Die Holzkirchen in der Region Maramures‚ sind gewiss schön. Doch deswegen sind wir nicht nach Rumänien gereist. Spannend finden wir die verlassenen Industrieruinen.
TEXT & FOTOS: WENZEL MÜLLER
Wir sind auf dem Weg nach Copșa Mică, einige Kilometer sind es noch, doch am Horizont zeichnet sich schon das, nun ja, Wahrzeichen dieses rumänischen Städtchens ab: mächtig in den Himmel ragende Fabrikschlote. Jetzt stoßen sie keine Schadstoffe mehr aus und erinnern nur noch daran, dass die Produktion hier einmal auf Hochtouren lief. Copșa Mică, rund 50 km von Sibiu (auf Deutsch: Hermannstadt) entfernt, in Siebenbürgen, war unter Nicolae Ceaușescus Herrschaft ein zentraler Industriestandort des Landes, mit einer Buntmetallhütte, die die heimische Wirtschaft mit Metallen unterschiedlicher Art versorgte, und einer Rußfabrik gleich daneben, die eine wichtige Rolle in der Reifenproduktion spielte.
Die schwarze Stadt.
Tausende Menschen hatten in den beiden Fabriken Arbeit – aber sie hatten auch schwarze Häuser. Schwarz von den Schadstoffen, die durch die Fabrikschlote nur so hinausgejagt wurden. Das Plansoll galt es zu erfüllen, für Luftfilter und andere Umweltschutzmaßnahmen fehlte es an Verständnis und der notwendigen Technik. Die Beschäftigten konnten sich schon nach 20 Jahren Arbeit in die Pension verabschieden. Dann waren sie ohnehin am Ende ihrer Kräfte. Der tägliche Kontakt mit den Schwermetallen und dem Ruß ließ sie vorzeitig altern. Es muss die Hölle gewesen sein. Auf YouTube kann man einen Dokumentarfilm über diese Stadt sehen, er ist von 1991 – damals, schon nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, waren die beiden Fabriken noch für einige Zeit in Betrieb –, und trägt den aussagekräftigen Titel Die schwarze Stadt. Der Dreck fiel hier buchstäblich vom Himmel. Einmal sehen wir, wie ein Einwohner das Fenster seiner Wohnung öffnet und mit der Hand über den Fenstersims fährt: Ein schmieriger schwarzer Film bleibt an seiner Handinnenfläche kleben. Die Kinder ließ man aus Gesundheitsgründen erst gar nicht ins Freie – trotzdem waren sie fast alle krank. Wie überhaupt die gesamte Einwohner_innenschaft. Der eine Liter Milch, den die Fabrikarbeiter_innen pro Tag bekamen, schützte nicht wirklich vor Vergiftung. Einfach wegziehen war keine Option – kein Unternehmen hätte diese Arbeiter mit ihren zahllosen Erkrankungen genommen. Copșa Mică hatte es zu zweifelhafter Bekanntheit geschafft – als die «Giftküche Europas».
Inzwischen ist es ruhig geworden um den Ort. Die Fabriken sind stillgelegt, 80 Prozent der rumänischen Industrie musste nach dem Ende der kommunistischen Ära schließen, da sie dem weltweiten Wettbewerb nicht gewachsen war. Wer heute durch Copșa Mică spaziert, meint es mit einem gewöhnlichen rumänischen Ort zu tun zu haben. Keine Spur mehr von den einstigen Verwüstungen, jedenfalls nicht auf den ersten Blick, die Häuser haben wieder eine helle Fassade. Auf der Straße alte Leute, nicht alle Einwohner_innen hat der frühe Tod hinweggerafft. Es wird aber wohl noch jede Menge Gift in der Erde lagern.
Zutritt verboten.
Wir fahren zu dem einstigen Industriegelände. Leerstehende Fabriken mit zerborstenen Scheiben sind ein vertrauter Anblick in Rumänien. Sie werden einfach zurückgelassen, selbst für den Abriss scheint das Geld zu fehlen, oftmals erobert sich die Natur diese Orte zurück. Anders in Copșa Mică. Das verlassene Gelände von Metallhütte und Rußwerk ist eingezäunt und wird bewacht. Zutritt verboten. Schade, zu gerne hätten wir uns die Fabriken aus nächster Nähe angesehen. So bleibt nur der Blick über und durch den Zaun. Es ist früher Abend, die Sonne geht unter. Im Gegenlicht zeichnen sich die Gebäude als Silhouette ab. Mit dem Wissen, dass es sich hier um eine der größten Dreckschleudern der jüngsten Vergangenheit handelt, stellt sich ein leichter Schauder ein. Ein Schauder, den wir, ähnlich wie bei einem Horrorfilm im Kino, zugegebenermaßen auch etwas genießen. So sieht Untergang aus. Auf Reisen schätzen wir, Dinge zu sehen und zu erleben, die es zu Hause nicht gibt.
Die Holzkirchen in der Maramureș, die Wehrkirchen in Siebenbürgen oder die Klöster mit Außenfresken in der Bukowina: Rumänien hat jede Menge Sehenswürdigkeiten zu bieten. Doch es müssen ja nicht immer die klassischen Reiseziele sein, der gewöhnliche Alltag ist spannend genug, und am reizvollsten sind ohnedies die unerwarteten Erlebnisse, jene Begebenheiten, mit denen man gar nicht rechnet, egal, ob der eher dunklen oder lichten Art.
Ein freundlicher «Patrone».
Das Kontrastprogramm zur düsteren Fabrik erleben wir ein paar Tage später in Vadu Crișului. Wir kaufen Brot in einer Bäckerei, die etwas abseits in einer Seitengasse liegt. Oder besser gesagt: Wir wollen Brot kaufen, doch zunächst heißt es für uns – warten. Das Fenster, eine Art Durchreiche, durch die der Verkauf erfolgt, ist geschlossen. Wir warten und warten, niemand kommt, wir gehen um das Gebäude herum, blicken durch eine geöffnete Tür und entdecken eine alte Backstube. Eine Welt wie von anno dazumal! Als eine Verkäuferin schließlich erscheint und wir Brot kaufen können, fragen wir, ob wir die Backstube besichtigen dürften. Die Verständigung ist schwierig, wir können kein Rumänisch, die Verkäuferin kein Englisch, doch irgendwie versteht sie, was wir wünschen. Sie sagt etwas von «Patrone», entfernt sich und kommt bald darauf mit ihrem Chef zurück, einem freundlichen Herrn, der Englisch spricht und uns in seine Backstube einlädt.
Draußen hat es über 30 Grad Celsius, in der Backstube gefühlte 50. Ein Mann und zwei Frauen sind hier beschäftigt, alle im üblichen Bäckergewand, das Haar unter eine Haube gesteckt. Der Mann nimmt Haltung an und salutiert, über das ganze Gesicht grinsend. Ein Späßchen zur Begrüßung. Wir platzen in ihre Arbeit, werden aber willkommen geheißen.
Kein einziges Schweißtröpfchen.
Alles helle Räume, der Chef führt uns herum. Hier wird der Ofen mit Holz befeuert, dort der Teig in Bottichen geknetet. Stück für Stück kommen die Laibe in den Ofen. Alles Handarbeit. Wir wissen zwar nicht, wie in Österreich üblicherweise Brot gebacken wird, doch Handarbeit in diesem Ausmaß wird heute sicherlich nicht mehr praktiziert. Seltsam: Während uns hier drinnen der Schweiß nur so in Bächen herunterläuft, zeigt sich bei den Beschäftigten kein einziges Schweißtröpfchen. Wie machen die das nur? Alles nur eine Frage der Gewöhnung?
Die Bäckerei muss sich um ihre Zukunft bestimmt keine Sorgen machen. Sie hat sich keinem globalen Wettbewerb zu stellen, und die Menschen werden wohl immer nach Brot verlangen. Wir bedanken uns für die freundliche Aufnahme und verabschieden uns.
Versuche jemand mal in Österreich, von einem Unternehmen spontan die Erlaubnis für Fotoaufnahmen in seiner Produktionsstätte zu erhalten. Es wird unzähliger Anfragen bedürfen – um am Ende doch nur Absagen zu erhalten. In Rumänien war das ein Kinderspiel.