Die FalleDichter Innenteil

Kein Beil fällt von der Decke, keine Falltür ­öffnet sich unter seinen Füßen (Illustration: © Tine Fetz)

Es ist eine Falle. Keine Falle der Kategorie Heimtücke, die wartet und zuschnappt, sobald das Opfer hineintappt, sondern eine Falle, die kein Geheimnis macht aus den Fängen, die sie umgeben. Ich bin eine Falle, sagt sie ohne irgendeine Form von Gewissensbissen und legt nicht nur den Mechanismus offen, anhand dessen sie operiert, sondern informiert ungeniert über die Strategie, mit der das Opfer zu Fall gebracht werden soll. Die Entscheidung, ob sich das Opfer darauf einlässt oder nicht, liegt einzig und allein bei ihm. Entscheidet sich das Opfer dagegen, erleidet die Falle nicht einmal ­einen Verlust. Entscheidet sich das Opfer aber dafür, muss zunächst die eigene Qualifikation unter Beweis gestellt werden, um zur Falle Zutritt zu erhalten. Erfüllt das Opfer auch nur ein Kriterium der ­Falle nicht, führt das zum Ausschluss und der Zutritt bleibt ihm verwehrt. Erfüllt das Opfer alle Kriterien, darf es die Falle betreten.

Jot kommt der Falle gerade recht, und umgekehrt kommt die Falle Jot wie gerufen, als er die Falle zum ersten Mal entdeckt.
Insgeheim auf der Suche nach einem Ausweg, manövriert sich Jot in Richtung aufgestellter Falle, die wiederum alle Kriterien seinerseits erfüllt, um der Misere ein Ende zu setzen.
Zur Vergewisserung darüber setzt Jot, der die Falle bis ins Kleinste studiert hat, genügend Schritte zurück, um die Falle als Gesamtes zu betrachten. Es ist eine schöne Falle, befindet er und entschließt sich zum Eintritt.
Nachdem seine Eignung eingehend geprüft und bestätigt worden ist, gewährt die Falle ihm Einlass. Jot ist nicht der Erste, der hineingelassen wird, und doch ist außer ihm niemand zugegen, als er die Falle betritt.
Kein Beil fällt von der Decke, keine Falltür öffnet sich unter seinen Füßen, kein Netz, worin er sich verfängt und langsam zugrunde geht. Im Gegenteil wirkt die Falle auf Jot von innen genauso schön wie von außen, sodass die Gefahr, die diesen Ort zusammenhält, beinahe in Vergessenheit gerät, und danach trachtet die Falle: Die Falle schnappt zu, wenn sich das Opfer bei ihr in Sicherheit wähnt, wenn das Opfer an die Falle als solche nicht mehr denkt, wenn es gänzlich vergessen hat, dass es sich nicht an einem gutwilligen Ort befindet, sondern in ­einer Falle. Das Opfer begeht den Fehler und lässt das Motiv, das hinter ­einer Falle steckt, außer Acht, sodass die Falle zuschlägt.

Im Bewusstsein über diesen letzten, aber entscheidenden Punkt hat Jot die Falle betreten. Es ist eine Falle, denkt Jot ununterbrochen, während er sich durch die Falle bewegt und immer tiefer ins Innere vordringt.
Je weiter Jot aber gelangt, desto schwerer fällt es ihm, die Erinnerung an die Falle im Gedächtnis zu behalten. Nach und nach rückt der Gedanke daran in den Hintergrund, wird zurückgedrängt von der ­Falle, die mit der Arbeit begonnen hat. Jot weiß, dass allenfalls noch wenige Schritte verbleiben, bis das Erinnerungsvermögen nachgelassen hat und die Erinnerung an die Falle ausgelöscht ist.
Im Begriff, der Falle zum Opfer zu fallen, hält Jot inne und benutzt seinen Verstand. Es ist und bleibt eine Falle, kommt er zum Schluss und trifft gegen seinen Willen die Entscheidung, mit Klugheit zu handeln und das Richtige zu tun.

Jot ist nicht der Erste, der hineingegangen ist in die Falle, aber er ist der Erste, der die Falle wieder verlässt. Entgegen der Annahme setzt bei Jot allerdings kein Gefühl der Erleichterung ein, sondern Zweifel darüber, nicht doch das Falsche getan zu haben. Indem er an gleicher Stelle steht wie zuvor, und zwar auf der Suche nach einem Ausweg, kommt Jot nicht umhin, Reue zu empfinden über seine Entscheidung, aus der Falle gegangen zu sein. Jot ist nicht nur der Erste, der die Falle verlassen hat, sondern auch der Erste, der dorthin zurück möchte.
In der Gewissheit, die Zutrittskriterien beim ersten Mal erfüllt zu haben, durchläuft er das Prozedere wieder, um in die Falle zurückzudürfen. Zu Jots Unverständnis wird der Zutritt aber nicht gewährt, sondern abgelehnt.
Grund dafür ist nicht, dass Jot zum zweiten Mal ansucht, vielmehr hat die Falle ihre Kriterien in der Zwischenzeit um eine Bedingung erweitert, die Jot nicht erfüllt und auch in Zukunft nicht erfüllen können wird.
Zum Zeitpunkt größter Entschlossenheit bleibt Jot der Zugang zur Falle verwehrt. Der Entscheid ist endgültig und nicht anfechtbar, ohne Möglichkeit auf Gnade. Obwohl der Fall damit abgeschlossen ist, gelingt es Jot nicht, der Falle den Rücken zu kehren.

Das Beil ist gefallen, die Falltür hat sich geöffnet, langsam geht Jot zugrunde im Netz, worin er sich verfangen hat. Die Falle ist ihm unter die Haut gegangen, hat sich dort festgesetzt und arbeitet unter der Oberfläche weiter, kontinuierlich und mit Fokus auf das Ziel. Es ist und bleibt eine schöne Falle.