Die Hüterin des HausesHeroes

Eine weitere Biografie gegen die Parole "AsylantIn gleich Wirtschaftsflüchtling"

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Elena Kimshiashvili war gezwungen, am Beginn des Abends ihres Lebens neu anzufangen. Sie hat hier Land und Leute schätzen gelernt, doch die Asylbehörde hält sie schon seit vier Jahren hin, Land und Leute auch in vollen Zügen genießen zu können.

Ich bin ganz klassisch einem Klischee aufgesessen. Ich habe mir einen Termin mit der aus Georgien stammenden Augustinverkäuferin Elena Kimshiashvili und der Übersetzerin Lidia Emaschova im Vertriebsbüro ausgemacht, denn es galt, die Kolporteurin im Augustin vorzustellen. Über beide, sowohl Verkäuferin als auch Dolmetscherin, wusste ich so gut wie gar nichts. Eine charismatische und selbstbewusst auftretende Frau es sollte sich noch herausstellen, dass ich sie um einiges jünger geschätzt habe, als sie tatsächlich ist erscheint im Vertriebsbüro. Ich gehe auf sie zu, begrüße sie, stelle mich vor und meine, sie müsse die Russisch-Dolmetscherin sein. Null Punkte, ich begrüßte nicht die Übersetzerin, sondern die Straßenzeitungsverkäuferin mit dem Standplatz Sandleitengasse, im Interspar, und nicht vor dem Supermarkt. Die Präposition im hat für Elena eine große Bedeutung, wie sie später noch, beinahe zu Tränen gerührt, erzählen wird. Am Ende unseres Gesprächs nennt die georgische Akademikerin, die schon seit vier Jahren auf den Asylbescheid wartet, den Grund, warum sie dem Interview zugestimmt hat:

Die Öffentlichkeit soll erfahren, dass es Menschen gibt, die mir Hilfe anbieten und mich akzeptieren.

Mit dem Eintreffen der Dolmetscherin kann die Georgierin mit einer Kurzfassung ihrer langen Geschichte beginnen (Elena Kimshiashvili hat natürlich aus einem persönlichen Bedürfnis heraus schon Deutsch gelernt hat, doch aus Gründen der journalistischen Sorgfaltspflicht geht der Augustin immer auf Nummer sicher, Anm. d. R.). Seit gut vier Jahren lebt sie nun mit ihrem Mann in Österreich. Ihr Sohn ist mit seiner Familie ein Jahr später nachgekommen, für die ganze Familie läuft ein Asylverfahren. Schon bald nach Antragstellung auf Asyl erhielt die Familie Kimshiashvili einen negativen Bescheid, was auch eine große Überraschung für unsere Rechtsvertreterin von der Caritas war. Das Berufungsverfahren läuft nun schon seit Jahren, was Elena sichtlich verärgert. Doch es wäre nicht ihre Art, in Richtung Politik, ob dieser verächtlichen Zustände, denen Asylwerbende in Österreich ausgesetzt sind, zu schimpfen. Die Asylpolitik ist jedenfalls mit Elenas Ratio nicht kompatibel: Wir haben uns nie etwas zu Schulden kommen lassen und sind gebildet. Sie mussten das Heimatland verlassen, da ihr Mann im Stab des ersten frei gewählten Präsidenten Georgiens, Swiad Gamsachurdia, gearbeitet habe und ihr Sohn auch Anhänger des Präsidenten gewesen sei. Gamsachurdia war vorher Schriftsteller und Dissident. Er schrieb für Samisdat-Zeitschriften und gilt als Mitbegründer einer Menschenrechtsbewegung in den 1970er Jahren. Diesen Bonus verlor er während seiner einjährigen Amtszeit an der Spitze des neuen Staates. Teile der Bevölkerung warfen ihm diktatorischen Amtstil und einen Populismus nationalistischer Ausprägung vor. Nach bürgerkriegsartigen Unruhen verließ er das Land. Ende 1993 starb er unter ungeklärten Umständen. Nach Gamsachurdias Tod wuchs auch der politische Druck auf meinen Mann. Er floh mit mir und unserem Sohn.

Zwischenstation Moskau

Die Flucht aus Georgien führte die Familie in die Nähe Moskaus, wo sie für acht Jahre bleiben sollte. In dieser Zeit wurde ein Familienbetrieb, Produktion und Verkauf von Socken, gegründet. Elena hat einen Hochschulabschluss für Textilerzeugung und arbeitete 35 Jahre lang in leitender Funktion in einem Betrieb mit 1500 MitarbeiterInnen. Die letzten zehn Jahre war sie Gewerkschafterin: Die Gewerkschaften hatten in der Sowjetunion einen hohen Stellenwert, deswegen haben mich die Aufgaben dort auch sehr gefreut. Diese Arbeit war nahe an den Menschen, ich konnte viel Hilfe leisten. Besonders erwähnenswert findet sie ihre Mitsprache bei etwaigen Kündigungen und bei der Wohnungs- und Autovergabe. Darüber hinaus habe sie finanzielle Unterstützungen vergeben und viele Ausflüge in die Republiken und nach Moskau organisiert. Auf die Frage, ob sie es als Frau in der Gewerkschaft schwerer gehabt hätte, beginnt die Textilingenieurin einerseits einiges klar zu stellen, andererseits zu schwärmen: Die Textilindustrie war in der Sowjetunion reine Frauensache. Auch die Fabrik, in der ich arbeitete, beschäftigte fast ausschließlich Frauen. Wir produzierten nur Wäsche für Frauen, die wir auch schön gestalten konnten, das hat viel Spaß gemacht. Elena beendet die Schilderung ihrer früheren Arbeit in der Fabrik mit: Ich habe als Frau im Berufsleben nie Nachteile gehabt.

Auf ihre Situation als Asylwerberin in Österreich angesprochen, knüpft sie an die Thematik Arbeitswelt an: Ich habe mein ganzes Leben gearbeitet, ich bin nie einfach nur dagesessen, das ist nicht meine Natur. In Traiskirchen im Erstaufnahmelager für Flüchtlinge sei sie aber zunächst zum Nichtstun gezwungen worden. Bis sie dort den Tipp bekommen habe, es beim Augustin zu versuchen. Ich bin sehr nervös hingegangen, denn Zeitungen zu verkaufen war für mich komplett neu. Sie musste noch acht Monate warten, bis ein Platz beim Augustin für sie frei wurde. Als Verkaufsort wählte sie einen Interspar im 16. Bezirk. Ich verkaufte zunächst vor dem Gebäude, bis der Filialleiter auf mich zukam und meinte, ‚Frau Elena, es ist nicht gut, dass sie draußen stehen, Sie müssen drinnen verkaufen!‘ Für diese Einladung, ins Haus zu kommen, die sie heute noch rührt, revanchiert sie sich mit ehrenamtlicher Mithilfe beim Supermarkt Ich mache öfters selbst sauber oder hole die Putzfrauen. Wenn etwas kaputt geht, veranlasse ich die Reparatur. Die Supermarktangestellten wissen, dass auf mich Verlass ist. Elena beginnt zu schmunzeln und meint: manchmal habe ich das Gefühl, ich bin die Hüterin dieses Hauses. Hin und wieder verkaufe sie auch noch am Stephansplatz, aber nie im Leben würde sie freiwillig den Verkaufsplatz in der Sandleitengasse aufgeben. Ich freue mich auf jeden Tag, den ich dort arbeiten darf.

Die Bilanz

Elena ist sich bewusst, dass sie auch im Falle eines positiven Asylbescheids nicht auf die Kolportage verzichten könne. Das stundenlange Stehen schmerzt oft in den Füßen, doch mit meinen sechzig Jahren werde ich in Österreich keine andere Arbeit bekommen. Sie und ihr Mann, sie hätten sich ihren Lebensabend anders ausgemalt. Zurzeit wohnen sie in einem Heim der Caritas, was natürlich besser als unter einer Brücke ist. Die Gesundheit des Gatten ist nach einem Infarkt und einer Bypass-Operation recht angeschlagen. Sie warten schon eine Weile auf einen anderen Heimplatz, der mehr Ruhe und Intimität zulassen sollte.

Wie sieht nun Elena Kimshiashvilis Bilanz nach vier Jahren Aufenthalt in Österreich aus, zumal ihr Ehemann, als sich auch in Russland die Situation für die Familie zuspitzte, ganz bewusst Österreich als Asylland vorschlug, da es ähnlich klein wie Georgien sei und das gleiche Klima habe, und mit Elenas Worten gesprochen im Herzen Europas liegen würde. Österreich gefällt mir besser, als ich es mir vorgestellt habe. Die Menschen hier sind intelligent, warmherzig und hilfsbereit (die PolitikerInnen, die das bestehende Asylgesetz verabschiedet haben, sind davon vermutlich ausgenommen, Anm. d. Verf.). Wir Georgier sind emotionaler. An den Österreichern gefällt mir ihre Reserviertheit, sie halten sich in Grenzen, und man kann voraussehen, was passieren wird. Mit uns Georgiern ist das anders. Ich halte dagegen, dass Emotionslosigkeit und Berechenbarkeit doch langweilige Charakterzüge seien. Bei den Österreichern handelt es sich nicht um langweilige Menschen, sondern um ruhige. Ich lerne, auch so zu sein. Besonders begeistern können mich die zwischenmenschlichen Beziehungen, die ich beobachten kann, wenn beispielsweise Familien einkaufen gehen. Kinder und Frauen bekommen von den Männern Aufmerksamkeit geschenkt.


Interviewübersetzung: Lidia Emaschova

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