Die Gehsteigkämpfer_innentun & lassen

Wohnen in Bukarest

Enteignung & Restitution, Investment & Zwangsräumung. Vom Immobilienmarkt in Bukarest und den Kämpfen der Bewohner_innen  erzählt Lisa Puchner.

«Die Räumungen begannen 2007 und hielten bis jetzt an. Wir glauben, dies ist nun die letzte Phase. Es gibt nicht mehr viel zu nehmen», sagt Cristina R. in der Dokumentation A început ploaia/It started Raining (2017) von Michele Lancione. Sie ist ehemalige Mieterin eines geräumten Wohnhauses im Stadtteil Rahova-Uranus im Zentrum Bukarests. Beim Thema Räumung und Privatisierung spielt in Rumänien auch die Rückgabe von Immobilien eine Rolle, die im Realsozialismus verstaatlicht worden waren. Räumungen im Kontext solcher Restitutionen gehen jedoch zu Ende, erzählt der Ethnograph und Aktivist Lancione: «Weil es keine Häuser in öffentlichem Besitz mehr gibt.»

Ein Haus im Zentrum. Michele Lancione ist Teil der Initiative Frontul Comun pentru Dreptul la Locuire, die sich 2013 infolge der Delogierungen von Rahova-Uranus gebildet hat und gemeinsam mit Betroffenen für das Recht auf Wohnen kämpft. So auch bei der Räumung eines Wohnhauses in der Vulturilor 50 im Zentrum Bukarests im Jahr 2014. Der Dokumentarfilm von Lancione erzählt vom Widerstand der Bewohner_innen, die – zum Großteil Roma – über 30 Jahre in ihrem Haus gelebt hatten. 2002 war das Gebäude restituiert worden, fünf Jahre später verkaufte der Besitzer die Immobilie an einen Investor weiter. Der ließ das Gebäude 2014 räumen.
Der private Wohnungsmarkt war für den Großteil der geräumten Mieter_innen nicht leistbar. Obwohl die meisten von ihnen nach rumänischem Gesetz Anspruch auf sozialen Wohnbau hatten, bekamen sie von den städtischen Verantwortlichen keine andere Alternative als Obdachlosenheime angeboten. Fast zwei Jahre lang besetzten die Bewohner_innen daraufhin den Gehsteig vor dem geräumten Haus, um für ihr Recht auf würdiges Wohnen zu kämpfen. Im Sommer 2016 wurden die provisorischen Behausungen von der Straße geräumt, die Familien in Obdachloseneinrichtungen untergebracht. Heute haben einige von ihnen eine Wohnung gefunden, andere sind nach wie vor obdachlos. Das Gebäude selbst existiert nicht mehr.

Erst enteignet, dann verscherbelt. Die Geschichte der Vulturilor-Community wird erst im Zusammenhang mit der Privatisierung des Immobilienmarktes nach der Wende verständlich. In den 1950er-Jahren wurden in Rumänien große Teile des Wohnbestands enteignet und verstaatlicht – das betraf auch das Zentrum Bukarests, wo die Häuser meist von niedrigem Wohnstandard und überfüllt waren. Ende der 1960er zogen im Zuge der neuen Stadtplanung Ceaușescus’ viele Bewohner_innen in die Neubauten außerhalb des Zentrums um. Seit den 1980ern wohnten vermehrt die ärmsten Gesellschaftsschichten – oftmals Roma – in den mittlerweile unattraktiv gewordenen Zentrumslagen. Nach Ende des Realsozialismus begannen die Privatisierungen. Zwar erlaubte ein Gesetz von 1995 Bewohner_innen, ihre Häuser selbst zu kaufen – das konnten sich die ärmeren Mieter_innen allerdings nicht leisten. 2001 wurde ein Restitutionsgesetz beschlossen: Ehemalige Besitzer_innen konnten die Übertragung ihrer Immobilien anfordern. Nach einer Restitution hatten die Mieter_innen fünf Jahre die Garantie, in ihren Wohnungen bleiben zu dürfen, doch nach Ablauf dieser Frist wurden viele Häuser an Investor_innen weiterverkauft und anschließend zwangsgeräumt. Hiervon sind Roma unverhältnismäßig oft betroffen, denn gerade die zentral gelegenen Häuser sind heute für das Immobilienkapital von Interesse. Dabei handele es sich auch um eine bewusste Politik der Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten aus der Stadt, meint die Soziologin Nóra Teller, die zu sozialem Wohnbau und Ausschlussmechanismen in Osteuropa forscht.

Leitfaden gegen Räumungen. Das Aufbegehren der Vulturilor-Community war der bisher sichtbarste Protest einer Gemeinschaft von Roma gegen Räumungen. Oftmals setzen Betroffene sich nicht zur Wehr, sondern kommen im erweiterten Bekannten- oder Familienkreis unter. Die Konsequenz der Räumungen ist dann nicht Widerstand, sondern Überbelegung und noch schlechtere Wohnverhältnisse. Wenn auch der sichtbare Protest vor dem Haus wortwörtlich weggeräumt wurde, besteht der Widerstand im Fall Vulturilor 50 fort. Nicoleta Vișan, eine der Bewohner_innen, arbeitet jetzt gemeinsam mit Frontul Comun pentru Dreptul la Locuire an einem Buch. Darin soll einerseits Nicoletas persönliche Erfahrung als Aktivistin und Romni dargestellt, andererseits ein Leitfaden für von Räumung Betroffene und solidarische Aktivist_innen erarbeitet werden. Denn Ziel ist es, über den Einzelfall hinaus gegen die Individualisierung und Kriminalisierung von Obdachlosigkeit und Armut zu kämpfen.

Das Buch von Nicoleta Vișan et al. erscheint im September 2019 auf Rumänisch und 2020 auf Englisch und wird online kostenlos verfügbar sein.
Blog: jurnaldinvulturilor50.org
Film: www.ainceputploaia.com