Die Film-Offensive der DiagonaleArtistin

Neben Schreiben, Lesen, Rechnen: Film-sehen-Lernen!

art_DiagonaleSneaker__pooldoks.jpgEs gibt ein großes Thema, das die Diskussionen auf der kommenden Diagonale, dem Festival des österreichischen Films, prägen oder durchwachsen soll. Es geht um die Medienbildung, um Filmvermittlung an österreichischen Schulen. Soll Film ein Hauptfach werden, soll das Medium Film in allen seinen Facetten aufgewertet werden? Sollen die Kids , sollen alle Menschen sehen lernen? Diagonale-Intendantin Birgit Flos argumentiert in folgendem Beitrag für den Augustin zugunsten einer verstärkten Verankerung des Lehrinhalts Film im Sinn von Bildern in Bewegung im österreichischen Universitäts- und Schulsystem auf allen Lehr- und Lern-Ebenen.

Eine kurze Chronologie der Planungsüberlegungen für unsere zweitägige Veranstaltung auf der Diagonale 08 im Space 04 des Diagonale Festivalzentrums (Donnerstag, 3. April, von 16.30 bis 19 Uhr, und Freitag, 4. April, 9 bis 19 Uhr). Am Anfang eine Frage: Was ist Film? Man glaubt es nicht, wie ein Begriff, der doch eindeutig zu sein scheint, sich gleich in seine verschiedenen Facetten aufspaltet.

Was wollt ihr denn mit eurem Film, der ist doch völlig veraltet. Meint ihr Film etwa auf Celluloid? Eisenstein, Griffith, Gance gar? Film ist anscheinend für viele nur ein altes, vielleicht sogar veraltetes Medium: die Kids sind längst bei YouTube angelangt.

Und der Begriff Vermittlung? Die einschlägigen EU-Gremien haben sich als Ziel des Unterrichts auf den Erwerb von Kompetenzen geeinigt als da sind:

Muttersprachliche Kompetenz, fremdsprachliche Kompetenz, mathematische Kompetenz und grundlegende naturwissenschaftlich-technische Kompetenz, Computerkompetenz, Lernkompetenz, interpersonelle, interkulturelle und soziale Kompetenz und Bürgerkompetenz, unternehmerische Kompetenz, kulturelle Kompetenz (Lissabon Gipfel 2000).

Und immer geht es um Selbstvertrauen, um als autonomes Wesen selbstbestimmt auftreten zu können. In einer Wissensgesellschaft zählt Bildung mehr als die Akkumulation von Fakten, die können leicht gecheckt werden, wenn man die richtigen Suchmaschinen benutzt. Die Herausbildung dieser Kompetenzen kann besonders wirkungsvoll durch eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Film erreicht werden. Auch die Begriffe media literacy und empowerment, Ich-Stärkung, Ermächtigung (das umfassende Ziel allen Lernens) sind dabei relevant.

… bis zu Projektionen auf Staub und Wasser, wer weiß …


Es geht nach dem iconic/pictorial turn um die Auseinandersetzung mit Bildern in Bewegung in welchem alten, aktuellen oder zukünftigen (Transport-)Medium sie auch immer verbreitet werden. Das fängt bei griechischen Vasen, ägyptischer Zeichenschrift und Höhlenmalereien an und geht über fotografiebasierende Bildserien (Muybridge, Marey), Comics (Windsor McCay ) zum Film (d. h. zu Einzelkadern auf flexiblem Material: Celluloid), zum Film also, der als Bewegung von Bildern erfahren wird, bis zu digitalen Bildkompositionen, die nicht auf einem Realbild basieren, zu Animationen aller Produktionstechniken und wer weiß? Projektionen auf Staub und Wasser. Der Anfang der Produktion und Rezeption von Bildern in Bewegung (moving pictures) liegt weit zurück, ein Ende ist weder abseh- noch vorstellbar.

Zudem beinhaltet Medienbildung immer auch Technik-, Wissenschafts- und Wirtschaftsgeschichte, d. h. auch Gesellschaftsgeschichte. Die Entwicklung des Films ist nicht von der Entwicklung und politischen Geschichte der Fotografie oder von frühen erfolgreichen Tonaufzeichnungs-Experimenten und dem Radio zu trennen, noch ab den ersten Morse-Applikationen von Fernsehen und Internet. Eine fächerübergreifende Kontextualiserung von Film ist jederzeit möglich und notwendig (cultural studies).

Also es geht darum: Bilder in Bewegung sehen zu lernen als Kompetenz-Erwerb und Ermächtigung, um sich von all den Bildern, die uns täglich umgeben, nicht überwältigen zu lassen, sondern sich selbstbestimmt und verantwortungsbewusst in der Bilderflut zu bewegen und kritikmächtig auf Film als künstlerischen Text, als Ware, Resultat von Technikgeschichte und als gesellschaftliches Phänomen zu reagieren und dadurch möglicher Weise in automatisierte Rezeptions-Konventionen und gesellschaftliche Prozesse eingreifen zu können.

Medienbildung und Medienvermittlung bedeuten also eine Sensibilisierung und Kontextualisierung der Rezeption von Bildstrategien, mit dem Ziel, Kompetenzen zur Ichstärkung und zum Erlernen von Solidarität und gesellschaftlichem Verantwortungsgefühl erfolgreich und lustvoll zu entwickeln. Es geht um nichts weniger als um den Erwerb einer neuen Basiskompetenz, um das Hauptfach: Sehen-Lernen.

Bisher lernen wir früh: Schreiben, Lesen, Rechnen. Jetzt sollte das Sehen dazu kommen, es ist höchste Zeit.

Info:

Diagonale 08: 1.6. April 2008 in Graz

Programm: www.diagonale.at