Sonderausstellung über Barackensiedlungen im Bezirksmuseum Ottakring
Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts war Ottakring Anziehungsort für «Migrant_innen» und «Unterschichtler_innen». Eine Ausstellung beleuchtet Fürsorge und Notbaracken in Wien nach der Jahrhundertwende als Beispiele für die Veränderungen im städtischen Raum. Kerstin Kellermann traf die beiden Kuratorinnen.
Foto: Bezirksmuseum Ottakring
«Als letztes Jahr das große Ringstraßen-Jubiläum gefeiert wurde, wollte ich die Metropolenwerdung Wiens in den Vorstädten betrachten und die historischen Veränderungen im städtischen Raum», erläutert die Historikerin Heidi Niederkofler ihr Motiv für die Ausstellung «Hilfe! Armut in der Vorstadt», die Anfang Juni eröffnet wird. «In Büchern fand ich immer wieder kleine Absätze über die Notstandssiedlung in Ottakring, eine Barackensiedlung für wohnungslose Familien. Das Settlement, eine wohltätige Einrichtung von bürgerlichen, oft jüdischen Frauen, entstand zur gleichen Zeit.» Im Bezirksmuseum in Ottakring wird nun die extrem verdichtete Ausstellung, die das Kreisky-Archiv organisiert hat, gezeigt.
Ottakring wurde 1892 nach Wien eingemeindet und war dann einer der am schnellsten wachsenden Bezirke, denn aus Böhmen und Mähren zogen in dieser Zeit sehr viele Menschen in die Großstadt. Gleichzeitig wurde die Unterschicht aus den inneren Bezirken Wiens verdrängt und Arbeiter_innen mussten ständig die Wohnungen wechseln wegen häufiger Kündigungen. «Es gab einen unglaublichen Zuzug, hohe Mieten und ein äußerst vermieterfreundliches Mietrecht. Deswegen entstanden wilde Siedlungen wie die im Donaupark, die ‹Brettldorf› genannt wurde. Die Hütten wurden zum Teil legalisiert, zum Teil abgerissen. Es war ein ständiger Kampf, der ‹Bretteldorfer Kriege› genannt wurde. In den Jubiläumsbauten, den k.u.k.-Stiftungsbauten, die als Hilfe gegen die Wohnungsnot errichtet wurden, waren keine Untermieter_innen oder Bettgeher_innen erlaubt, daher konnten sich dann nur Beamte diese Vorläufer der Sozialbauten leisten», beschreibt Elke Rajal, die zweite Ausstellungs-Kuratorin, die Situation kurz nach der Jahrhundertwende. «Wir schauten uns die Wohlfahrt und Fürsorge-Modelle an, das wohltätige Verhalten bürgerlicher Frauen und staatlich-monarchistische Wohnungspolitik. Damals war Karl Lueger Wiener Bürgermeister, die Regierung christlich-sozial.»
«Disziplinierung der Armen»
«Uns interessierte die Verdichtung außerhalb des Gürtels», sagt Heidi Niederkofler. «Zu dem Settlement gab es aufbewahrte Briefe, Fotos, Jahresberichte, Hefte, Aufzeichnungen von Mütterrunden und insgesamt viel Material. Elisabeth Malleier schrieb ein Buch über den Nachlass, den sie der Sammlung Frauennachlässe am Universitätsinstitut für Geschichte übergeben hat. Das Settlement empfand sich als geschichtswürdig. Zur Barackensiedlung hingegen gab es nichts Schriftliches.» Spannend wurde es, als durch die Recherchen Verbindungen zwischen den beiden Institutionen auftauchten. So schrieb die Fürsorgerin Rosa Dworschak, die in der Notstandssiedlung tätig war, in dem Buch «Dorfgeschichten aus der Grossstadt» über ihre Arbeit im «Negerdörfl», der «Glasscherbenvilla», wie sie eine Zeitzeugin nannte. Dworschak war enge Mitarbeiterin von August Aichhorn, einem psychoanalytischen Pädagogen, der als Erziehungsberater im Settlement tätig war. Elke Rajal und Niederkofler entdeckten in den Fürsorge-Akten, dass einzelne Personen, die in der Notstandssiedlung wohnten, vom Settlement befürsorgt wurden. Das Settlement machte «Schutzaufsichten» für Jugendliche aus der Notstandssiedlung, eine Vorform der Bewährungshilfe. «Es ging auch um eine Disziplinierung der Armen», meint Rajal, «um eine Hebung des ‹geistigen, körperlichen und sittlichen Niveaus› der armen Bevölkerung. Die Familien, die unterstützt wurden, durften arm sein, sollten aber ordentlich auftreten. Bürgerliche Kultur bringen, hieß die Devise, also z. B. Theaterstücke in die Vorstädte.»
Ethnisierung setzte sich als Erklärungsmodell für Armut schnell durch, Menschen aus Böhmen und Mähren wurden zum Teil als «Zigeuner» tituliert. Es galt als Stigma, aus dem sogenannten «Negerdörfl» zu stammen. Ob der Ausdruck nun von «neger sein», also pleite sein, oder von der Hautfarbe der häufig arbeitslosen Bewohner_innen kam, die viel draußen an der Sonne waren – ist dann auch schon egal. Zeitzeug_innen erinnern die Siedlung als dörfliches Idyll, das von Solidarität geprägt war. «Bei Delogierungen kam es zu gemeinschaftlichen Protesten», erzählt Rajal, «mindestens eine konnte verhindert werden.» Eine Zeitzeugin erinnert sich auch an Tanzfeste an Wochenenden und der Zeitzeuge Paul Vodicka an den Widerstand von Jugendlichen gegen die Nazis.
Elke Rajal und Heidi Niederkofler erarbeiteten die Ausstellung über zwei Jahre lang mit einer Schulklasse des Gymnasiums Maroltingergasse. Waren die Kids zufrieden? «Armut und Elend, Fürsorge – das sind nicht die spannendsten Themen für Jugendliche», sagt Niederkofler. «Aber sie lernten, dass Geschichte nicht nur Kriege und Herrscher bedeutet, sondern dass es auch Geschichte von unten gibt.» «Eine Ausstellung ist jetzt nicht die Bühne zur Welt, erzeugt aber eine Öffentlichkeit, die Schüler_innen ansonsten selten erfahren», ergänzt Rajal.
INFO:
Eröffnung am 2. Juni um 18.30 Uhr im Bezirksmuseum Ottakring. Die Ausstellung ist bis zum 25. September zu sehen.
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