Zwischen Vogelfreiheit und Kunstmarktzwang
Manchmal nimmt das Leben märchenhafte Züge an. 13 Jahre lang hat Bakos Tamás, geboren 1977, in den Straßen und Unterführungen der ungarischen Hauptstadt gelebt. Ein Galerist aus Wien staunte über die Qualität und den Umfang seines Oeuvres*. Seither hat Budapest einen Obdachlosen weniger.
Der Künstler, Ausstellungskurator, Kunst- und Medientheoretiker Peter Weibel vertrat vor ein paar Monaten im Kulturjournal des ORF die Meinung, dass die Mehrheit der Künstler und Künstlerinnen «Komplizen des Marktes» seien. Für Bakos Tamás – den Maler, der aus dem Abseits kam – trifft das zu und gleichzeitig auch ganz und gar nicht.
Komplize ist er, weil er die Mechanismen des Kunstmarkts benutzt, in den ihn – seit er in diesem Winter in Wien «entdeckt» wurde – alle Freunde gutgemeint hineindrängten. Die Verantwortlichen seiner «Apotheose»*: seine seit geraumer Zeit in Wien lebende Schwester Anna, der Verleger und «Alte Schmiede»-Chef Walter Famler und der afrikanische Galerist Benedict Onyemenam, der mitten in der City seine «Herz von Afrika«-Galerie betreibt, deren Keller dem Ungarn zur Zeit als provisorisches Atelier zur Verfügung steht.
Im Keller des Kunstmarkts angelangt, kann ja auch nur die Aussicht auf den kommenden Hype schon das Kapital für die nächsten Projekte sein. Eine günstige Prognose, was Bakos Tamás betrifft, genügte einem ungenannt bleiben wollenden privaten Mäzen. Er verschaffte dem Gast aus Ungarn eine zunächst auf ein Jahr befristete Wohnung in Meidling zum Gegenwert von verkaufbaren Bildern. Andrerseits hat dieser in den letzten 13 Jahren seines Lebens – es war ein Leben ohne die sprichwörtlichen vier eigenen Wände in einer europäischen Metropole, in der Obdachlose noch um einen Grad vogelfreier und verdammter sind als in Wien – am Markt völlig vorbeigelebt; wenn man von den kleinformatigen Bildern absieht, die er einmal um 1000 Forint verkaufen konnte.
Vorsicht vor Etikett Outsider-Kunst
W i e er am Markt vorbei gelebt hat, ist freilich schon wieder ein Thema, das den Markt mitsamt seinem kunstdiskursiven Begleitrauschen interessieren könnte. Auch wer in Kunstmarktangelegenheiten ungeschult ist, muss hier folgendes Dilemma wahrnehmen. Wird die Kunst vom Außenseiterleben seines Schöpfers getrennt, das heißt, wird im Sinne der Fokussierung auf das Werk kein Aufhebens gemacht um die Stadtstreicheranteile in Bakos Tamás‘ Biografie, bedeutet das den Verzicht auf ein spektakuläres Alleinstellungsmerkmal, das ihm zumindest gesteigerte Aufmerksamkeits-Einheiten einbrächte. Einem möglichen Manager – und wenn Bakos Tamás sein eigener wäre – ist es in diesem Fall verwehrt, eine moderne Version der Mogli-Legende*) zu erzählen: die Geschichte eines «Findelkindes», das 13 Jahre lang glücklich und unentdeckt im Großstadtdschungel von Budapest lebte, bis es von Panther Baghira (alias Walter Famler, dem wir in erster Linie verdanken, dass die Welt, zumindest Wien, die Chance bekommt, Bakos Tamás kennenzulernen und zu begreifen) mit sanfter Gewalt aus der Zone des Wilden in die Zivilisation gelockt wurde.
Solcherlei Erzählungen haben schon viele künstlerische Warenwerte anschwellen lassen, und Bakos Tamás wäre, wenn sie auch in seinem Falle wirkten, oft durch Scheinwerferlicht geblendet. Aber zu welchem Preis? Zum Preis seiner Kategorisierung als «Außenseiterkünstler», die sich für ihn als Sackgasse herausstellen könnte. Zum Preis einer Stigmatisierung zum «Unverbildeten», zum «Autodidakten». Seine Kunst wäre in diesem Fall in die Nähe von Art Brut* gerückt.
Für Bakos Tamás ist Art Brut beileibe kein schwarzer Fleck. Es lebt noch nicht lange in Wien – und hat schon Gugging besucht. «Die Gugginger Maler haben mich sehr beeindruckt», sagt der Gast aus Ungarn im Augustin-Gespräch.«Für meine Kunst lehne ich solche Etiketten ab, ich gehöre keinem Ismus an, und wenn ich meine Malerei beschreiben müsste, würde ich sagen: Die Bilder sind Redaktionen auf das, was ich sehe, sie sind Ausdruck meiner Lebenserfahrungen. Was man aus meinen Bildern auch erkennen kann: Ich habe keine Hemmungen, was das Material betrifft, auf dem ich male.» Bakos Tamás zeigt uns Gemälde, die er auf schwarzem Karton realisierte, den er irgendwo auf der Straße fand. «Ich ahnte, dass ich keine Chance auf eine akademische Ausbildung kriegen würde, deshalb verschlug es mich in die Gastronomie. Aber mein Autodidaktentum heißt nicht, dass ich völlig unbeeinflusst von der Kunst anderer bin. Mein Zeichenlehrer in der Schulzeit hat mich beeinflusst, und ich könnte auch ein paar Namen ungarischer Künstler aufzählen …»
Straßenleben – nur noch Erinnerung?
Die Wertschätzung, die er in Wien von Kunstliebhabern und Kunstvermittlern genießt, und die ersten überraschenden Verkäufe haben in ihm die Lust entfacht, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. «In Ungarn obdachlos zu sein, ist ohnehin kein Spaß», sagt er. Als ob nichts Besonderes passiert sei, spricht er en passant von zwei Vorfällen, die zeigen, wie gefährlich die Clochards von Budapest leben. Einmal ist er im Schlaf von einer Gruppe überrascht worden, die ihn mit Fußtritten malträtierte, bis sein eigener Fuß gebrochen war; einmal ist von einem naheliegenden Fenster auf ihn geschossen worden. Bakos Tamás wurde dabei lebensgefährlich verletzt. In beiden Fällen kam es zu keinen Prozessen und damit auch zu keinen Verurteilungen der Täter. Das Achselzucken, mit dem Tamás diese Geschichte begleitet, mag ein Psychologe deuten; ich bin eher das Gegenteil davon.
Als Schreiber einer Straßenzeitung will ich natürlich wissen, was ihn auf die Straße getrieben habe: die pure Not oder eine Art Auflehnung gegen angepasstes Leben? Letztgenanntes schließt Bakos Tamás dezidiert aus. Er sei kein Mann des politischen Protests. «Aber was muss passieren, damit du revolutionär wirst?», stoße ich nach. Eine Antwort darauf erhalte ich eigentlich nicht. Aber Bakos‘ Förderer Walter Famler holt schnell ein Lenin-Porträt und zeigt es her. «Drei verschiedene Lenine hat er gemalt, seit er in Wien ist», glaubt er meine Frage nach dem Politischen in Bakos Tamás beantwortet zu haben.
In Ungarn scheint Tamás auch in dieser Beziehung ein Outsider zu sein: «Ich fand Lenin großartig», kürzt der bescheidene Künstler unseren kleinen Exkurs in das Thema des politischen Engagements ab.
In der Galerie Benedict, Wien 1, Sonnenfelsgasse 13, ist ein Raum den Werken von Bakos Tamás gewidmet. Eine Auswahl seiner Bilder ist auf der Homepage der Galerie zu betrachten: www.galerie-benedict.com. Die erste große Tamás-Ausstellung findet hier im Mai 2014 statt.
* Oeuvre. Das Gesamtwerk eines Künstlers, einer Künstlerin
Apotheose. Die Erhebung des Menschen zu einem Halbgott; hier augenzwinkernd verwendet
Art Brut. Wörtlich unverbildete, rohe Kunst. Autodidaktische Kunst von Lai_innen und Outsider_innen
Mogli. Menschenkind, das im Dschungel bei einer Wolfsfamilie aufwächst. Hauptfigur von Rudyard Kiplings «Dschungelbuch»