Bibliotick
Tagwache›, schallte es durch den Raum. Hütter reagierte nicht auf die Stimme, er blieb liegen. Einen Moment noch, dacht er sich. ‹Tagwache!›, wurde er angebrüllt, und Hütter tat so, als hätte er es nicht gehört und blieb liegen.»
Herbst 2003 an der burgenländisch-ungarischen Grenze. Einer bleibt liegen, einer flippt aus, einer versucht zu flüchten. Einer lügt, einer verleumdet, einer schießt. Und Wachtmeister Hütter, dem der Landeshauptmann eine Medaille verleihen will, grübelt, was er falsch gemacht hat. Beziehungsweise: ab wann.
In seinem Romandebüt «Tagwache» begleitet Jakob Pretterhofer eine Gruppe nur so halb Erwachsener durch ein paar sich ewig dahinziehende Wochen ihres Präsenzdienstes: «Morgen: Neue Lage 192 Tage.» Sie haben unterschiedliche Gründe, hier zu sein, haben in ihrem Leben unterschiedliche Erfahrungen mit Freundlichkeit und Brutalität gemacht und träumen unterschiedliche Träume von ihrer nahen Zukunft. Auch in ihren Strategien, mit dem Druck und der Stupidität in der Kaserne umzugehen, sind sie grundverschieden. Der Tadić, der Sauper, der Primig, der Obkircher, der Ungerhofer, der Lampl. Sie teilen Zimmer und Dienste, und wenn einer was falsch macht, werden alle bestraft. Und der eine, der was falsch gemacht hat, wird dann von allen bestraft. «Eine Zeitlang passierte gar nichts, als wüssten sie selber nicht weiter. Es war wohl weniger amüsant und befriedigend als gedacht. Jemand hielt Lampl die Ohren zu. Gemurmel. Lampls Ohren wurden freigegeben. Eine Faust schlug ihm mit voller Wucht gegen die linke Schläfe, ein zweiter Schlag traf ihn am Hinterkopf.»
Irgendwo zwischen «Schüler Gerber» und dem «Tag im Leben des Iwan Denissowitsch» angesiedelt, sollte dieser beeindruckend simple und tieftraurige österreichische Alltagsroman Lektüre für alle 18-Jährigen sein – solange sie sich noch zwischen Bundesheer, Zivildienst und Untauglichkeit entscheiden können.
P. S.: Wir hätten uns im Übrigen gewünscht, unser Buchtipp wäre weniger aktuell, als die Nachrichten aus dem österreichischen Bundesheer es dieser Tage belegen.
Jakob Pretterhofer: Tagwache
°luftschacht 2017 224 Seiten
23,70 Euro
