Zur baldigen Abschaffung der Straßenmusik-Verordnung
Der Musiker Walther Soyka hat am Freitag, den 13. April (F 13) an dem kleinen Wiener Akkordeonfestival im U-Bahnnetz teilgenommen, weil er dessen Zielsetzung unterstützt: Beseitigung der bürokratischen Hürden für die Straßenmusik in der Hauptstadt der Musik. Dem Augustin berichtete er, welche Rolle die Straße in seiner Künstlerbiografie spielte und wie wenig die Hüter der Verordnung vom Sinn der Kunst begreifen.Meine Laufbahn als Akkordeonist hat 1979 begonnen, auf der Kärntnerstraße.
So wie viele andere Musikstudenten bin ich zum Üben lieber dorthin gegangen als zu Haus die müde Mutter zu sekkieren. Natürlich war meine Absicht nicht, irgendwen zu belästigen – die Intention war, was ich gelernt hatte unmittelbar weiterzugeben. Und es haben sich immer Menschen gefunden, die das Gehörte zu schätzen wussten. Dort habe ich gespürt, was sich zwischen ehrlicher Begeisterung und brutaler Ablehnung alles erfahren lässt, und ich habe gelernt, für jeden einzelnen Schilling, den mir jemand gegeben hat, dankbar zu sein. So geht Kultur.
Die meisten Menschen, die auf Straßen musizieren, tun das nicht, weil sie in der gewerblichen Vermarktung von künstlerischen Leistungen keine Chance für sich selber sehen, sondern weil sie diesen komplizierten Vorgang der Musik selber, die sie wie eine Person betrachten und verehren, nicht antun wollen. Und genau darin unterscheiden sie sich von so genannten „Profis“, die jede Bezahlung als Folge ihrer persönlichen Leistung missverstehen. Die Behauptung, was nichts koste, sei auch nichts wert, habe ich von solchen viele Male staunend gehört und betrachte sie heute als Ausdruck einer kollektiven Geisteskrankheit.
Heute bin ich überzeugt, dass das Geld, das ein Straßenmusikant bekommt, die ehrlichste Gage ist, die überhaupt möglich ist. Die ZuhörerInnen haben die seltene Gelegenheit, ihre Bewertung des Gehörten selbst und freiwillig vorzunehmen, dabei lernen sie etwas über sich selbst. Niemand versucht, sie über die Qualität des Gebotenen zu täuschen, niemand zwingt sie, zuzuhören oder gar zu bezahlen, und so war ich als Musikant immer in der Rolle des Gebenden. Jedes Stück Musik war zuerst ein Geschenk an die Welt, und nur wer dafür Verständnis hatte, hat zugehört oder gar – aus purer Freude – etwas zurückgegeben.
Seit dem Tag, an dem ich von einem (eh recht höflichen) Polizisten erfahren habe, dass ich jetzt eine Genehmigung (damals noch Gratis- Platzkarte) brauche, um hier zu musizieren, war ich um eine ganz wichtige Seite meiner Persönlichkeit ärmer: Das Gefühl, etwas zu geben zu haben, hat sich später nie wieder in vergleichbarer Weise eingestellt. Als hätte ich kein Recht dazu.
Die Verbote und Einschränkungen der Straßenkunst-Verordnung zwingen Künstler letztlich in eine gewerbliche Haltung, die überhaupt nicht dem eigentlichen, nämlich immateriellen, Charakter von Musik (oder sonstiger Kunst) entspricht. Das soll bitte nicht esoterisch oder romantisierend verstanden werden, aber jeder Ton, den jemand spielt oder singt, macht die Welt, und damit unser aller Leben, tatsächlich reicher. Die UNESCO versucht weltweit, Regierungen von dieser Tatsache zu überzeugen – und wird zugleich von kurzsichtigen Lokalpolitikern, die Verordnungen wie diese aufrecht erhalten zu müssen glauben, ad absurdum geführt.
Viel zu oft werden Menschen durch Regulative vor sich selbst, vor dem Entwickeln ihrer natürlichen Eigenheiten „beschützt“. Potentielle Wege der Identifikation und Integration werden dem Vermeiden potentieller Konflikte geopfert; die Entwicklung einer Diskurskultur findet wegen kontur- und sprachloser Konfliktparteien nicht statt; schließlich muss jeder Bereich des städtischen Zusammenlebens an bezahlte Spezialisten delegiert werden, die wegen absichtslos erzeugter Mängel völlig absurde Expertenpositionen einnehmen. Irgendwo in dieser Kette finden sich vermeintliche Kulturträger in der paradoxen Situation, in Konkurrenz zu einem ruhebedürftigen Bauunternehmer „gewerblichen Lärm“ zu produzieren, während speziell geschulte Polizisten Deeskalation üben an Leuten, die nur einfach nicht gelernt haben, zusammen zu singen.
Das nenn ich Chaos, daraus kann uns nur eine veritable Anarchie retten.
P.S.:
Kurz nach Ausbruch des ersten Weltkriegs schreibt Vincenz Chiavacci (Erfinder des „Herrn Adabei“ und der „Frau Sopherl“):
Wien gilt auch im Ausland als die Stadt der Lieder und in den entferntesten Erdteilen wird der Wiener als Liedersänger begrüßt und bekannte Klänge, von fremdsprachigen Zungen ausgeführt, dringen an sein erstauntes Ohr. Denn Wiener Lieder und Gesänge haben die ganze Welt erobert und der Wiener wird als ihr Vertreter überall herzlich empfangen. Daß Wien zu diesem Rufe gekommen ist, verdankt es seiner fröhlichen Bevölkerung und seiner herrlichen Lage. Von jeher war ein großer Strom, verbunden mit einer schönen Umgebung, in der die Weinrebe zu Hause ist, die Heimstätte fröhlicher Gesänge. […] Und überall ertönten in dem klingenden Walde fröhliche Weisen, die die Schönheit ihrer Vaterstadt priesen und die Freude am Dasein verkündeten. Und auch auf dem Heimweg fand die Sangesfreude in übermutigen, vom Wein gepfefferten Liedern ihren Ausdruck. Diese fröhliche Epidemie wurde auch in der Stadt und Umgebung unermüdlich fortgesetzt. Beim Heurigen vor der Linie und in den zahlreichen, gemütlichen Wirtshausgärten gab und gibt es zahlreiche Produktionen von Volkssängern. Das ist freilich jetzt teilweise eingeschränkt. Das Glacis mit seinen Harfenisten ist verschwunden. Hie und da sieht man noch einen blinden Harfenisten in einem Durchhaus. Auch die Werkelmänner haben abgenommen. Sie finden in den Neubauten mit ihren engen Höfen kein Publikum und sind nur mehr auf die spärlichen alten Häuser mit geräumigen Höfen angewiesen, wo sie Melodien verbreiten, die die arme Bevölkerung nicht in den Theatern hören kann. In diesen Höfen versammeln sich noch zuweilen die Harfenisten und Volkssänger und nicht selten kommt es zu einem Tanz der weiblichen Hausbewohner beim Klange eines Werkels. Auch ganze Szenen wurden mit Harfenbegleitung von wandernden Volkssängern aufgeführt, die dem Heiterkeitsbedürfnisse der Bewohner entsprachen.