Dem Book Shop im Jüdischen Museum wurde der Pachtvertrag gekündigt
Trotz Amazon und Co. konnte sich der Book Shop Singer im Erdgeschoß des Jüdischen Museums behaupten, doch Museumsdirektorin Danielle Spera kündigte den Pachtvertrag. Über die widersprüchlichen Hintergründe berichten Robert Sommer (Text) und Victor Halb (Fotos).
Vier große Plagen machen den kleinen, feinen, unabhängigen Buchhandlungen in Berlin das Leben schwer, war in einer deutschen Zeitung, die sich um das Überleben der Buchläden Sorgen machte, zu lesen. Der Satz stimmt auch, wenn Berlin durch Wien ersetzt wird. Beide Metropolen verblüffen externe Neoliberalismuskritiker_innen, die bereits ihre ultimativen Nachrufe auf das Buch im Allgemeinen und die Buchläden des Stils «öffentliches Wohnzimmer» im Besonderen im Köcher tragen. Denn in Wien wie in Berlin scheint der Prozess, der überall sonst eher rasch zu einer Verdrängung der Kleinen zugunsten der Buchhandelsketten führt, pomalisiert zu sein. Ein besonders philowienerischer Schriftsteller, der verstorbene Peter O. Chotjewitz, wusste über seine Fantasie-Margaretenstraße zu berichten, dass in jedem zweiten Haus Bücher in der Auslage stehen. Das ist zwar in der realen Margaretenstraße nicht ganz der Fall, aber hinter der Übertreibung des Autors wird das Klischee sichtbar: Wien widersteht der Virtualisierung des Buches. Wie die Bücher rochen, so sollen sie weiter riechen.
Vier Plagen also, die für die kleinen Buchläden ums Verrecken entbehrlich sind. Plage Nummer eins: die großen Buchhandelsketten. In ihren Filialen ist immerhin der Geruch der Bücher noch wahrzunehmen, aber fragen Sie einmal einen Verkäufer oder eine Verkäuferin, welche der zurzeit handelbaren Bücher über die Russische Revolution nicht blind gegenüber dem Aufstand von Kronstadt sind! Plage Nummer zwei: Amazon und Co., die niederdrückende Konkurrenz aus dem Internet. Plage Nummer drei: der Angriff des E-Books auf das obsolete Ding, das sich bloß mit feuchtem Daumen weiterblättern lässt. Plage Nummer vier: die Wirtschaftskrise, die dir das Geld aus der Tasche zieht, das früher für gute Bücher noch bereit lag.
Tendenziell trifft die Kombination der bedrohlichen Entwicklungen auch auf den Book Shop der Dorothy Singer im Erdgeschoß des Jüdischen Museums zu; die Pächterin des Ladens, seit 1993, also seit der Gründung des Museums hierorts aktiv, hat jedoch in einer Symbiose mit Museumsbesucher_innen und Stammkund_innen an einer Immunisierung ihres Shops gegen die aufgelisteten Plagen gearbeitet. Eine Funktion, die das Geschäft besonders gut erfüllt und die es von Amazon und Thalia besonders deutlich abhebt, hat den Schriftsteller Doron Rabinovici zu folgender berührender Würdigung veranlasst: «Zuweilen scheint mir, als sei die ganze Dorotheergasse (wo Museum und Buchhandlung situiert sind, die Red.) in Wirklichkeit nach Dorothy Singer benannt.» Rabinovici spielt auf den Kommunikationszentrums-Charakter der Buchhandlung an. Und auf deren Seele, die mit der Leidenschaftlichkeit einer Textesüchtigen dafür sorgte, dass ihr Laden heute mehr als bloß ein Anhängsel des Museums ist.
Die Tage sind gezählt.
Genau das, nämlich den Buchladen zum Anhängsel zu machen, sei die Intention der Direktorin Danielle Spera, meinen viele, die nun für Singer Partei ergreifen. Die «Plage Nummer fünf», die der Buchhändlerin mehr zusetzt als die vier anderen Plagen, hat somit Namen und Adresse. «Das wurde schon nach der ersten Aussprache zwischen Danielle und mir, knapp nach ihrer Bestellung zur Museumsdirektorin, unübersehbar», meint Dorothy Singer im Augustin-Gespräch. «Das war vor sieben Jahren. Unser Gespräch endete mit Danielles Bemerkung, sie könne ja ihr räumliches Konzept, das auf eine Verkleinerung der Buchverkaufsfläche hinauslief, mit einer anderen Person vollstrecken. Ich wusste also schon nach unserem ersten Gespräch, dass meine Tage gezählt sind. Dass es dann noch sieben Jahre dauerte, bis Danielle ihren Plan umsetzte, ist eigentlich überraschend.»
Entgegen mancher Berichte läuft der Pachtvertrag zwischen Museum und Buchhandlung zu Ende des Jahres nicht aus: Die Direktorin stornierte den Vertrag einseitig und stellte diesen Akt in der Öffentlichkeit als einen «im modernen Museumsbetrieb völlig normalen Vorgang des Pächterwechsels» dar. Die neue Pächterin, die das Geschäft am 1. Jänner 2018 übernehmen soll, wird von Rabinovici als Person beschrieben, die «bisher nicht im Buchhandel tätig war und nicht auf jüdische Themen spezialisiert gewesen» sei.
Wer in dieser Randbemerkung des jüdischen Intellektuellen eine Infragestellung des zeitgenössischen Kults des Quereinsteigertums zu erkennen glaubt, liegt wohl nicht viel daneben. Rabinovicis Modernisierungskritik ist für viele nachvollziehbar, zumal das Lob des Quereinsteigens in Politik, Wirtschaft und Kultur immer mit einer gesellschaftlichen Entwertung der Kompetenzen der jeweiligen Vorgänger_innen einhergeht. Die ehemalige ORF-Moderatorin Spera, eine doppelte Quereinsteigerin in das Museumswesen (vor sieben Jahren katapultierte sie sich ins Jüdische Museum, und vor vier Jahren wurde sie Präsidentin des Österreichischen Nationalkomitees des International Council of Museums), bedient das «Immer wird alles neu»-Dogma des Neoliberalismus mithilfe ihres Rufs als Medienstar fast ideal. Aber nur fast, denn ihr Ruf ist durch den Freund und Feind verblüffenden Erfolg der Online-Petition für den Erhalt der Buchhandlung Singer und gegen die Touristisierung und Kommerzialisierung des Shops zweifellos ramponiert. Mit fast 3000 Unterzeichner_innen (bei Redaktionsschluss) ist die Petition zur kritischen Masse geworden, die Politiker_innen veranlassen könnte, Stellung zu beziehen (im konkreten Fall sind Wiens Politiker_innen gefragt, da das Museum eine Einrichtung der Wien Holding ist).
Eine «unersetzbare Notwendigkeit».
In einem kritischen Rundumschlag gegen Singer – das Angebot des Book Shops werde kaum mit den Themen der Ausstellungen abgestimmt, so lautet eine Kritik – wird ein seltsamer Vorwurf erhoben: Singer ignoriere die Bedürfnisse der vielen ausländischen Gäste nach einem Führer durch das jüdische Wien. Dazu Michael Baiculescu vom Wiener Mandelbaum Verlag, ein wichtiger Partner der Jüdischen Buchhandlung: Jedes Jahr verkaufe die Buchhandlung Singer mehrere hundert Exemplare des englischsprachigen Readers «Jewish Vienna» aus seinem Verlag. Baiculescu nennt als mögliches Motiv der Kündigung des Pachtvertrags einen inoffiziellen Einsparungsauftrag seitens der Wien Holding. Mit einem Vertragswechsel, der größere Einnahmen aus der Pacht ab Anfang 2018 ermögliche, könne die Museumsleiterin einen Teil der «Sanierung» des Museumshaushalts finanzieren.
Welche Stimme der Solidarität sie besonders berührt habe, will der Augustin zum Schluss wissen. Dorothy Singer überlegt lang und nennt dann das Statement Doron Rabinovicis. «Singers Laden», schreibt dieser, «ist mehr als eine Museumsboutique. Die Buchhandlung bietet eine Perspektive der Vielseitigkeit auf das Jüdische schlechthin. Sie verführt zum Lesen jenseits aller Zuschreibung. Sie lädt ein, sich zwischen den vielen Titeln zu verlieren und in den Wörtern wiederzufinden (…) Singers Book Shop in der Dorotheergasse ist für unsere Stadt und ihre jüdische Gemeinde eine unersetzbare Notwendigkeit.»