Die HandianerDichter Innenteil

Es wird eine Zeit kommen, wo Frauen und Männer in der U-Bahn stricken, sagt die Frau. Wenn die Wolle nicht zu teuer wird. Die Menschen sind der Handys und SMS überdrüssig. Sie wollen nicht schreiben, nicht mehr sprechen. Von den Telefonaten ist nichts geblieben als Rechnungen und Freunde, die man nicht trifft. Die vielen Botschaften, die gelöscht werden. Das ständige Reagieren. Die Angst vor dem Stillstand. Dem Romantiker hat man den Schleier fortgerissen, auch er muss ins Spiel des Lebens, Ping pong, schon prallen die Sätze auf und werden beantwortet! Niemand soll hinhören, damit die Sätze nicht ins Gemüt sinken und in Sprachlosigkeit verenden. Sehen Sie, das Stricken nimmt die Zeit auf und verarbeitet sie. Ein Pullover entsteht und ein Schal. Keine nervösen Finger mehr. Die Zunge ist entspannt, der Speichel sammelt sich und benetzt den Gaumen. Und jeder kann erzählen, was er möchte und alles geschieht beiläufig und läuft mit der gleichbleibenden Maschenzeit. Sie lächelt. Die vergeht nicht. Sehen Sie, nun ist der Schal fertig.Drehen Sie ihr Handy ab, will sie schreien und schaut wie alle auf den Boden, dann ins beschlagene Fensterglas und in die ebensolchen Augen des Gegenübers. Unsichtbar kreuzen sich Wellen, auch wenn die Menschen keine Berührung wollen. Sie springen an den Gegenständen ab und manchem ins Gesicht. Sie merken nichts. Auch nicht, unter welcher Landschaft sie durchgezogen werden. Die meisten tragen Kopfhörer oder umfassen ihr Handy, manche auch Kinder und Taschen. Überall funkt es. Die U-Bahn und ihre Leitplanken sind orange, damit man sie wahrnimmt. Fast hätte sie vergessen, auszusteigen. Jemand klopft ihr auf den Rücken und redet sie an. Freundlich erklärt sie den Weg. Im Strom der Menschen läuft sie die Rolltreppe abwärts. Ihre Tasche bleibt hängen, der Riemen reißt. Trottel, sagt sie, das zahlst du. Der wird von der nächsten U-Bahn Türe eingeklemmt. Sie bleibt auf dem Perron sitzen und drückt die Kopfhörer ins Ohr. Auf dem Smartphone erscheinen Menschen, die sie trösten werden. Sie entscheidet sich für die Schwester. Eine zischende U-Bahn in der Gegenrichtung stört den Kontakt. Sie steigt in den nächsten Wagon ein. Rote Paprika nimm. das hab ich dir gesagt. Rote, hörst du! Rasch schließt sie den iPod an das Kabel für die Ohrstöpsel, lehnt sich an die Glaswand und starrt auf die silber leuchtenden, parallel gebogenen Türgriffe, hinter denen Wände vorbeisausen und Menschenpfeiler.

Mein Smartphone, ruft die Schwester, meine Ansprache, wenn du dich verspätest. Der rote Nagel fährt über das Display. Sie lächelt. Du kannst nicht einfach abdrehen, sagt sie, das Handy hat ein Gefühl für menschlichen Austausch. Die andere sieht auf ihr Handy, 10 messages von derselben Nummer. Ich lösche alles für dich, sagt sie, ich bin die Feuerwehr. Die Schwester lacht nervös. Aus ihrer Hand ertönt eine alarmierende Tonfolge. Eine männliche Stimme ruft an, sie speit ihren Ärger aus, legt auf und schreibt ein SMS. Insistierend klopfen die Finger auf die Tasten, Morsezeichen, die niemand hört. Das Handy hilft ihr, nicht mehr an den Fingernägeln zu kauen. Was machst du heute noch, fragt sie, während die U-Bahn nach links und rechts reißt und sie zu wählen versucht. Noch eine Station, dort wartet ihr Freund. Sie muss sich ankündigen, sagt sie, wie man anklopft, bevor man in ein Zimmer tritt. Und die Mutter im Pflegeheim? Die wird schon sehen, wann sie auf Besuch kommt. Und den Vater wird sie aus dem Verzeichnis nehmen, den Aggressivling. Hab dich lieb, sagt sie und steigt aus.

Vor dem Fenster der Straßenbahn trottet ein Pferd mit Schallklappen. Es hat den Galopp durch Wälder und Steppen verlernt. Zwischen Autokolonnen bleibt es stehen, der Kutscher peitscht es, während der andere Arm zur Pallas Athene ausgestreckt bleibt. Aus dem Pferd fällt ein Apfel. Er fällt in den mitgetragenen Sack. Nur mehr Stumpfsinn, denkt sie. Überall sind Pestizide und Rückstände, alles künstlich gezogen, genmutiert ohne Wurm und ohne Ableben, ewig haltbar, sagt sie zum Gemüsehändler, und über ihren Augen wölben sich Falten. Sie hat geweint, nach den vielen Telefonaten. Sie könnte zum Trost in ein Kino gehen, Leinwandschauen, sagt sie. Warum gibt es keine Hühner, die sie füttern müsste? Keinen Nachbarn, dem sie über die Stiegen helfen könnte? Ich habe einen Tinnitus, sagt sie im Geschäft für Hörbehelfe und Computer. Die unsichtbaren Frequenzen nehmen zu. Da sind so viele Wellen im Raum, sagt der Angestellte, dass Sie dem nicht entkommen. Er lächelt und misst ihr Ohr ab. Mit den neuen Pfropfen wird sie nichts überhören können. In der Markthalle die Ausrufer, noch billiger Madam. Überall sind Pestizide und Rückstände, alles genmutiert, sagt sie und verlangt eine Rechnung. Aus dem Verkäufer rollen unverständliche Brocken, drohend hebt er die Hände.

Im Kaffeehaus Zigarettenschwaden, phantasievoll sanft. Sie holt sich die Tageszeitung. Ein Handy-Insekt vibriert. Ein Lachen, hoch und nach außen gewendet. Das nächste Handy läutet mehrstufig die Tonhöhe hinauf und hinunter. Ein drittes offenbart eine Melodie von List.

Will die Dame vielleicht, dass der Herr hinüberkommt? Die Dame flötet und zupft an ihrem Seidenschal. Der Mann spricht auf den Anrufbeantworter. Die Dunkelhaarige im Eck legt das Schwarze mit sanften Fingern auf den Tisch. Die Hoffnung bleibt auf Kontakt gestellt. Dann zahlt sie, streichelt das Handy und packt es in die warme rechte Manteltasche. Liebst du mich, sagt sie in der U-Bahn und umklammert das Ding. Die Antwort kann nicht vernommen werden. Eine Stimme greift, ohne abzusetzen, in hohem Ton um sich. Aus einer grellroten Plastikjacke ragt ein Handgelenk mit dreifachem Goldreif, der scheppert. Der andere Arm ist im Winkel hinauf zur Schlinge gehoben. Der Magendurchbruch, die stinkenden Socken, den lieben Gruß, den jene am Ende ausrichtet. Darunter sitzt ein Mann, der das nicht mehr hören kann. Ungehalten steigt er aus. Mit ihm die Erzählerin. Schrecklich, sagt sie zu ihm und fühlt sich erleichtert. Schon folgt sie einem jungen Mann auf dem Gehsteig, dessen forscher Schritt der Kreuzung zustrebt. Die letzte Version, hört man den metallisch scharfen Ton. Seine steil aufgesetzten Schuhfersen lassen die Sohlen klatschen. Der Kopf ist geneigt, und presst das Handy zwischen Ohr und Anzug, der Laptop wandert in die andere Hand. Er steht vor den querkommenden Autos und lässt diese warten. Die beste Version, sage ich!

Wer zu oft schreibt, wird gelöscht

Das Handy rutscht ins Jackett oder den Hosensack. Es hat seinen Namen verdient. Es vibriert und durchblutet den Körper. Angenehm ruhig ist es und laut, wenn man es braucht, sagt die Frau. Meine Ansprache für den Geist, wenn die unzähligen Autos vorübersausen und die Ampel auf rot ist. Wenn es allzu kalt ist. Wenn ich eine Abwechslung brauche im grauen städtischen Winter. Wenn ich nicht mehr weiß, nach was ich suche. Ich greife nicht zur Schokolade. Ich kann mich beschäftigen, bis ich aufgeben muss, weil die Augen rot sind. Das oftmalige Drücken erzeugt eine Vibration der Nerven. Dann wähle ich eine sanfte Stimme. Hab dich lieb, sage ich. Nicht zu oft, das macht abhängig. Ich hab ein Gefühl für regelmäßigen Austausch. Wer zu oft schreibt, wird gelöscht. Wer sich nicht meldet, lange angepiepst. Dem aggressiven Anrufer lege ich auf, die vielen Geräusche, sage ich, oder die gerissene Verbindung. Ich will immer im Fluss sein. Ich will nicht warten. Auf was? Das Handy fördert die Beweglichkeit und Reaktionsfähigkeit, Hormone werden ausgeschüttet, Geistesblitze gesendet. Ich bin Meisterin, sagt sie. Meine Gespräche hören nie auf. Ich sorge für die Vernetzung aller lieben Menschen. Die Enttäuschten und Entzweiten werden angeschlossen und Einsamkeit ausgeschaltet. Schau, sagt sie, wir können unsere Nabelschnüre frei wählen.

Sie können das schnell, sagt der Mann in der U-Bahn und blickt schräg hinüber, alle Achtung. Die junge Frau sieht auf, senkt den Blick. Sie ist im Fluss des Schreibens. Sie hat einen tollen Fingersatz. Nun zieht sie die Flächen wie eine Haut auseinander und wischt mit lackierten Nägeln darüber. Der Mann schüttelt den Kopf. Er ist unrasiert und seine Hose am Knie zerrissen. Die Frau trägt kariertes Stopfmuster über senkrecht geordneten Löchern ihrer Jeans. Wieder laufen die Finger über die Tastatur mit den Sätzen, die der Verstand spontan eingibt, die passenden Antworten werden abgeschickt. Stickig hier, sagt der Mann. Die Frau öffnet das Freundschaftsverzeichnis und beschwert sich. Das Internet, fragt der Mann, geht das hinein in das kleine Ding? Sicher, sagt die Frau, Sie können dort auf all Ihre Fragen Antworten bekommen. Der Mann starrt auf das Display und die Finger, die in gleicher Reihenfolge weiche schwarze Kreise drücken. Die schöne Frau hat die Augen geschlossen, ihre Ohren verstopft. Ein Trommeln ist hörbar, dazwischen hoher Klang, der sich kreisend um die Töne bewegt. Das Internet ist ein Universum, denkt der Mann, in dem man sich ausdehnen kann, wie nach einem Glas Wein.

Theater ohne Grenzen, wispert eine Stimme in der U-Bahn, die Augen sind schmal mit einer Neigung nach innen zur Nase, dahinter ein trauriger Blick. Irgendwo liegen zwei dunkle Pupillen. Es leuchtet hellgrün in ihrer Hand. Mit der anderen hält sie den Freund, blickt ihm in die Augen. Ich liebe dich, sagt sie dem Rivalen ins Ohr. Der liegt in einem fremden Bett und ergibt sich der Stimme, flaumig und erwartungsvoll, denkt die Hinblickende. Träumerisch geht sie durch die ältesten Gassen Wiens, über Kopfsteine mit Rissen als vielfältige Muster. Sie hört Hufe, ist es der König Drosselbart? Ich möchte was Süßes haben! hallt es, ich möchte was Süßes haben! Ein Mädchen schlägt seinen Schritt an den Passanten vorbei, sein Kleinod ans Ohr gepresst, die Kleidung ist schwarz und reicht bis zum Boden. So geht es mir eben, ruft sie, Scheiße. In der Gasse hallt das Echo. Ein Ort der Stille.

Formulierungen lädt man herunter

Auf dem Tretgerät der Nachbarin liegen Bücher. Sonst wird mir fad, sagt diese mit einem Stöpsel in der Hand, und schaltet den iPod wieder ein. Aus den Boxen hämmert es, Arme und Beine werden bewegt und treten die Zeit an. Diese wird bearbeitet und an verschiedenen Geräten zerteilt, damit sie zur Höchstform gebracht wird. Sie wird beim Fenster hinausgeschleudert, denkt die Widerständige, und sieht die Zeit außen am Fensterglas abrinnen, während der Schweiß zu Boden tropft. Die Freundin hebt den Kopf mit Hilfe eines nackenstützenden Gerätes und nickt. Nun liegen beide auf der Matte und die Zeit fließt zurück in die Adern. Fast ist es angenehm jetzt.

Auf ihrem Platz in der Oper sieht sie die rechte Ecke der Bühne. Die Nachbarin sieht viele kleine Kästchen mit Geheimnissen, die sie auf ihrem Handy öffnet. Jedes ein link zu neuen Seiten. Mit dem Daumen zieht sie darüber, schließt das Bild. Sie wird sich zur Bühne drehen, wenn diese mehr bietet. Die flotte Musik im zweiten Akt. Im Fortissimo jagen die Stimmen, reißen den Schwächeren vom Sattel. Wieder streicht der Daumen über die Oberfläche, die Finger bewegen sich. Großartig, schreibt sie, nur ein bißchen mühsam. Ich sehe hier nichts. Dann folgt ein seitenlanger Text. Am Ende fügen sich die wundgeschrienen Stimmen dem folgerichtigen Tod, schreibt sie, und wischt ihr Handy mit dem Taschentuch trocken.

Die Widerständige hat kein iPhone, iPad oder Smartphone mit Kamera, nur einen Laptop, der das Schreiben und Denken erleichtert. Sie folgt den Tasten und Einfällen. Was nicht passt, ersetzt sie. Veränderung und Umkehr sind jederzeit möglich. Bitte löschen Sie die letzten mails, sagt ihre Chefin, das war nicht so gemeint. Keine Ursache, sagt sie. Das Handeln wird durch kurze Gedanken ersetzt, schreibt sie, die Wiese mit Blüten durch einen Rollrasen, einfach zu handhaben. Und Formulierungen lädt man herunter, wenn der Geist aussetzt. Früher hat man sich nicht so leicht bedienen und zurückziehen können. Der mit Feder geschriebene Brief wurde in Bündeln aufbewahrt und ein falsches Wort konnte ein Duell hervorrufen. Nun hat sie wegen des eintretenden Kollegen den falschen Knopf gedrückt und die Mail ist an alle ergangen. Sie sieht das Gesicht ihrer Vorgesetzten, das sich rot aufbläst bis zum Donnern der Stimme, ein hässliches Bild, das aufsteigt, während sie ihren Bildschirm anstarrt. Wie lange es dauert, schreibt sie, bis ein abgeholzter Baum nachwächst, ein gebrochener Arm heilt. Und die Wiese mit Unkraut und Minze, die nicht auszurotten sind. Vertrauen, wird die Chefin sagen, und sie kündigen. Dabei hat sie deren Text gar nicht gelesen.

Die Zeit ist eine Blume, schreibt die Melancholische. Sie ist die korkschichtige Figur, die man vom Baum bricht und betastet. Sie ist das Ziehen der Luft, das die Nase rötet, das Licht, das an den Wolken aufgeht. Die im Matsch zertretenen Halme, die in verschiedene Richtungen aufwärtsstreben. Sie ist der umwölkte Berg, der den Sucher hinaufbegleitet zu sich selbst, der Mond, der sich ausbildet über dem Gipfel. Sie ist die Stille, die den Gegenständen Schönheit ausbildet. Sie ist der unebene Waldboden, den die Sohlen weiterleiten an jeden Punkt im Körper, bis alles ineinanderwirkt in einem Geflecht. Die Zeit ist eine Insel, deren Blau mich umfängt. Da erlöschen die sphärischen Klänge ihrer Lieblings-CD.