Die Grande Dame aus der NachbarschaftArtistin

Lotte Tobisch debütiert bei der AUGUSTIN-Kampagne

Entscheidungen werden beim Augustin von der Diversität der Mitredenden geprägt. Jüngstes Beispiel ist die Frage, wen wir um ein Mitwirken bei der Augustin-Kampagne bitten möchten. Der Name Lotte Tobisch fällt – Eva Rohrmoser (Text) und Gerhard Schmolke (Fotos) besuchten die ehemalige Organisatorin des Opernballs.

Es kommen kein Widerstand, keine Gegenargumente, nicht mal Gesten der Skepsis. Wir nehmen Frau Tobisch als «Augustin-affin» wahr, aber können nicht genau sagen, warum. Also fragen wir nach.

«Aber natürlich kenne ich den Augustin, ich kaufe und lese ihn», sagt Lotte Tobisch am Telefon und erklärt sich dazu bereit, bei der Augustin-Kampagne mitzuwirken.

Fürs Fotoshooting lädt sie zu sich nach Hause ein und empfängt uns zum vereinbarten Termin bereits im Eingang wartend. Ihre Wohnung ist gefüllt mit Leben, seit 68 Jahren lebt die Wiener Theaterschauspielerin hier mit vielen Büchern, Bildern, Erinnerungen und, wie sie es nennt, «gesammelten Scheußlichkeiten». Arnold Schwarzenegger in Form eines Flaschenöffners, um ein Beispiel zu nennen.

Lotte Tobisch lebt keineswegs in der Vergangenheit. Aktuelle Zeitungsartikel liegen auf dem Tisch, und unser Gespräch dreht sich sehr schnell um tagespolitische Themen. Und damit auch um den Grund unseres Besuchs. «Ich kaufe den Augustin regelmäßig, sogar bis zu fünf Stück pro Ausgabe.» Nicht zu kaufen sei eine Gemeinheit, findet sie, denn die Leute brauchen Arbeit, etwas zu tun, eine Beschäftigung. In ihrem Auftreten, in ihrer Erzählung über ihr Engagement als Betriebsrätin im Burgtheater, in ihren Aussagen zum Tagesgeschehen wird ihr Gerechtigkeitssinn sichtbar.

Kontakt auf Augenhöhe.

Damit nimmt Lotte Tobisch den Grund der Augustin-Kampagne schon vorweg: Der Kauf der Zeitung ermöglicht nämlich einen Kontakt auf Augenhöhe. Sowohl armutserfahrene Menschen als auch Asylwerbende sind in erster Linie Menschen, die anständig behandelt werden müssen, im Gegenzug soll «jeder Einzelne versuchen, ein anständiges Leben zu führen», meint Lotte Tobisch. Ihr Zugang zu den Inhalten des Augustin macht deutlich, wie sie den Anstandsbegriff, der ja unterschiedlich vereinnahmt wird, versteht. Manches sei ihr zu kommunistisch, sie sei auch kein Mensch der Extreme. Vielmehr sei es ihr wichtig, auch unterschiedlicher Meinung sein zu können, aber trotzdem zum Wohle aller Kompromisse zu finden. Kein Schwarz-Weiß, sondern ein moderates Grau, denn letztendlich habe man es immer mit Menschen zu tun, und «Revolutionen können vieles verändern, aber nicht den Menschen», zitiert sie frei nach Karl Marx.

Lotte Tobisch ist einerseits eine kritische Zeitzeugin der Vergangenheit, andererseits steht sie auch aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen kritisch gegenüber. Woher das Bedürfnis nach Abschottung und Grenzziehung kommt, verstehe sie nicht. «Warum man das alles wieder haben will?»

Gewissermaßen ein Faschingskostüm.

Fünfzehn Jahre lang organisierte Lotte Tobisch den Opernball in einer Zeit, als der Opernball und seine Gäste Anlass für Demonstrationen war (auch der Augustin organisierte jahrelang eine Gegenveranstaltung, nämlich den «Opferball», der allerdings nach Lotte Tobischs Zeit als Opernball-Organisatorin eingeführt worden ist). «Gegen Franz Josef Strauß und Wackersdorf zu demonstrieren, verstehe ich – als Jugendliche wäre ich sicher dabei gewesen», sagt sie, «aber den Opernball generell zu politisieren, halte ich für falsch.» Ihrer Erfahrung nach sei auch «der kleine Mann» am Opernball vertreten, nur erkenne man ihn nicht, weil der Frackzwang, gewissermaßen als «Faschingskostüm» eine Gleichheit herstelle. Zudem sei der wirtschaftliche Faktor für Österreich nicht unbedeutend, wenn auf der ganzen Welt Opernbälle gefeiert werden. Sie hält Netzwerken vor aller Augen allemal besser als Korruption im Verborgenen und nach einem Zusammentreffen mit Demonstrierenden, erzählt die ehemalige Opernball-Organisatorin, stellten diese überrascht fest: «So haben wir Sie uns nicht vorgestellt!»

Lotte Tobisch hat in ihrem bewegten Leben viel gesehen, viele Menschen kennengelernt und viel erlebt.

Ein «Hundeverhältnis» mit Kreisky.

Jedes Stück in der Wohnung hat eine Geschichte, und sie erzählt eine kleine Anekdote über Bruno Kreisky, mit dem sie ein «Hundeverhältnis» verband. Beide liebten Hunde, und einen Welpen ihres Boxerhundes schenkte sie dem damaligen Bundeskanzler und seiner Frau. Eine kleine Bilderserie, auf der neben Bruno und Vera Kreisky und auch der von ihr verschenkte Boxer zu sehen ist, hebt ihre Stimmung an grauen Tagen. Die gibt es natürlich auch, aber ihr Engagement im Rahmen der Initiative «Künstler helfen Künstlern» im Hilde Wagener Künstlerheim sind gute Schutzschilder. «Allein sein ist nicht schlimm, das Schlimme ist die Einsamkeit», stellt sie in Zusammenhang mit diesem Heim und seinen Bewohner_innen immer wieder fest. Deshalb ist es ihr ein Anliegen, den Aufenthalt der Künstler_innen auch bei ernsthafter Erkrankung so lange wie möglich zu gewährleisten. Ihre Erfahrungen aus diesem Engagement bilden auch einen Fundus aus Geschichten und Erzählungen rund um den österreichischen Amtsschimmel, beim nicht gelungenen Versuch, eine echte Pflegestation im Heim genehmigt zu bekommen.

«Verquerkopft» – ein Statement, das Frau Tobisch mit dem Augustin von nun an verbindet. Hartnäckig, widerständig, trotzdem verbindend – um Gemeinsamkeiten bemüht, einfach, bescheiden, trotzdem erhaben und stolz, eben einfach eine Grande Dame aus der Nachbarschaft.

 

Peter Huemer im Gespräch mit Lotte Tobisch «Zeugin bewegter Jahrzehnte in Wien»

3. Dezember, 11 Uhr

Stadtsaal, 6., Mariahilfer Straße 81

www.stadtsaal.com

 

Hintergrund der Kampagne

Wir möchten daran erinnern, wie wichtig es ist, den AUGUSTIN zu kaufen, und warum unsere Straßenzeitung nicht gratis ist.

Der AUGUSTIN ist ein UNABHÄNGIGES Sozial- und Medienprojekt:

➤ ZUM EINEN bieten wir Menschen, die aus verschiedenen Gründen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, die Möglichkeit, durch den Verkauf der Zeitung (1,25 Euro bleiben dem_der Verkäufer_in) ihre Not zu lindern, und einen sozialen Kontext, in dem die rund 450 Verkäufer_innen persönliche Unterstützung in Anspruch nehmen können, siehe Chor, Fußball, Theater, Rechtsberatung, D-Kurse, Amtswege, Schuldenregelungen, Computerraum u.v.m.

➤ ZUM ANDEREN bieten wir mit unseren Redaktionsteams (Zeitung, Radio, TV) einen journalistischen Blick in die Welt der Unterprivilegierten und informieren 14-tägig über das politische und kulturelle Geschehen mit Wien im Fokus.

Wir erhalten keinerlei Subventionen und auch keine Presseförderung.

Das ist doch 2,50 Euro wert, oder?