Die Geschichte eines Wirtschaftsflüchtlingstun & lassen

Von Tong nach Brooklyn ...

Der Westen Irlands und Schottlands erfüllte lange Zeit alle Kriterien dessen, was Donald Trump «shithole countries» nannte. Seine Bevölkerung war weiß, bisweilen sogar protestantisch, und dennoch nicht davor gefeit, wie «Tiere» behandelt zu werden, als welche der Präsident der USA neulich erst illegale Einwanderer bezeichnete. Richard Schuberth erzählt hier die exemplarische Geschichte einer solchen Immigrantin.

Foto: k.k.

Màiri Anna NicLeòid wurde 1912 in dem winzigen Fischerdörfchen Tong auf der Hebriden-Insel Lewis in extreme Armut geboren. Die Hütten von Tong waren aus Stein gebaut und mit Stroh gedeckt, in manchen lebten die Bewohner_innen noch mit ihrem wärmenden Vieh zusammen und kauerten im Winter um offene Feuerstellen. Die Hütte ihrer Eltern besaß immerhin zwei Schlafzimmer, die sie mit neun Geschwistern teilen musste.

1929 bestieg Màiri Anna NicLeòid in Glasgow das Passagierschiff RMS Transylvania in Richtung New York, wo ihre Schwester Catriona lebte, die wegen eines unehelichen Kindes den Druck der presbyterianischen Kirche hinter sich gelassen hatte.

Es gibt einige Indizien dafür, dass Màiri illegal, also nur mit einem Besuchervisum, eingereist war. Die folgenden Jahre arbeitete sie als Dienstmädchen und war zeitweise arbeitslos. Sie gehörte genau zu jener «Flut von Einwanderern», die Donald Trump zufolge «schlecht bezahlte Jobs annehmen, die Löhne in den USA niedrig halten und die Erwerbslosigkeit hochtreiben» würden, weshalb man sie vom Land fernhalten oder vertreiben müsse.

Man könnte nun einwenden, dass NicLeòid weiß und protestantisch war und man ihr Schicksal trotz all seiner Härten nicht mit dem der rassistisch markierten lateinamerikanischen, asiatischen, süd- und osteuropäischen Migrant_innen oder der Nachfahren der afrikanischen Sklav_innen vergleichen könne. Das stimmt – bedingt nur allerdings.

NicLeòid stammte vom nordwestlichen Außenposten einer Region, die dem englischen Aufklärer Samuel Johnson 140 Jahre vor ihrer Geburt noch fremder und exotischer erschien als weite Teile Afrikas, und sie war Mitglied einer ebenso diskriminierten wie romantisierten ethnischen Minorität. Englisch lernte sie erst in der Schule, dort rief man sie als Mary Anne MacLeod an die Tafel.

Lewis im Besitz des Drogenbarons.

Eine Generation vor Johnsons Reise zu den Hebriden waren deren Einwohner_innen immer wieder in die Sklaverei nach Amerika verkauft worden, und zwar nicht von der Kolonialmacht in London, sondern den eigenen Feudalherren, deren Clans linke Keltophile sich noch immer gerne als egalitäre Gemeinschaften zurechtfantasieren. Es war der Auftakt zu den sogenannten «Highland Clearances», jener bis ins 20. Jahrhundert andauernden Vertreibung der Kleinpächter_innen, um Ackerland in lukrativeres Weideland umzuwandeln. Viele der Vertriebenen konnten ihre hochlandschottische Identität in Westkanada, vor allem Nova Scotia und Cape Breton weiterführen. Andere stockten in den Städten Amerikas und Großbritanniens das dort entstandene Industrieproletariat auf. Auf dieser sozialen Stufe war Protestantismus nur ein geringfügiger Startvorteil. Zudem hingen noch viele der Hochländer dem katholischen Glauben an. In Glasgow zum Beispiel verschmolz dieses hochlandkatholische Element mit den irischen Gastarbeitern zu jener auch konfessionell und ethnisch marginalisierten Bevölkerung, aus der sich die Fans von Celtic Glasgow rekrutieren.

Den ersten Eindruck von Klassenunterschieden bekam Màiri alias Mary beim Kirchgang nach Stornoway, wo sich in nur einer Straße die mehrstöckigen Steinhäuser der Händler gruppierten. Diese hatten die Mathieson Road für die Öffentlichkeit – sprich: den Pöbel – sperren lassen. Somit war auch Mary und ihrer Familie sowie allen Bauern und Fischern untersagt, durch jene Gated Community zu flanieren. Die Straße war nach dem staatlich konzessionierten Drogenbaron Sir James Mathieson benannt, der die Insel Lewis im Jahr 1844 mit dem Geld erstand, das er aus der erzwungenen Öffnung Chinas für den Opiumhandel lukriert hatte.

Wäre Màiri Anna NicLeòid hundert Kilometer weiter südlich auf der Hebrideninsel Barra zur Welt gekommen, wäre sie nicht protestantisch, sondern katholisch gewesen, und als katholische Gälin gleich den kulturverwandten Westiren im rassistischen Ranking der anglosächsischen Gesellschaft zu beiden Seiten des Atlantiks um viele Stufen tiefer gefallen.

Renitente Wilde.

Wie Theodore W. Allen in seinem Buch Die Erfindung der weißen Rasse nachwies, standen irische Sklaven und «Schuldknechte» in den amerikanischen Kolonien des 17. Jahrhunderts im Status bisweilen unter den afrikanischen. Warum? Rassische und zivilisatorische Überlegenheitsdiskurse hoben in ihrer Systematik erst mit der Verwissenschaftlichung der Welt an, zu dieser Zeit galten noch das Wort Gottes und die pragmatischen Gesetze des Marktes. Die menschliche Ware in ihrer irischen Form war schlichtweg billiger als die schwerer zu beschaffenden Afrikaner_innen. Aber nicht nur in ihrer irischen. Mit Henry VIII. hatte im Königreich eine beispiellose Kriminalisierung aller Randständigen, Fahrenden, Arbeitslosen und von ihrem Land vertriebenen Bauern begonnen, deren Versklavung war eine praktische Methode, dem zu dieser Zeit aufdräuenden Manufaktur- und Rüstungskapitalismus sowie der Marine die Lohnkosten zu ersparen. Die Zwangsverpflichtung zu «gemeinnützigen Tätigkeiten» unserer Tage für Arbeitslose, Roma und Asylwerbende ist nicht nur Nachhall, sondern Renaissance dieser Tendenz, der Versuch, den dünnen Humus der abendländischen Zivilisation mit altbewährten Konzepten aufzuwühlen und umzugraben. Am Anfang solcher Disziplinierung steht immer die ideologische Schuldumkehr, die Markierung der Armen und Fremden als Schmarotzer, als Bedrohung der Ordnung, als – Tiere. Katholische und Gälisch sprechende Iren galten als renitente Wilde. Besonders unter der puritanischen Diktatur Oliver Cromwells wurden Iren en masse (an die 200.000 «Seelen») in die Kolonien verschleppt.

Dort wurden sie um 5 Pfund gehandelt, während Afrikaner etwa 50 Pfund kosteten. Aus diesem Grund zwangen Sklavenhalter irische Mädchen mit afrikanischen Sklaven zu schlafen, um deren Babys als echte Schwarze verkaufen zu können.

Auch auf den schottischen Hebriden verdiente sich der oft verschuldete Adel noch im 18. Jahrhundert per Deportation etwas hinzu. 1739 zum Beispiel hatte Sir Donald MacLeod of Skye an die 100 seiner Pächter – Männer, Frauen und Kinder – nachts aus ihren Betten reißen lassen und um 3 Pfund das Stück nach Übersee verkauft.

Tiermetaphern.

Iren aus sehr archaischen gälischen Communitys, welche vor allem seit der großen Hungersnot von 1845 bis ’48 zu Hunderttausenden in die USA emigrierten, galten fortan als «White Niggers», mitunter auch als «weiße Schimpansen» (dieses vom Theologen Charles Kingsley geprägte Stereotyp deckt sich mit Donald Trumps Tiermetapher für lateinamerikanische illegale Einwanderer) und standen in den unteren Rängen des Proletariats in erbitterter binnenrassistischer Konkurrenz zu den Schwarzen. Lediglich auf der Karibikinsel Montserrat kam es zur friedlichen Akkulturation zwischen Iren und Afrikanern, wovon der dortige Dialekt heute noch zeugt. Bis in die 1960er-Jahre waren Schilder auf Londoner Haustoren mit den Worten «No Irish, No Blacks, No Dogs» keine Seltenheit. Der Begriff People of Colour muss nicht immer wörtlich genommen werden, so wie Frauen bloß in demographischem Sinn keine Minderheit sind.

Mary Anne MacLeod stieg anders als viele ihrer Schicksalsgenoss_innen vom untersten Rand der Gesellschaft auf, indem sie einen deutschstämmigen Bauunternehmer heiratete. Ganz gleich, ob sie legal in die USA einreiste oder nicht, sie war ein sogenannter Wirtschaftsflüchtling. Durch ihren Eintritt in die protestantische Oberschicht konnte sie ihre soziale und ethnische Herkunft tilgen. Wie es ihrem Stand entsprach, engagierte sie sich fortan in diversen Charityorganisationen, bei der Heilsarmee und Kollekten für Bedürftige. Wann immer sie auf ihr geliebtes Lewis zurückkehrte, verfiel sie sofort ins Gälische. Eine ihrer schottischen Nichten, Màiri Sterland, mutmaßte kürzlich gegenüber einem Journalisten, dass die 2000 verstorbene Màiri Anna NicLeòid über das Benehmen ihres jüngsten Sohnes entsetzt wäre. 1946 schenkte diese, selbst das jüngste von zehn Kindern, ihrem vierten, einem Knaben namens Donald John Trump, das Leben.

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