Vorab-Besprechung
Etwa 3500 Frauen waren wegen des «Verkehrs mit Fremdvölkischen» inhaftiert, der verbotene Umgang wurde zum Massendelikt im Deutschen Reich. Das Mitte April erscheinende Buch Das Selbstverständliche tun widmet sich der Geschichte der Salzburger Bäuerin Maria Etzer. Hannah Menne hat es vorab gelesen.
Maria Etzer war 1945, nach über zwei Jahren Haft bei den «Politischen» im NS-Zuchthaus Aichach, schwer gezeichnet. Danach kam die Stigmatisierung. Die Rückkehr zum eigenen Hof blieb ihr verwehrt. Ihr Ansuchen um Opferfürsorge sollten die Behörden in allen Instanzen abschmettern. Das Buch Das Selbstverständliche tun dokumentiert Etzers Geschichte, die stellvertretend für viele weitere steht.
Etzer war das erste, uneheliche, Kind einer Dienstmagd. Erst im Alter von 20 Jahren gelang ihr der «Aufstieg» aus dem vorbestimmten Elend: Ein angehender Bauer, zwölf Jahre älter als sie, hielt mitsamt unehelicher Tochter um ihre Hand an: «I nimm di und loss di onschreiben auf den Besitz.» Als er 1914 ins «Feld der Ehre» einrückte, hatte sie drei Mädchen, 1925, mit 35 Jahren, ist Etzer Witwe – der Mann starb an den Folgen des Ersten Weltkriegs. Fünf von neun geborenen Kindern sind am Leben.
Todesstrafe für Schwarzschlächter.
Nach dem ersten Jahr des Zweiten Weltkriegs hört Etzer unentwegt Appelle: «Wie steigere ich meine Kartoffelerträge?» «Wie kann ich beim Kochen Fett einsparen?» Der Ablieferungszwang steigt. So wurden 1932 knapp 40 Prozent der erzeugten Milchmenge an Molkereien geliefert, 1939 bereits 63 Prozent. Harte Strafen gab es für Hamsterer und Schwarzschlächter, es drohte gegen Ende des Krieges sogar die Todesstrafe. Ohne den Einsatz von Kriegsgefangenen und «Fremdarbeitern» wäre die Ernährungswirtschaft spätestens 1942 zusammengebrochen. Ihre Sicherung lag vor allem bei den weiblichen bäuerlichen Familienangehörigen und den «Fremdvölkischen».
Zu Beginn der 40er-Jahre war Maria Etzers einziger Sohn Hans im Russlandfeldzug gefallen. Etzer bekam eine 17-jährige ukrainische «Fremdarbeiterin» und einen 30-jährigen französischen «Fremdarbeiter» als Dienstboten an den Hof gesandt. «Dieser Kriegsgefangene war mir als Hilfskraft zugeteilt und war ein sehr fleißiger Arbeiter. Ich habe ihn daher auch so behandelt wie einen heimischen Arbeiter, der fleißig und arbeitsam ist», so Etzer in den Zuchthausakten.
Im KZ Aichach.
Maria Prieler Woldan, die Etzers Geschichte aufgeschrieben hat, berichtet davon, dass «die NSDAP unentwegt über diese Verhältnisse klagte: dass Bauern die Gefangenen wie Glieder der Hausgemeinschaft behandeln, (…), dass zum Arbeitseinsatz eingesetzte Arbeitsmaiden ihre Mahlzeiten an getrennten Tischen einnehmen müssen, während der schon lange beim Bauern beschäftigte Kriegsgefangene mit am Familientisch sitzt. Der Vorwurf des ‹sehr intimen› Verkehrs mit mehreren Kriegsgefangenen könnte auf gesellige Kontakte untereinander schließen lassen, denn Etzer ermöglichte kriegsgefangenen Franzosen der Umgebung sonntägliche Treffen auf ihrem Hof.» Die Autorin spricht von einer Kette von Gerüchten und Denunziationen, die in der Familie begannen, bis die Bäuerin schließlich vom Nachbarn «wegen verbotenen Umgangs» angezeigt wurde. Was folgte, trug die Autorin aus Archivmaterial und Interviews mit den noch lebenden Enkelkindern zusammen: «Nachdem die Großmutter im Spital verhaftet wurde, waren die Kinder am Buchberg ganz allein, die Gans ist entkommen und nach Lend hinunter geflogen. Dies offenbar, um ihre Besitzerin zu suchen, denn Gänsen sagt man große Intelligenz und eine sehr intensive Beziehung zum Menschen nach.»
Detailreich werden Verrat und Verfolgung durch den Nationalsozialismus beschrieben und dieser Fall mit ähnlichen, von anderen «Bettpolitischen» verglichen. Allzu lange waren nicht nur staatliche Behörden, sondern auch die Wissenschaft blind: Erst 2001 taucht das Thema der «Geschlechtsverbrechen» am Österreichischen Zeitgeschichtetag auf.
Konzept der Lebenssorge.
Für Etzers aufrechte Haltung und widerständige Handlungen entwickelte Prieler-Woldan ein Konzept der Lebenssorge: «Lebenssorge fängt dort an, wo eineR sich selbst Mitgefühl erlaubt, obwohl es von einem totalitären Regime verboten ist (…) Der Blick der Liebe im weitesten Sinn gilt einem Individuum, (…) – auch wenn ihn oder sie eine willkürlich gesetzte Norm als minderen Menschen definiert, dem kein Ansehen, keine Sorge und Fürsorge zusteht – und auch keine Sorglosigkeit: keine Freizeit, kein Fest und (…), kein sexuelles Glück, kein Leben, kein Über- leben.»