Die ehemaligen ArbeitskollegenDichter Innenteil

Die Abenteuer des Herrn Hüseyin (88)

Hüseyin wird auch alt. In den letzten Tagen denkt er an seinen Vater. Seit langem hat er seinen inzwischen 83-jährigen Vater nicht gesprochen.

Ein Jahr lang hat er beide Eltern nicht gesehen. Dem Hüseyin fehlen sie. Seit dem Militärputsch hat er sie nicht mehr gesehen. Wenn man so weit voneinander wohnt, gehen die Beziehungen auch auseinander. Das Gleiche gilt auch für den Vater Hüseyins. Er hat keinen Kontakt mehr zu seinen ehemaligen Arbeitskollegen. Mit ihnen hat er über 30 Jahre zusammen gearbeitet. Sie waren aus verschiedenen Städten der Türkei. Menschen, die gemeinsam in diesem zweistöckigem Barackenhaus der Straßenbaufirma wohnten. Die bewohnten den unteren Stock. Zwanzig gegenüberliegende Zimmer. Diese Wohneinheit bestand aus Holz. Jedes dieser Zimmer hatte nur ein Fenster. Aus dem man den Himmel nicht sehen konnte. Da sah man nur auf den Schutt, auf Pflastersteine, die in Bergen angehäuft waren, die Asphaltfabrik und die sonstigen Maschinen.

Die Leute aus Anatolien waren aus verschiedenen Gründen nach Wien gekommen. Der Hasan aus İnegöl/Bursa wollte sich einen Traktor in Österreich verdienen. Der Tahir war aus einem Dorf von Sivas in Mittelanatolien hierher gekommen. Er hat dort nichts. Dort arbeitete er bei einem Ağa (Großgrundbesitzer) als Hirte. Er wollte in Österreich selber reich werden. Tahir, soweit der Hüseyin sich erinnern kann, hatte in dieser Zeit Beziehungen mit drei Frauen. Er konnte sich nie die Namen der Frauen merken. Zu allen sagte er nur «Schatzi». Manchmal erzählte er dem Hüseyin über seine Hirtenzeit in seinem Dorf. Ab und zu sang er auch. Es gibt sogar Fotos, die Hüseyins Vater in solchen Momenten in diesen engen Zimmern des Barackenhauses gemacht hat. Tahsin aus Denizli aus dem ägäischen Teil der Türkei gab sein Geld für gebrauchte Autos aus. Er hatte auch eine Freundin. Zeyni aus Artvin war ein junger Mann, der holte auch seinen Sohn nach Österreich. Aber Zeyni hatte auch eine Freundin. Der Sohn sollte das nicht erfahren. Hasan aus Malatya verbrachte die Wochenenden immer bei seiner pensionierten Freundin im 10. Bezirk. Am Freitag nach der Arbeit traf er sie und kam erst am Sonntag Abend in die Baracken. Am nächsten Tag musste er wie viele andere um halb sechs aufstehen. Hasan erschien jedes Mal, wenn er von der Freundin kam, mit neuen Klamotten. Er unterstrich diese neuen Kleider mit seiner Manneskraft! Der kleine Mann Yusuf aus Sivas verbrachte den Freitagnachmittag in der Moschee. Er war auch wegen einem Traktor nach Wien gekommen. Er holte auch einen seiner Söhne nach. Dann gab es den Allahverdi. Im Deutschen wäre die Bedeutung des Namens: Gott hat ihn gegeben. Der Allahverdi war ein kleiner Mann aus Kars an der armenischen Grenze in der Türkei. Adnan aus Konya, die Kocman-Brüder aus der Schwarzmeerregion. Mit einem der Kocman-Brüder verstand sich der Hüseyin gut. Ab und zu spielten sie gemeinsam das Saiteninstrument Saz. Und noch etliche Exkollegen, an deren Namen sich Hüseyin nicht mehr erinnern kann.

Aus der Generation von Hüseyins Vater sind alle nach der Pensionierung in die Türkei zurückgegangen. Hier blieben die Kocman-Brüder. Nach dreißig Jahren Österreich wollte anscheinend keiner von den anderen mehr wissen. Auch wenn sie in den Nachbarstädten sind, besuchen sich diese ehemaligen Genossen nicht. Anscheinend wollen sie sich an diese Zeit nicht erinnern. Hüseyin ruft nach Jahren einen der Kocman-Brüder an. Als Erstes fragt er den Hüseyin, ob sein Vater noch lebt. Hüseyin sagt ihm, dass er sich in bester Gesundheit befindet. Daraufhin sagt er seufzend, alle anderen Kollegen sind gestorben. Demnächst werden sie sich treffen, um sich über die alten Zeiten zu unterhalten.

Ihr Hüseyin