Sicheres Ankommen, sichere Räume: Was LGBTIQ+-Asylwerber_innen brauchen und wie die Community in Wien hilft. Von Céline Béal (Text).
Fotos: Carolina Frank
(li: Der Syrer Fedaa Alarnaoot ist seit 2015 in Österreich. Er hilft bei der Organisation Queer Base anderen Schutzsuchenden / re: Henrie Dennis, Gründerin von Afro Rainbow Austria, engagiert sich für LGBTIQ+-Menschen.2019 ist sie im Leitungsteam des Kulturfestivals Wienwoche)
Während ihrer Rede hebt Henrie Dennis die Faust. «Ich werde nicht schweigen», schreit sie auf Englisch ins Mikrofon, «denn das Schweigen ist ein Privileg, das ich mir nicht leisten kann». Die Demonstrant_innen applaudieren. Zwei- bis dreitausend sind an diesem Donnerstagabend zum Ring gekommen, um Widerstand gegen die schwarz-blaue Regierung kundzutun. Es ist kalt, aber wegen einer anderen Kälte zittert gerade die Rednerin. Sie rügt ein «Klima von Rassismus und Intoleranz, das aktuell im Land herrscht». Henrie Dennis ist die Gründerin von Afro Rainbow Austria, einer Organisation von und für LGBTIQ+-Migrant_innen aus afrikanischen Ländern, also Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans- und intersexuelle Personen und Menschen, die einfach eine normabweichende Identität haben.
Die Donnerstagsdemos werden jede Woche einem neuen Thema gewidmet. An diesem Abend Mitte Jänner geht es um LGBTIQ+-Geflüchtete. Die wienerische Regenbogen-Community ist zahlreich erschienen. Stefan, Student an der Universität für angewandte Kunst: «Ich bin mit allen Flüchtlingen solidarisch, aber ich habe einen besonderen Bezug zu denen, die auch queer sind.»
Außerhalb der privilegierten Zone.
Bei dem Event geht es den Organisator_innen darum, aus der Situation einer spezifischen Minderheit ein Thema für die ganze Gesellschaft zu machen. «Viele Menschen unterstützen diese Tyrannenregierung nicht», beteuert Henrie Dennis auf der Bühne. Und weiter: «Diese Menschen wollen jedoch nicht handeln, weil es sich in deren privilegierter Zone ganz gemütlich lebt. Aber vergesst doch nicht, dass eure privilegierte Zone vielleicht nicht mehr so lange so gemütlich sein wird …»
Wie es sich anfühlt, außerhalb der privilegierten Zone zu leben, haben die Anwesenden gerade erfahren. Maya, geflüchtete Transfrau aus Syrien, hat aus ihrem Alltag in Österreich berichtet. Ein reines Männerzimmer in Traiskirchen. Die Schwierigkeiten, um ihre Hormontherapie hier fortzuführen. Und die Deutschkurse, wo sie mit der Missachtung anderer Teilnehmer_innen konfrontiert war. «Sie haben mich demselben sozialen Umfeld ausgesetzt, aus dem ich gerade geflüchtet bin», ärgerte sie sich. Einen transphobischen Angriff, den sie erlebte, ließ die Polizei außer Acht, bis sie schließlich von Queer Base ins Kommissariat begleitet wurde.
Queer Base ist der Verein, der für die Organisation des Abends verantwortlich ist. Er wurde 2014 von LGBTIQ+-Aktivist_innen der Türkis Rosa Lila Villa gegründet, um queeren Geflüchteten spezifische Hilfe zur Verfügung zu stellen, wenn sie in Österreich ankommen. Seitdem haben ihre Mitglieder schon um die 500 Personen betreut.
Sichere Räume.
In den Räumlichkeiten der Türkis Rosa Lila Villa an der Linken Wienzeile bietet der Verein jeden Montag und Dienstag Deutschkurse. Das sind sichere Räume, wo jeder er_sie selbst sein kann. Queer Base organisiert außerdem Wohnungen. «In den klassischen Unterkünften bleiben LGBTIQ+-Menschen aus Angst vor Übergriffen oft in the closet. Sie verstecken ihre Asylanträge, damit man den Asylgrund nicht sieht. Es gab Fälle von Mobbing und Gewalt», so Marty Huber. Sie ist quasi seit deren Gründung bei Queer Base engagiert. In der Diaspora mancher Länder werde Homophobie zu sehr toleriert. «Die Flucht ist eigentlich für viele LGBTIQ+-Personen in Österreich nicht zu Ende», fasst sie zusammen.
LGBTIQ+-Ankommende sind allerdings nicht nur innerhalb der Quartiere Unheil und Missständen ausgesetzt. Seit dem «Willkommenssommer» 2015 habe sich die Stimmung im ganzen Land verändert, davon zeugt Fedaa Alarnaoot. Der Syrer, selbst seit 2015 in Österreich, arbeitet jetzt bei Queer Base als Sozialarbeiter und Dolmetscher. Er begleitet oft Klient_innen bei Behördenbesuchen. Ihnen würden manche Referent_innen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sehr intime Fragen stellen. «Solche Fragen würden jeden verunsichern», ist sich der junge Mann sicher, «aber noch mehr die Personen, die ihr Coming-out noch nicht gemacht haben und aus Ländern kommen, wo es gefährlich wäre, seine Homosexualität einer Behörde zu melden». In Österreich ist es aber umgekehrt für das Asylverfahren wichtig, den Fluchtgrund gut darstellen zu können.
Queer-Feindlichkeit im BFA.
Damit die Flucht in Österreich zu Ende geht, spielt schlussendlich das BFA die wesentlichste Rolle. Als erste Instanz entscheiden seine Referent_innen über die Asylanträge. Letzten Sommer haben Medien merkwürdige Argumente veröffentlicht, mit denen manche von ihnen Anträge ablehnten. In einem Fall hatte ein Wiener Neustädter Referent einem 18-jährigen Afghanen beschieden, «weder Gang, Gehabe oder Bekleidung» aufzuweisen, die auf Schwulsein schließen ließen. Ein 27-jähriger Iraker habe sich umgekehrt «überzogen ‹mädchenhaft›» benommen. Entweder zu nah am Stereotyp oder nicht genug: Beiden Männern wurde die Glaubwürdigkeit abgesprochen.
Die NGO Fairness Asyl berichtete über einen weiteren Fall, in dem ein Referent einem Afghanen nicht glaubte, weil dieser keine Fotos anderer Männer auf seinem Smartphone hatte. Der Asylwerber konnte auch keine Lieblingspornohomepage nennen, was vom Referenten als ein Zeichen verstanden wurde, dass er gar nicht schwul sein konnte …
Über diese schwulenfeindlichen Fälle hinaus – das BFA handelt nach einem Grundsatz: Die Behörde will ausschließen, dass eine Person über ihre Liebesorientierung lügt, in der Hoffnung, somit einfacher Schutz in der Alpenrepublik zu bekommen. «Im Asylverfahren muss das Vorbringen des Asylwerbers nicht bewiesen werden, sondern es reicht die Wahrscheinlichkeit», erklärt der Pressesprecher des BFA, Christoph Pölzl. Ein Asylwerber muss daher seinen Fluchtgrund «nur» glaubhaft machen. «Aufgabe des BFA ist es, in diesem sensiblen Bereich penibel nachzufragen, eventuelle Widersprüche zu klären und dadurch letzten Endes festzustellen, ob eine Person einen Schutzbedarf hat oder nicht».
Christoph Pölzl versichert, dass eine Schulung zum Umgang mit «vulnerablen Gruppen» schon länger fixer Bestandteil der Grundausbildung der Referent_innen ist. 2019 sind nun zwei gesonderte Schulungen zum Bereich LGBTIQ+ geplant. Aber es bleibt die grundsätzliche Frage: Wie sollen sie die sexuelle Orientierung einer Person fix erkennen können?
Beweisführung?
Die Behörde versuche oft herauszufinden, wie sich das Leben der LGBTIQ+-Personen in Österreich gestaltet, so die Rechtsanwältin Doris Einwallner, die Schutzsuchende, etwa auf Anfrage des Vereins Afro Rainbow Austria, vertritt. Wenn diese nicht nachweisen können, dass sie hier in der Szene aktiv seien oder eine Beziehung führen, werde rasch an ihrer Glaubwürdigkeit gezweifelt. «Das kann ja aber ganz andere Gründe haben», regt sich Einwallner auf, «etwa weil die Person noch keine Ahnung hat, wie sie Kontakte herstellen kann, weil sie sich fürchtet, dass es eine große Community aus dem Herkunftsland gibt und aus vielen anderen Gründen. Ich muss ja nicht eine Beziehung führen, um queer zu sein!»
Bis zu einem gewissen Grad verstehe die Juristin zwar die Schwierigkeit der Behörde. De facto könne man am Aussehen einer Person nicht festmachen, welche sexuelle Orientierung sie habe. Daher, so ihre Ansicht, «müsste im Zweifel der Antrag positiv erledigt werden, wenn es keine Hinweise gibt, dass das Vorbringen tatsächlich nicht stimmt». Es gehe schließlich ganz oft um Leben und Tod.
Es hilft, wenn Asylwerber_innen bei einer Organisation wie Afro Rainbow Austria oder Queer Base schnell andocken. Nicht nur finden sie dort eine mögliche neue Community, Beratung und konkrete Hilfe, sondern sie machen sich auch durch diesen Bezug zur heimischen Szene in den Augen des österreichischen Staates «glaubhaft gay».