und unartig? Der Sprayer, der sich Morgan nennt, gewährt Augustin-LeserInnen Einblicke in die Wiener Abteilung eines faszinierenden subkulturellen Weltweit-Phänomens.Eine quasi autobiografische Logik brachte Morgan dazu, die Augustin-Redaktion zu besuchen. Als einer, der unter anderem in Heimen aufgewachsen ist, die fälschlicherweise Erziehungsheime genannt wurden, betrachte er sich der Augustin-Seite der Gesellschaft zugehörig, meint Morgan. Urarg, eine Urgretzn sei er als Kind und Jugendlicher gewesen, grinst der „Urwiener“ (Eigendefinition), der heute auf seine Weise dazu beiträgt, dass das Stadtbild Wiens weltstädtisch geprägt bleibt.

Und so begann’s: „Vor zehn Jahren hab ich in einer Zeitung etwas über das Sprayen gelesen und bin wenig später zufällig an der Hall of Fame beim Flex vorbeigegangen.“ Halls of Fame (engl. Ruhmeshallen) sind im Graffiti-Jargon Flächen, die in der Regel legal zu besprühen sind, auf denen die WriterInnen also Zeit genug haben, um qualitativ hochwertige Pieces anzubringen. In Wien gibt es mittlerweile relativ viele legale Flächen; SprayerInnen haben das Stigma des „Vandalismus“ weitgehend verloren – was sie freilich nicht vor Verfolgung schützt, wenn sie ihre Kunst auf Flächen ausüben, die die betroffenen Eigentümer durchaus nicht zum Geschenk an das sprühende Volk erklärt haben. Einer der Gründe, warum die KünstlerInnen auf Anonymität Wert legen und sich Pseudonyme zulegen – Morgan zum Beispiel. Pieces nennen die SprayerInnen ihre Bilder an den Wänden.

Den Buchstaben Eleganz verleihen

Morgan, der sich damals noch nicht Morgan nannte, hatte großen Respekt vor dieser Straßenkunst und griff bald selbst „zur Dose“. Das geschah im Jahr 1998 oder so. Vor ihm hatten die ersten zwei, drei Graffiti-Generationen bereits einen Pool von Bildern geschaffen, an denen sich Newcomer künstlerisch orientieren konnten; Morgan hatte sich neben den Wiener auch die Styles von Berlin zum Vorbild genommen.

Style ist einer der Schlüsselbegriffe in der Sprache des Milieus. Jeder Sprayer, jede Sprayerin versucht, einen eigenen Stil zu entwickeln, den Bildern etwas individuell Charakteristisches zu verleihen.

Bevor Morgan durchstartete, um den Morgan-Style zu entwickeln, verlor er temporär das Interesse am Sprühen. Mit Haut und Haaren lieferte er sich der Techno-Szene aus, wie ein Süchtiger, wie er heute sagt, habe er sich von Rave zu Rave gestürzt. Nach vier, fünf Jahren griff er erneut zur Dose – und blieb ihr treu.

„In meiner ersten Periode hab ich ziemlich viel abgekupfert. Inzwischen entwickle ich den eigenen Weg. Ich denke, ich habe den Morgan-Style gefunden. Den ich aber stets perfektionieren will. Meine Bilder muss man sich so vorstellen: Es sind Buchstaben, die Emotionen ausdrücken, Liebe oder Hass. Sie zu perfektionieren heißt zum Beispiel, ihnen Eleganz zu verleihen. Es sind die Buchstaben, die das Wort Morgan bilden. Ich versuche also, für diesen Schriftzug eine unverwechselbare Form zu finden. In zehn Jahren werde ich wohl immer noch daran feilen“, erklärt Morgan seinen inneren Motor.

Geld darf nicht ins Spiel kommen

Style-geübte Menschen können solche Schriftzüge tatsächlich auch entziffern, andere wiederum haben die größten Schwierigkeiten beim Dechiffrieren des Buchstabensalats, der aus geschnörkelten Outlines und den bunten Fillings besteht, den flächigen, farbigen Füllungen zwischen den äußeren Linien.

Auch wenn ein Piece genial ausfällt – es ist meist nicht von langer Dauer. Manchmal ist es schon am nächsten Tag, manchmal nach einem Monat übermalt. Gemessen an der Zahl der Halls of Fame gibt es zu viele SprayerInnen in Wien; mit ihrer Vermehrung geht die Tendenz zur Respektlosigkeit gegenüber den Werken der anderen SprayerInnen einher. „Ich selber hätte mich vor einigen Jahren noch nicht getraut, gelungene Bilder zu übermalen. Heute ist das selbstverständlich geworden“, beschreibt Morgan das Fressen und Gefressen-Werden in der Welt der Spraydosen-Artisten.

Viele junge, vor allem neu einsteigende SprayerInnen lehnen Auftragsarbeiten ab. Morgan hat keine Bedenken, wenn die Aufträge von Menschen kommen, die er schätzt. Dabei gehe es ihm nicht um den Verdienst: „Da kann mir einer Wahnsinnsgagen zahlen – wenn er Vorstellungen über das Bild hat, die mir zuwider sind, lehne ich den Auftrag ab. Das Geld verdiene ich durch meinen Job. Graffiti ist ein anderes Bier. Es ist mein Hobby.“ Garagentore, Wohnzimmerwände oder Autos – alles hat Morgan schon dekoriert. „Die Leute kommen auf die schrägsten Ideen. Eine Fliege, die bei Tempo 140 auf ein Auto aufklatscht, sollte ich auf einen Fiat Uno malen. Das war der Wunsch eines Freundes. In solchen Fällen sag ich: Zahlt mir die Dosen und gebt mir ein kleines Trinkgeld. Ich mach das nur für Leute, die mir sympathisch sind.“ Das Geld fürs tägliche Brot, wen’s interessiert, kommt aus dem Maschinenbau. In der Firma, in der er nicht als Morgan bekannt ist, stellt Morgan Hightech-Maschinen ein.

Die Graffiti-Kunst zu illegalisieren, während das, was uns wirklich schadet, gefördert wird, hält Morgan für ziemlich verrückt: „Wenn die Industrie oder die vereinigten Autofahrer die Luft verpesten und die Umwelt zerstören, redet man nicht von Vandalismus. Dagegen gilt als Vandale, wer ein buntes Bild im öffentlichen Raum hinterlässt. Das will mir nicht einleuchten. Ich rede von bunten Bildern auf vorher grauen, kahlen Wänden, die der Öffentlichkeit gehören. Warum soll es kriminell sein, auf solchen Flächen Kunst zu machen? Wessen Interessen werden da verletzt?“

Morgans F13-Graffiti-Aktion

Wir fragen ihn, ob er zu jenen gehört, die den Ehrgeiz entwickeln, ihr Logo zu einem der in der Stadt am weitesten verbreiteten Sprayer-Signaturen zu machen; ob er die Stadt morganisieren wolle. „Jein“, ist die erste Antwort. „Ich versuche, Morgan weltweit zu verbreiten“, sagt Morgan nach einer Nachdenkpause. „Aber mit Vorsicht“, fügt er hinzu.

Morgan ist keiner von denen, die kommen und gehen. Er hat Pläne, in einer der Weltmetropolen der Street Art, in Berlin, sich um eine Dimension weiterzuentwickeln. Und Morgan hat Würde und ein Konzept. Er ist Sprayer, „weil es Underground ist und weil es hier nicht ums Geld geht“. Wenn kein Aspekt von Underground mehr im Sprayen steckt, wenn der Kulturbetrieb das Sprayen inhaliert, wenn sich die Museen um die SprayerInnen reißen und wenn es auch beim Sprühen nur noch ums Geld geht, dann wäre der Punkt erreicht, an dem Morgan seine Identifikation mit der Graffiti-Kultur in Frage stellen müsste. Er jedenfalls werde sich „nirgends eingliedern“. – „Da könnt‘ ich ja gleich in die Politik gehen.“

Und Morgan ist kein Schönwettersprayer. In Berlin habe er einmal bei minus 20 gearbeitet: „Da haben die Dosen nicht funktioniert. Meine Finger waren violett. Es war die Nacht vom 31. Dezember 2005 zum 1. Jänner 2006.“

Morgan plant eine Graffito-Action im Rahmen des F13-Tages am 13. April. Unsere Neugier bezüglich Form und Inhalt will Morgan partout nicht befriedigen. „Lasst euch überraschen. Ich sage nur, dass es sicher sieben, acht Meter lang wird. Und wenn ihr mir eine Leiter zur Verfügung stellt, wird es in fünf Meter Höhe gemalt.“ Zum Ort gibt es weniger rätselhafte Angaben. Eine der Halls of Fame im Bereich Flex und Rossauerlände wird zum Wahrzeichen der F13-Bewegung werden, zumindest eine zeitlang, denn dass es übermalt wird, ist so sicher wie der Donner nach dem Blitz.