Die Heimkehrerinnen erzählen (1): Gertrude AusterlitzArtistin

Der "Zug fährt nach Hütteldorf"-Traum

Der Text ist dem Buch „“Ich geb Dir einen Mantel, dass Du ihn noch in Freiheit tragen kannst““ entnommen. In diesem und im Buch „“Der Himmel ist blau. Kann sein“.“, beide herausgegeben von Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik und Lisbeth N. Trallori, erschienen 1987 im Promedia-Verlag, sind die Ergebnisse eines mehrjährigen Forschungsprojekts über Frauen im Widerstand dokumentiert. Die meisten Frauen, mit denen damals die Gespräche geführt wurden, sind mittlerweile gestorben.Ich glaub, der 20. April war’s schon, da haben wir gesagt, wir flüchten, ein paar Kriegsgefangene und ich. Ich hab mir einen Draht ausgeborgt und mir die Haare eingedreht, die waren schon so lang. Eine Zivilarbeiterin hab ich gebeten, sie soll mir Schuhe besorgen und ein Kleid. Die ganze Nacht hab ich nicht geschlafen. Unterm Häftlingsgewand hab ich mir schon das Kleid angezogen. Die Schuhe konnt‘ ich nicht brauchen, blöderweise waren das so Stöckelschuhe, mit solchen kann ich heute noch nicht gehen. Auf einmal heißt es um fünf Uhr in der Früh: Antreten!

Wir wurden abtransportiert. Ich hab noch die Serben stehen gesehen, mit denen ich flitzen wollte, die waren verzweifelt. Aber ich konnte nichts tun. Wir sind in einen Waggon verladen worden. Am selben Tag noch sind wir über die Elbe gefahren. Dann haben sie uns hinuntergetrieben, zum Fluss, und geschrien: Aufstellen! Hab ich mir gedacht, na, jetzt ist es aus. Die schießen in uns rein. Aber auf einmal war die SS verschwunden. Einer nach dem anderen hat sich verflüchtigt. Nur mehr Cetniks waren da, die haben unseren Transport übernommen und uns nach Leitmeritz gebracht. Das war die Hölle. In der Mitte des Platzes ein Berg von Toten. Juden, Zigeuner, alles war dort, Prostituierte als Aufseherinnen. Die haben mich gehaut. Eine Bekannte, die mit mir war, hat mir nachher erzählt, wie es gekracht hat in meinem Schädel. Später hat man das auf einem Röntgen gesehen, ich hab einen Sprung in der Stirn. Vergewaltigt ist worden. Die Häftlinge untereinander. Ich kann’s gar nicht erzählen. Am nächsten Tag haben sie uns nach Theresienstadt ins Lager gebracht. Das war Ende April. Die SS hat noch ein paar Tage hineingeschossen ins Lager. Dann hat es wieder geheißen, wir werden noch alle vergast. Aber man hat schon die Freiheit gerochen.

Ich hab so einen Willen gehabt, zum Überleben. Nie hab ich die Hoffnung aufgegeben, meine Mutter zu finden. Im Lager hab ich alle narrisch gemacht. Alle hab ich gefragt, glaubst du, dass das wirklich wahr ist, dass die wirklich vergast worden sind. Ich hab es nicht glauben wollen. Das gibt’s doch nicht, dass Menschen so sind. Dabei hab ich’s gesehen mit meinen eigenen Augen. Und trotzdem hab ich es nicht wahrhaben wollen.

Die ersten Jahre hab ich immer von meiner Mutter geträumt. Immer bin ich auf einem Bahnhof gewesen und hab sie gesucht. Jedes Mal ist eine Klappe rausgekommen: „Zug fährt nach Hütteldorf“, das seh ich noch vor mir. Und eines Nachts ist auf der Klappe gestanden: „Berta Anders ist tot.“ Erst von da an hab ich mir gedacht, das ist ein Zeichen, dass sie wirklich nicht mehr lebt.

Das erste Bad

Jetzt träum ich noch vom Lager. In der Nacht wach ich auf und hab solches Herzklopfen, dass ich glaub, ich erstick. Ich träum oft auch Sachen, die ich gar nicht selbst erlebt hab, die träum ich ichbezogen. Über 40 Jahre ist das alles schon her. Dabei muss ich sagen, ich hab noch immer ein gutes Naturell, obwohl ich wirklich nicht in Ordnung bin. Überhaupt seit der Krebsoperation, die hat mir den Rest gegeben, Brustkrebs, ich hab schon Metastasen gehabt bis in den Unterleib. Einen Tag nach der Operation bin ich nach Hause gegangen. Ich lass mich nicht so leicht umschmeißen. Das ist vielleicht überhaupt meine Art, mich am Leben zu erhalten. Gut, ich raunz, ich raunz meinen Mann an, aber ich hab wirklich manchmal solche Schmerzen, mir tut es manchmal so weh, dass ich glaub, ich kann keinen Schritt mehr machen. Das ist die Osteoporose, Knochenschwund. Und dann die Hände! An beiden Händen bin ich operiert worden. Stellen Sie sich das vor: Es ist eiskalt, Sie haben keine Handschuhe, schieben die Lore und müssen Riesensteine schleppen (3.769), müssen rackern. Es war doch tierisch, was wir machen mussten, also, man ist lädiert durch und durch, auch wenn man’s nicht zugibt.

Den Deutschen ist es nach der Befreiung viel besser gegangen. Bei uns hat man betteln müssen um eine Rente. Wir sind abgefunden worden mit 400 Schilling pro Lagermonat. Na, was ist denn das. Was haben sie denn für uns gemacht? Warum haben sie uns nicht abgeholt wie bei den anderen Nationen oder sich zumindest um uns gekümmert, wie wir angekommen sind? Ja, wir sind ins Rathaus gegangen, jeder, der aus dem KZ gekommen ist, hat ein Packerl gekriegt. Da war ungewaschene Leibwäsche drin und Schuhe, bei jedem Schritt hab ich gedacht, ich werd hin. Ein Rock, ein Bluserl, ein Patzen Marmelade wie eine Schuhpasta. Aus, fertig?

Trotzdem, für mich war danach alles eine Offenbarung. Das erste Bad! Komm sofort mit, du bis so schmutzig, ich muss dich baden, war das erste, was die Rosi gesagt hat. Dann hat sie mich in die Waschküche hineingeschleppt, hat einen Bottich mit Wasser heiß gemacht, hat mich hineingetunkt und abgerieben. Komisch, dass ein Mensch an solche Sachen denkt nach so vielen Jahren, nach so viel Angst um den anderen.

Da habe ich den Mann wieder getroffen …

Eine schöne Geschichte kann ich Ihnen doch erzählen. Wir haben gewartet auf den Abtransport nach Wien. Gewartet und gewartet, dass wir geholt werden. Ich habe ja schon erzählt, dass die österreichische Regierung überhaupt nichts getan hat für uns. Dann haben wir Häftlinge uns selbst einen Zug verschafft von den Tschechen und eine Lokomotive. Wir wollten nach Wien, aber in Tabor haben uns die Russen die Lokomotive weggenommen. Sie haben’s gebraucht. Und da habe ich den Mann wieder getroffen, den ich im Lager ein bissel Essen verschafft hab, als er Flecktyphus gehabt hat. Wir sind in die Stadt Tabor hineingegangen. Ein paar Kronen haben wir gehabt, dafür konnten wir uns ein bissl Trockengemüse und eine Pulversuppe kaufen. Dann haben wir uns auf einen Holzstoß gesetzt und er hat mich gefragt, ob ich noch jemanden in Wien habe. Die Rosi, hab ich gesagt, und vielleicht lebt meine Mutter doch, vielleicht kommt sie zurück. Und er hat gesagt, hoffentlich kann ich meinen Vater wieder finden.

Die Russen haben uns die Lokomotive wieder zurückgegeben und in Stadlau ist der Zug stehen geblieben. Kein Mensch war da, der uns empfangen hätte. Beide haben wir Schlosserhosen angehabt und Holzschuhe. Er hat sich einen alten Anzug besorgt gehabt, einen Kopfpolster, eine alte Decke, und ich hab meinen Teddybären gehabt und auch eine Decke. Am Bahnhof ist so ein Gepäcksträger gestanden, ein Zweiradler, den haben wir gestohlen, damit wir unser Klumpert nach Wien hinein transportieren.

Ich weiß es noch wie heute: Wir sind beim Goethehof gestanden, oben am Damm, und haben Wien vor uns liegen gesehen. Wir haben noch Sie gesagt, wir haben uns ja gar nicht gekannt. Auf einmal haben wir uns geküsst und haben gesagt, wir bleiben zusammen. Von dem Tag an sind wir zusammengeblieben. Komm mit, hab ich gesagt, ich werd schauen, ob ich die Rosi find.

Getrude Austerlitz, geboren 1920 in Wien, Eltern Kleingewerbetreibende. Nach dem Selbstmord des Vaters muss sie das Gymnasium verlassen und ist eine Zeitlang geschützt durch ihre Arbeit als Krankenschwester im Spital der israelitischen Kultusgemeinde. Im September 1942 wird sie zusammen mit ihrer Mutter nach Theresienstadt deportiert, von dort 1944 nach Auschwitz-Birkenau und in Nebenlager. Im April 1945 kommt sie wieder nach Theresienstadt und kehrt von dort aus heim nach Wien.

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