Die etwas andere PlattenfirmaArtistin

Musikarbeiter unterwegs mit Unrecords zum Jahresende

Vier Musikerinnen gründen 2012 in Wien ein Label mit queer-feministischem Anspruch und gelebtem Netzwerk-Gedanken. Auftritt Unrecords.Es wird schon ein gutes Jahr gewesen sein, dann im Rückspiegel mit etwas größerem zeitlichem Abstand betrachtet, das 2012er, so in 25 Jahren. Gut, es war noch dauernd Krise, weil die Neue Funky Weltweite Volksrepublik erst in wenigen Köpfen und Herzen zu existieren begonnen hatte und die große radikale globale Umverteilung von 2025 noch nicht einmal als Utopie formuliert war. Die Stadt Wien war noch vom Individualverkehr geknechtet, der kollektiven Freifahrt stand noch die Wahnidee entgegen, den öffentlichen Verkehr über eine gewinnorientierte Firma zu organisieren. Die nachhaltige Zerschlagung und transparente juristische Aufarbeitung der Großen Gemeinen Machtanhäufungszusammenschlüsse (die politischen Vereine heute known as «SPÖ», «ÖVP» und «FPÖ», Parteien generell) waren noch in weiter Ferne, die revolutionäre wissenschaftliche Arbeit, die schließlich zur Isolation und erfolgreichen Therapie des «Unternehmer_innen-Gens» führte, war noch kaum mehr als eine vage Idee im klugen Kopf einer bemerkenswerten jungen Griechin. Kurzum, eigentlich war es kein gutes Jahr, das 2012er. Aber die Musik war super, einmal mehr ein Haufen großartiger heimischer Musik (Alp Bora Quartett; A Life A Song, A Cigarette; Curbs; Der Nino aus Wien; Destroyed But Not Defeated; die Compilation «Re:Composed», Bernd Fleischmann; Sybille Kefer; Ernst Molden; Neigungsgruppe; Re-Releases von Arik Brauer, Chuzpe, Dämmerattacke, X-Beliebig; Your Gorgeous Self und viele mehr) gegen Jahresende dann noch ein Großwerk von Neil Young & Crazy Horse, eine «Psychedelic Pill», an der mensch ständig lutschen möchte. Und, einmal Hardcore, immer Hardcore!, eine neue Bad Brains, schönerweise mit dem Titel «Into The Future».

Keimzelle Girls Rock Camp

Super war auch der Abend, an dem das Stimmgewitter sein neues Album «Übers Meer» vorgestellt hat. Sehr schön der Kurzauftritt einer Duoversion von First Fatal Kiss, Birgit Michlmayr und Renée Winter, verstärkt um einen Bulbul. Backstage gabs dann noch das Split-Vinyl der Band, die ihr 10-jähriges Bestehen feiert, mit ihren Berliner Freundinnen von Ex-Best Friends für die Musikarbeiter. Auf Unrecords. Nicht einmal zwei Wochen sitzen drei Frauen von Unrecords, Johanna Forster, Birgit Michlmayer und Petra Schrenzer mit uns an einem Tisch, die Vierte im Bunde, Aurora Hackl, hatte leider keine Zeit. Allesamt als Musikerinnen in feministisch-queeren Zusammenhängen aktiv (Aurora bei Norah Noizzze & Band, Johanna bei MuttTricx, Petra bei Petra und der Wolf) kannte sich das Label-Kleeblatt wohl aus den Augenwinkeln, nähergekommen ist sich das Quartett beim Girls Rock Camp 2011 in Wiener Neustadt, wo sie allesamt als Band-Coaches tätig waren und die Weichen in Richtung Labelgründung gestellt wurden. Mit der Arbeit an Unrecords, dass das andere Verständnis der Labeltätigkeit («Our aim is to support experimental/noise/punk/rock music in a queer-feminist context. We wont promote bands who celebrate (hetero-)normative masculinities and femininities», steht auf der Homepage) schon im Namen trägt (reich, berühmt und das Ego aufgeblasen bekommen wäre die Anti-These), kamen sich die Vier freundschaftlich näher. Es gibt eine vage Aufgabenverteilung (Johanna ist etwa für die Graphik zuständig, Birgit für den Webauftritt ), aber grundsätzlich steht das pragmatische Umgehen mit den zur Verfügung stehenden Zeitressourcen im Vordergrund, schließlich gibt es noch Brotjobs, Studien und die Bands der Beteiligten. Die nächsten Relases stehen dabei schon fest, ein Album von MuttTricx in Zusammenarbeit mit Zack Records im Jänner 2013 und eine CD der seit 25 Jahre aktiven Schweizer Band Les Reines Prochaines im Februar, die Nummer fünf von Unrecords wird das Debüt von Möström sein (geile Bandnamen auch!). Die Wahl des Formats stellt das Label dabei grundsätzlich den Bands frei, vertrieben wird selbst über die Homepage, die Konzerte der Bands und den verbliebenen sympathisierenden Fachhandel wozu sich groß bemühen, im Saturn zu stehen, wenn dort dann niemand den Tonträger will? Im Gespräch fällt das vielbemühte Wort «Plattform», was hier aber definitiv seine Berechtigung hat. Wohl werden die eigenen Bands veröffentlicht, aber eben nicht nur oder ausschließlich. Über die klare soundästhetische und inhaltliche Positionierung treten oft gleichgesinnte internationale Acts auf der Suche nach Gigs an Unrecords heran, das Veranstalten einer Band aus Edinburgh zieht so dann demnächst einen Soloauftritt (Mayr) von Birgit nach sich, der offene Blick geht per se über Wien und Österreich hinaus, gelebtes Netzwerken in und mit Musik eben!

Internet: unrecords.me

Veröffentlichungen bisher: Ex Best Friends / First Fatal Kiss, Split-12, Norah Noizzze & Band: «Songs We Can Sell» CD.

Live: Fr., 21. 12., Planet 10, Norah Noizzze & Band, Albumpräsentation