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Der stille Riese – Ein von den Medien kaum wahrgenommener Machtfaktor: die Raiffeisengruppe (Teil 1)

Ein Mangel an Eisen ist schlecht für den Körper. Das ist allgemein bekannt. Ein Mangel von Raiffeisen wäre demgegenüber gut für die Demokratie. Eine zu hohe Raiffeisenkonzentration ist schädlich für den Staat. Das sollte die Gesellschaft langsam begreifen. Eine Serie von Lutz Holzinger und Clemens Staudinger will dazu einen Beitrag leisten.Raiffeisen hat sich heimlich, still und leise von den Anfängen einer bäuerlichen Selbsthilfe-Organisation nach der Bauernbefreiung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur heute größten Wirtschaftsgruppe unseres Landes entwickelt. In den Spitzenpositionen stehen durchwegs Männer, die ihr rurales Image nicht verbergen und trotz ihrer führenden Stellung in der jeweiligen Branche nicht wie ausgebuffte Manager auftreten.

Primus inter pares ist Christian Konrad, der als Generalanwalt und damit Chef des Raiffeisenverbandes, in dem sämtliche Fäden des Konzerns zusammenlaufen, über vierzehn Aufsichtsratsmandate (zumeist als Vorsitzender) verfügt. Die bäuerliche Bodenhaftung wird von seinesgleichen durch biedermännisches Auftreten und bescheidene Entertainments wie ein jährliches Sauschädelessen allerdings unter Beteiligung der Hautevolee zelebriert. Dass es auch anders geht, zeigte Klaus Liebscher, der es als ehemaliger Chef der Raiffeisen Zentralbank (RZB) erst zum Präsidenten und später zum Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank gebracht hat. Weniger ein persönliches Verdienst als Zeichen für den Einfluss des Giebelkreuzes, unter dem Raiffeisen firmiert.

Dass der zentrale Stellenwert der Organisation keine Unterstellung ist, zeigt eine Aussage im Klappentext des Prachtbandes «Raiffeisen in Österreich Siegeszug einer Idee», der anlässlich der hundertsten Wiederkehr des Gründungstages des Raiffeisenverbandes im Jahr 1998 erschienen ist. Darin heißt es: «Raiffeisen Österreich ist im Jubiläumsjahr der größte private Arbeitgeber der Republik. Raiffeisen Österreich beschäftigt an die 48.000 Menschen.» Mehr als zehn Jahre später ist die Zahl der unmittelbar Beschäftigten im Inland auf über 56.000 gestiegen. Am 25. Juni 2009 vermeldet das deutsche «Handelsblatt», 200.000 Menschen stünden direkt oder indirekt auf den Lohnlisten der Gruppe.

Weiter in der Festschrift: «Ursprünglich waren diese Genossenschaften rein auf die Belange ihrer bäuerlichen Mitglieder zugeschnitten. Die großartige Aufbauarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg brachte sehr rasch eine Erweiterung der genossenschaftlichen Tätigkeit für den Konsumenten. Hand in Hand mit dieser Entwicklung geht der Aufschwung in der Bedeutung der Raiffeisengenossenschaften, die den Hauptteil der Ernte an Getreide, Ölsaaten und Kartoffeln übernehmen, für Saatgut, Dünger, Maschinen, Werkstättendienste, Baustoffe sorgen, den Großteil der Milch vermarkten und die Hauptfinanciers von Landwirtschaft, Fremdenverkehr und Gewerbe sind. Durch vielfältige Beteiligungen und Tochterunternehmen sind Raiffeisenfirmen fast in allen Schlüsselbereichen der österreichischen Wirtschaft tätig.»

Eigenartiges Wesen der Dreieinigkeit

So sehr Raiffeisen mittlerweile nach eigenen Angaben um mehr als 4 Millionen Kunden und 2,1 Millionen Mitglieder bemüht ist, vor allem im ländlichen Raum aufgeigt und immer weiter nach Wien vordringt, handelt es sich bei der Organisation um ein weitgehend ebenso unbekanntes wie eigenartiges Wesen. Im Grunde ist der Genossenschaftskomplex Teil eines einzigartigen Konglomerats, das über einen politischen, einen ständischen und einen wirtschaftlichen Ausleger verfügt: Die Dreifaltigkeit von Bauernbund, Landwirtschaftskammern und Genossenschaft ist in der Welt einmalig und gewährleistet die unangefochtene Stellung der Wirtschaftsorganisation in der gesamten «Nahrungsmittelkette» vom Bauernhof und Traktor bis zum Fertigmenü.

Nur wer aufpasst wie ein Haftelmacher weiß, hinter welchen Markenamen Raiffeisen steckt. Demel und das Looshaus, Inzersdorfer und Kellys, Uniqua und DO & CO, die gesamte Zuckerproduktion des Landes, und wenn Polizeipräsident Pilch in der Kottan-Serie gegen einen Kaffeeautomaten tritt, so legt er sich mit dem Produkt einer Raiffeisenfirma an. In Österreichs Wirtschaftskreislauf gibt es kaum einen Bereich, in dem Raiffeisen nicht zum Vorschein kommt, wenn man lang genug kratzt. Das gilt insbesondere für die Medien, weshalb man sich nicht zu wundern braucht, wie wenig über die Macht des Konzerns bekannt ist. Weder gute noch schlechte, sondern gar keine Presse gilt den Chefs der Raiffeisenfirmen als optimal.

Die Dreiheit gehört offenbar zu Raiffeisen wie das Amen zum Gebet. Die Genossenschaft ist unter der Hand des Raiffeisenverbands in die drei Sektoren Geld, Ware und Milchverwertung gegliedert: Dazu kommen weitere Genossenschaften und Beteiligungen «in strategisch wichtigen Bereichen der österreichischen Wirtschaft», wie es auf der Raiffeisen-Website heißt. Dreigeteilt ist auch die Organisationsstruktur; von der lokalen bis regionalen Primärebene geht es für jeden Sektor getrennt über die Landesebene (Stufe 2) zur Bundesebene (Stufe 3).

Zahlen, die sich gewaschen haben


Welche geballte Macht in dem Fall mehr oder weniger getrennt marschiert, aber notfalls gemeinsam zuschlägt, spricht aus den Erfolgszahlen des Unternehmenskonglomerats. Es verfügt auf der Primärebene in Österreich über 560 Raiffeisenbanken mit 1749 Bankstellen. Die 95 Lagerhausgenossenschaften dirigieren 41 Lagerhäuser, 478 Lagerhausmärkte, 735 Filialen und Abgabestellen und kontrollieren zwei Drittel der Getreideernte und anderer Feldfrüchte. Die Molkereigruppe kann mit folgenden Marktanteilen aufwarten: 99 % bei Frischmilch, 95 % bei Butter, 80 % bei Fruchtjoghurt, 85 % bei Schnittkäse und 66 % bei Hartkäse.

Dazu kommen rund 800 Verwertungsgenossenschaften ebenso für Vieh und Hackschnitzel, Ölfrüchte und Wein wie für Bergkräuter, Imker und Holzschnitzer. Besondere Juwele befinden sich unter den Beteiligungen, die der Verband in vier Sparten aufteilt:

*.Industrie, Handel und Markenartikel

* Versicherungen

* Medien und Telekom

* Dienstleistungen und Fremdenverkehr

Klingende Namen aus diesem Bereich wurden bereits angeführt. Zu erwähnen sind die Miteigentümerschaft an der Tageszeitung «Kurier», der «Kurier» Magazingruppe («Profil» usw.) und der Mediaprint, über die Raiffeisen indirekt mit der «Kronen Zeitung» verflochten ist. Übrigens spielt Raiffeisen über die Lagerhäuser selbst beim Autohandel und in der Kfz-Reparatur eine wichtige Rolle, die allerdings nicht an die große Glocke gehängt wird.

In weiteren Folgen der Serie soll auf die einzelnen Sektoren und Spezialitäten des Hauses näher eingegangen werden. Im nächsten Augustin vergleichen wir die Bilanzsummen der Raiffeisenbanken und -unternehmen mit den Budgets der Republik Österreich und der Bundesländer. Offen gestanden, setzen wir als Verfechter der Zwei-Weg-Kommunikation auf zusätzliche Informationen über Raiffeisenpraktiken aus unserem LeserInnenkreis.

Dollfuß als Ezzesgeber

Nachdem ein Bild des 1934 von Nazis ermordeten Engelbert Dollfuß, Totengräber der österreichischen Demokratie in der 1. Republik, noch immer im Sitzungssaal des ÖVP-Parlamentsklubs hängt, wundert es nicht, in der Raiffeisenfestschrift zum 100. Verbandsjubiläum auf folgenden Text zu stoßen: «Relativ wenig bekannt ist, dass der 1934 auf so tragische Weise ums Leben gekommene Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß sich ab 1929, nach dem Studienjahr in Berlin, intensiv mit dem Genossenschaftswesen auseinandergesetzt hat. Auf Dollfuß geht das Dreisäulenmodell der Landwirtschaft zurück, ruhend auf der politischen (Bauernbund), der ständischen (Landwirtschaftskammer) und der wirtschaftlichen Interessenvertretung.» (S. 79) Weiter heißt es: «Die Idee des Kammeramtsdirektors der Niederösterreichischen Landes-Landwirtschaftskammer, Dr. Engelbert Dollfuß, mit Hilfe einer zentralen Getreideeinfuhrstelle die Turbulenzen bei Getreide in den Griff zu bekommen, wird vom Allgemeinen Verband zustimmend zur Kenntnis genommen. 1933 wird sie sich realisieren lassen.» Der guten Ordnung halber: 1933 war das Jahr, in dem sich Dollfuß durch die Ausschaltung des österreichischen Parlaments zum Diktator machte.

Das Trauma

Die SPÖ-Alleinregierung von 1970 bis 1983 hat offensichtlich zu einem nachhaltigen Trauma bei der Raiffeisen Führungscrew geführt. In der erwähnten Festschrift wird betont, dass die Entscheidungsgremien frei von jedweden rotem Einfluss auch unter einer SP-Regierung blieben: Nachdem 1987 das Agrarressort wieder in die Hände der ÖVP bzw. des Bauernbunds gelangt, wird in der Chronik Raiffeisen in Österreich Siegeszug einer Idee die Tatsache unterstrichen, dass es im Wege der demokratischen Entscheidungsprozesse keinem sozialistischen Spitzenpolitiker gelang, in die Organe der Raiffeisengenossenschaften gewählt zu werden. Mit «sozialistisch» ist übrigens sozialdemokratisch gemeint aber das ist eine andere Geschichte. Wie abgeschottet die diversen Kontrollgremien sind, veranschaulicht ein exemplarisches Beispiel aus dem Bereichen Bank und Versicherung: Am Vormittag kontrolliert RZB-Vorstandschef Walter Rothensteiner in seiner Funktion als 2. UNIQA-Aufsichtsratspräsident den UNIQA-Vorstandsdirektor Gottfried Wanitschek. Am Nachmittag kontrolliert Wanitschek in seiner Funktion als Aufsichtsrat der RZB den RZB-Generaldirektor Rothensteiner. Am Abend sitzen beide Herren dann im Aufsichtsrat der Kurier Zeitungsverlag und Druckerei GmbH und kontrollieren dort gemeinsam.

Zur gesamten Raiffeisenserie: siehe Link unten

«Die Raiffeisengruppe» 

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