Die ‹Faschismuskeule› und der GemeindebauDichter Innenteil

Herr Groll auf Reisen. 264. Folge

Groll und sein Freund spazierten durch einen Floridsdorfer Gemeindebaukomplex. Der Dozent wollte wissen, woher der Begriff Populismus kommt.

Foto: Mario Lang

«Er diente nach 1945 dazu, den argentinischen Caudillo Juan Perón, der bei Mussolini lernte, Hitler verehrte und den Nürnberger Kriegsverbrecherprozess eine Ungeheuerlichkeit nannte, zu verharmlosen», erwiderte Groll. «In Wirklichkeit war Perón ein lupenreiner Faschist. Ein weiterer Urvater des Populismus war der kleinbürgerliche französische Steuerrebell Pierre Poujade, in dessen antisemitischer Partei Jean Marie Le Pen in den fünfziger Jahren ins Parlament einzog. Der Begriff Populismus erfuhr eine Renaissance, als Parteien auftauchten, die gegen einzelne Erscheinungen des kapitalistischen Weltmarkts ankämpften, ohne dessen Grundlage anzutasten. Tatsächlich verschleiert der Begriff aber den Blick darauf, dass die Gruppierungen des rechten Rands Faschisierungsprozesse durchlaufen.»

«Freunde des Populismus-Begriffs werfen gern mit dem Vorwurf der ‹Faschismuskeule› um sich», bemerkte der Dozent. «Der Zweck der Übung scheint klar: Der Begriff Faschismus darf keinen Bezug zur Gegenwart haben.»

Groll stimmte zu. « ‹Niemals wieder› bezieht sich heutzutage auf die Verwendung des Begriffs Faschismus und seiner Abkömmlinge. Der Begriff ‹Faschismuskeule› ist seinerseits zu einer Keule geworden. Faschistische Auftritte, Texte und Handlungen werden nicht als solche bezeichnet, sondern mit Worthülsen umschrieben.»

«Das bedeutet aber nichts anderes als die Durchsetzung eines Begriffs-Verbots», erwiderte der Dozent. «Die penetrante Verwendung des Begriffs ‹Faschismuskeule› ist also …»

»… ein Indiz für die Faschisierung von Gesellschaften», beendete Groll den Satz.

Der Dozent runzelte die Stirn. «Man fragt sich, ob es den Faschismus überhaupt noch gibt, nachdem sein Begriff verschwunden ist. Ist er in den Orkus der Geschichte abgetaucht? Hinterließ er bloß Zerfallsprodukte, die als rechtspopulistisch, ultranationalistisch, politisches Rowdytum oder Lausbubenstreiche abgetan werden? Ist es ein Zufall, dass in Staaten, in denen rechtsextreme Parteien Zulauf haben, ein gesellschaftliches Klima sich ausbreitet, in der sogenannte unpolitische Einzeltäter à la Franz Fuchs Einschüchterung erzeugen und eine Angst-Hysterie auslösen, die wiederum faschistoiden Parteien in die Hände spielt?»

«Wenzel Schebesta, der Vorsitzender des ‹Ständigen Ausschusses zur Klärung sämtlicher Welträtsel› sagt, der Faschismus ist nicht der Gegenspieler des Kapitalismus, er ist nicht dessen Übertreibung, er ist recht eigentlich die Substanz einer Wirtschaftsordnung, welche auf die Umwertung aller menschlichen Werte gegründet ist. Verdrängungswettbewerb, Massenarbeitslosigkeit, Monopolkonkurrenz und der daraus sich speisende Sozialdarwinismus produzieren den Humus für Faschisierungsprozesse. In guten Zeiten dämmern diese am Rand der Gesellschaften dahin wie ein Bär im Winterschlaf, in schlechten Zeiten reißen sie sich die halbe Bevölkerung mit und es bildet sich der Eindruck, diese Vorgänge seien unaufhaltbar. Das Gegenteil ist aber der Fall. Der Aufstieg der Retrofaschisten ist sehr wohl aufhaltbar. Die österreichische Zivilgeschaft führt es vor – ob in Krumpendorf, in Vordernberg, in Langenbuch, in Traiskirchen oder am Westbahnhof. Je mehr Leute bei offensichtlichem humanitärem Staatsversagen selber die Initiative ergreifen, desto weniger gelingt es den Rechten, mit der Angst Geschäfte zu machen. Auch die kleinste Hilfeleistung für die Kriegsflüchtlinge immunisiert gegen den F-Virus. Herr Schebesta ist ein umsichtiger Mann, aber gestern Abend war er sehr zuversichtlich. Wir erleben die Wiedergeburt eines mutigen Antifaschismus, sagte er.»

«Es könnte durchaus sein, dass die Strachisierung eben einen Rückschlag hinnehmen muss», stimmte der Dozent zu.

«Strach heißt auf Tschechisch Angst. Der Name des Herrn HC kommt nicht von ungefähr», entgegnete Groll. «Ohne Angst haben diese Herrschaften keine Chance, folglich tun sie alles, um Angst zu schüren. Zum Beispiel, indem FPÖ-Leute die Autonummern jener Menschen notieren, die am Westbahnhof Hilfe leisten.»

«Wollen Sie damit andeuten …»

«Verehrter Dozent, nun kennen Sie mich schon so lange», unterbrach Groll. «Sie sollten wissen, dass ich grundsätzlich nicht andeute. Ich sage, was ist. Tatsache ist, dass wir es in Europa seit geraumer Zeit mit einer zunehmenden Faschisierung von Gesellschaften zu tun haben. Man sollte daher über die Einführung des Begriffes Eurofaschismus nachdenken. Die griechische ‹Morgenröte› und die extreme Rechte Norwegens, die Kazcinsky-Partei Polens und die ungarische Jobbik, die Lega Nord und Teile der Beppe-Grillo-Bewegung, der Front National, die deutsche NDP und die FPÖ haben mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick annehmen möchte. Der Begriff Eurofaschismus verfügt über einen hohen Gebrauchswert. Man sollte mit diesem Werkzeug arbeiten.» Groll beschleunigte den Rollstuhl.

Der Dozent lief neben ihm her. «Wenn Herr Faymann und Herr Häupl jetzt den Antifaschisten geben, sollte man ihnen nicht ihre Millionen-Inserate für die Gratisblätter, die täglich das Geschäft der FPÖ betreiben, vorrechnen?»

«Man sollte», sagte Groll und erhöhte das Tempo nochmals.

«Lieber Groll, glauben Sie, dass sich auf dem Weg des Antifaschismus nicht auch eine neue Eurolinke bilden wird?», rief der Dozent.

«Es wird sich nicht vermeiden lassen», erwiderte Groll.

«Warum fahren Sie so schnell?» Der Dozent keuchte. «Müssen wir zu einer Demonstration?»

«Beim Binder-Heurigen ist der erste Sturm eingetroffen», rief Groll über die Schulter.

Bildtext: (ein Gemeindebau) Der Kampf um den Gemeindebau ist noch nicht verloren

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