Andel hatte starke Kopfschmerzen. Im oberen Stirnbereich, zwischen
den Schläfen hatte sich eine Spannung festgesetzt, die darauf pochte,
dass er sich unverzüglich aufmachte. Andels Weg war nicht weit,
zurückgelegt werden musste er. Die elektronische Anzeigetafel bedeutete:
noch 4 Minuten.
Konnte der Unterstand Abhilfe verschaffen? Die Vorstellung, sich
in die Obhut einer überdachten Stelle zu begeben, die im Ansatz Raum
vortäuschte und somit Geschützt-Sein, erzeugte in Andel Aussicht auf
Abwehr gegen diese Beschwerde, die begonnen hatte, seine Arterien
hervortreten zu lassen.
Kaum, dass er von dem Gedankengang erfasst worden war und dessen Umsetzung
anvisierte (Andel hatte soeben die Außenreklame der Seitenwand
in Fahrtrichtung passiert, ohne Notiz davon zu nehmen), zerüttete
der Gedankengang: Jemand war ihm darin zuvorgekommen. Und Andel stockte.
Noch 3 Minuten.
Ein Obdachloser hatte Nachtquartier aufgeschlagen. Auf Hartplastik
gebettet, erstreckte sich der Körper des Mannes über die Sitzreihe,
die seiner Größe nicht gerecht war. Kein bisschen ließ sich erkennen
von ihm außer ihm selbst: Der Länge, Gänze nach zugedeckt, ruhte er und
schlief augenscheinlich.
Andel hätte hinzutreten können. Aber er verspürte ein Gefühl aufkriechen,
das ihn von einer Übergriffigkeit des Hinzutretens überzeugte.
Ein Schritt in den Unterstand, und Andel hätte von sich fortan als einem
Eindringling, Störenfried, Sündenfall denken müssen. Ein Kopfziehen vergewisserte
ihn. Noch 2 Minuten.
Es war ihm eine nicht-öffentliche Angelegenheit geworden. Vorausgesetzt,
dass sein Interesse nicht von einem Ort abhängig war, sondern von der
räumlichen Eigenschaft eines Ortes, verlagerte Andel das Interesse auf
einen Hauseingang direkt hinter dem Unterstand, worin er sich in Habt-
Acht-Stellung platzierte.
Die rückseitige Verglasung und Andels Blickwinkel bedingten, dass Andel
bei dem Nächtigenden eine Bewegung registrierte. Eine Regung, die sich
im Innern zutrug. Ein Heben und Senken, Heben und Senken auf Hüfthöhe
mit gelegentlichem Absetzen von kurzer Dauer, ehe erneut angesetzt wurde.
Noch 1 Minute.
Andel war der Lage gewahr geworden. Aus Position des Ausgesetzt-Seins
gefolgert, markierte der Zwischenfall gegenüber Wohnungslosigkeit eine
Leerstelle, deren er im Grunde zum ersten Mal Zeuge wurde. Die Reaktion
auf das Gesehene richtete nicht den Obdachlosen, sondern die eigene
Person.
Der Warte geschuldet, warf Andel die Frage auf: Hatte es nicht die
Fixerstube für Masturbation zu geben? Eine (und es verzerrte, als es
ihm einschoss, Andels Gesicht, als wenn ein weiteres Ziehen ihn abstrafte
dafür, einzig wegen des Worts und nicht dessen Betreff)
sogenannte Wichserstube?
Aus dem Abseits vernahm Andel, sodass er aufmerkte, ein Ächzen der
Gleise. Nicht zu überhören, nahte nun die Straßenbahn und stoppte sogleich
entlang der Plattform. Mit Blick darauf machte Andel, der grade
von der Linie abgekommen war, indirekt eine Beobachtung: Im Unterstand
hatte sich abrupt eine verdächtige Ruhe eingestellt.
Gesetzt den Fall, der Ausgang der Begegnung war kein zufälliger,
sondern eine Erwiderung auf die Ankunft. Lediglich der Agierende konnte
der Geste entnehmen, welche Natur dahintersteckte, die für Außenstehende
auslegbar, nicht aber zu verorten war und entgegen dem vermeintlichen
Auslöser zum eigentlichen Auslöser wurde.
Andel fühlte, dass der Kopf in Ungleichgewicht geraten war. Und zwar
traktierte ihn die Lücke, die ihr Auftun ihm zugefügt hatte, ohne
gewärtig gewesen zu sein, dass der Kopfschmerz sich während der Nacht
dort einnisten und zuletzt zur Ursache werden sollte für das Erwachen
am nächsten Tag.