Augustin beobachtet die Justiz (2): Das Unternehmen der WEGA
Justizbeobachtung im Sensationsprozess gegen vier Beamte der Wiener Einsatz-GruppeAlarmabteilung. Sie haben, wie jetzt aktenkundig ist, den Schwarzafrikaner Jassey Bakary beim Zurückbringen von einem gescheiterten Abschiebeauftrag stundenlang der schweren Folter ausgesetzt. Bei ZARA werden im Beobachtungszeitraum von zwei Jahren weit mehr als hundert mutmaßlich rassistische Übergriffe gemeldet. Viele lassen sich nicht konsequent verfolgen. In dieser Hinsicht hat der Fall Bakary Seltenheitswert.Nachdem die Ehefrau ein Foto von Jassey Bakarys völlig zerschlagenem Gesicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte, erfolgte eine rückhaltlose Aufklärung des Falles durch die Justiz. Was dabei aktenkundig wurde, hat sogar Staatsanwalt HR Dr. Böhm in seiner 32-jährigen Justizpraxis „noch nie erlebt“.
Ein Erdbeben im Selbstbild des Rechtsstaats? Wenn ja, dann bleibt zu hoffen, dass es auch zum dauerhaften Offenlegen der dabei sichtbar gewordenen positiven und problematischen Strukturen in Polizei- und Staatsgefüge kommt. Eine kleine Auswahl soll hier angesprochen sein.
Beginnen wir mit einem positiven Aspekt. Die Aufdeckung der Berichtfälschung ist unter anderem der Arbeit des BIA zu verdanken. Dieses „Büro für Interne Angelegenheiten“ ist im Innenministerium beheimatet und versteht sich nach eigener Diktion als „Kompetenz-Kompetenz“. Die Folterer haben ihr Opfer im Polizeiwagen auf Umwegen durch Wien zu einer Werkshalle in der Leopoldau geführt. Auf diesem Weg haben sie das Opfer in Todesangst versetzt: „Wir haben den Auftrag, dich zu töten“, „kennst du Hitler? Du wirst das sechsmillionste Opfer sein“, „Du brauchst dein Gepäck nicht mehr, du wirst in deiner Zelle sterben.“ Auf diesem Weg haben sie aber auch angehalten und per Handy telefoniert. Solche Handytelefonate werden vom BIA mittels Standardpeilung geortet und protokolliert. Auf diese Weise konnten die Standort-Aussagen des Gefolterten verifiziert und die Täter der Lüge überführt werden.
Das Urteil war, -darauf wird später noch zu sprechen sein, -weit milder, als der Strafrahmen es zugelassen hätte. Trotzdem: Dass Exekutivbeamte im buchstäblichen Sinn der Anklage verurteilt werden, dass der Richter in der Urteilssprechung getreulich dem Wort des Staatsanwalts folgt, hata usgesprochenen Seltenheitswert und ist ein Signal in Richtung Änderungs- und Verbesserungsbereitschaft der Gesetzeshandhabung.
Das Taktieren der Anwälte
Richter Schrammel kann wohl zu Recht als der ruhende Pol in einer Lava von Emotionen und taktischer Untergriffe bezeichnet werden. In unbeirrbarer Souveränität bleibt er bei den Fakten. Er weist den Staranwalt Dr. Werner Tomasek an, die schwere Folter in Amtsausübung nicht als „Ausrutscher“ zu bezeichnen. Als Tomasek daraufhin diesen Ausdruck in exzessiver Häufigkeit wiederverwendet, überhört er das einfach, lässt sich in keiner Weise durch die Missachtung des Gerichts provozieren und von den Fakten ablenken. Der zweite Staranwalt, der als Strafverteidiger fungiert, wählt eine andere Strategie. Aus den mehrere hundert Seiten umfassenden Akten wählt er ein winziges, für den Handlungsablauf völlig belangloses Detail.
Er befragt das Opfer, ob das Tor der Halle bereits offen gestanden sei, als die Polizisten sich mit ihm der Halle genähert hatten, oder erst durch einen Beamten geöffnet worden sei. Bakary: Es sei schon offen gestanden. Dr. Rudolf Mayer: Im Protokoll stehe, dass es von einem der vier Beamten geöffnet worden sei. Bakary: Zu diesem Zeitpunkt habe er noch nicht gewusst, dass der Zivilist, den er das Tor hatte öffnen sehen, auch ein Polizist war. Zu dem Zeitpunkt, als er von den ihm als Polizisten bekannten Personen zur Halle geführt worden sei, sei das Tor schon offen gewesen. Staranwalt Mayer: Das sei nicht seine Frage gewesen (die Zuhörer wundern sich). An anderer Stelle, im Zusammenhang mit einem winzigen Detail, das der Zeuge vergessen hat, verlangt er von ihm, den Zeitpunkt dieses Vergessens zu nennen. Das veranlasst den Staatsanwalt HR Dr. Böhm zum Hinweis, dass Vergessen nicht datiert werden könne. Außer auf den Versuch, die erdrückende Glaubwürdigkeit des Zeugen der Anklage vielleicht doch noch ins Wanken zu bringen, setzt Dr. Mayer aber vor allem auf seine brillante Rhetorik. 90 Prozent seines Plädoyers bestehen aus einem Vortrag über das aktuelle Abschiebeprozedere und die undankbare Rolle, die seinen Mandanten dabei zukomme. Sogar seine Berufskollegen lauschen interessiert der klaren Beschreibung der Rechtssituation. Dabei ist klar, dass er sie nicht zu belehren braucht, sondern sein Auftritt in erster Linie der Presse und den wenigen Kiebitzen gilt, die nicht wegen Überfüllung des Saales nach draußen verwiesen sind. Taktiert wird aber nicht nur im Gerichtssaal. Auf dem Gang gibt Dr. Werner Tomasek vor laufender Kamera wörtlich bekannt: „Beim Anlegen der Handfesseln ist es dann zu diesen Übergriffen gekommen, die sie zugestanden haben -mit dem Ausdruck des Bedauerns …“ Die WEGA-Leute brauchen also Stunden, um einem Delinquenten Handschellen anzulegen? Halt – das Fernsehpublikum war ja nicht Zeuge des Verfahrens. Ihm soll der Eindruck vermittelt werden, Bakary habe sich körperlich gegen das Anlegen der Handfessel gewehrt und dabei sei den Beamten die Hand ausgerutscht. Tomasek will nicht die eigenen Mandanten lächerlich machen, sondern die Zuseher hinters Licht führen. Zu welchem Zweck und aus welcher Einstellung heraus, sei den Schlussfolgerungen des Lesers überlassen. Mit dem Auftrag der Strafverteidigung kann es wohl nichts mehr zu tun haben.
Es tötet sich leicht, wenn man sein Opfer nicht sieht
In diesen Kernsatz lässt Friedrich Dürrenmatt sein „Unternehmen der WEGA“ münden. Die mangelnde Nähe von Beschluss und Ausführung kann zu einer Gebärmaschine sozialer Katastrophen werden. Es schiebt sich leicht ab, wenn man abschieben lässt. In den letzten Jahren sind Sozialstaat und Rechtsstaat auseinandergedriftet. Wenn einer Familie der Familienvater genommen wird, sind Frau und Kinder die am härtesten Bestraften. Wenn ein liebevoll erzogener Jugendlicher straffällig wird (ja, so etwas kommt vor!), sind die aus allen Wolken fallenden Eltern die am entsetzlichsten Bestraften. Um die Dürrenmatt’sche Metapher nochmals zu strapazieren: am leichtesten bestraft man jene, die man nicht sieht. Und am wenigsten sieht man, wenn man sich Abschieben und Wegsperren zur Gewohnheit macht, auch das Abschieben von Verantwortung und das Wegsperren von Problemen aus dem eigenen Bereich.
Ein Staatsanwalt hat die Ungleichbehandlung von Menschen verschiedener sozialer Zugehörigkeiten im gesatzten Recht kritisiert („Der Standard“ vom 31. 8. 06). Hut ab!
Trotzdem eine kleine Ergänzung: Bei der Auseinandersetzung zweier Betrunkener versetzt einer dem andern einen Schlag, der zu einer drei Tage sichtbaren Rötung führt. Dafür wird er fünf Monate lang eingesperrt und keinen Tag vor dieser Frist entlassen (Fall Norbert K., siehe Augustin). Im gegenständlichen Fall wird ein Mensch von unberauschten, Landespolizeikommandanten Karl Mahrer zufolge“ hervorragend ausgebildeten“ Beamten in der Ausübung ihres Amtes schwer gefoltert, der Republik und dem Justizapparat wird erheblicher Schaden zugefügt- und sie bleiben, im Wohlverhaltensfall sogar unwiderruflich, auf freiem Fuß. 6 bis 8 Monate bedingte Freiheitsstrafe wurden ausgesprochen. Es ist den Beamten nicht zu wünschen, dass „man es denen auch einmal zeigt“. Im Gegenteil. Demütigung führt nicht zu Einsicht und dient niemandem. Es wäre aber zu wünschen, dass möglichst viele zuständige Stellen einmal reflektieren, wem die Rechtspraxis mehr Verantwortung und Tateinsicht zuerkennt.