Die innere UhrDichter Innenteil

Die Abenteuer des Herrn Hüseyin (105)

Hüseyin wartet wie viele andere kritisch denkende Menschen auf die vorgezogenen Wahlen in der Türkei. In einer Zeit, wo es auf der ganzen Welt viele Freiheiten gibt, trauen sich eben diese Menschen nicht in ihre alte Heimat zu fahren. Dem Hüseyin geht nicht die Türkei ab, sondern die Mutter, der Vater, die Geschwister und viele aus seinem Dorf.

Illustration: Carla Müller

Für ihn ist es eine Zeremonie, jedes Jahr zur gleichen Zeit nach Hause zu der Mutter zu fahren. Beim Hüseyin ist es wie bei den Zugvögeln. Die innere Uhr schlägt im Sommer pünktlich, um sich auf die Plätze der Kindheit zu bewegen. Wobei sich in den Bergen aufzuhalten immer eine sehr gefährliche Angelegenheit ist. Oberhalb des Dorfes ist ein Militärposten. Wenn man auf die Berge gehen will, muss man als Erstes den Dorfvorsteher benachrichtigen und dieser benachrichtigt den Kommandanten des Stützpunktes. Diese Wanderungen auf die Berge sind sehr waghalsige Aktionen.

Nach 38 Jahren ist immer noch nicht Frieden. Nicht nur im kurdischen Teil, sondern in der ganzen Türkei hat sich die politische Situation verschlechtert. Die Stimme des Undemokratischen sucht man immer im Ausland. Es sind immer die anderen, die die Türkei destabilisieren. Das war in der Ära der Kemalisten der Fall, aber auch seit die jetzige Regierung mehr an Macht gewonnen hat, ist es so. Hüseyin träumt von einer demokratischen Türkei. Als er nach dem Militärputsch 1981 aus der Türkei nach Österreich kam, dachte er sich, in einigen Jahren wird sich das Land in eine demokratische Richtung bewegen. Die wirtschaftlichen Beziehungen mit den europäischen Ländern waren im Zweitausender-Jahr hoffnungsvoll. Gelder, die sie für demokratische Strukturen aus der EU erhalten haben, flossen aber eher in die Parteikassen der jetzt regierenden Partei. Für die EU war wichtig, dass ihre Firmen gute Geschäfte in der Türkei machen.

Meist wurde Hüseyin vom jüngsten Bruder mit dem Auto vom Flughafen abgeholt. Als Hüseyin selbst mit sechzehneinhalb Jahren seine Stadt verlassen hat, war der jüngste Bruder sechs Jahre alt. Nach Jahren erfuhr Hüseyin von seiner Mutter, dass der jüngste Bruder die erste Woche gegen Abend immer auf den großen Bruder am Fenster wartend verbracht hatte. Der Kleine hat sich gedacht, Hüseyin wird im Zentrum der Stadt noch zu tun haben. Aber es sind jetzt fast 38 Jahre vergangen. Der Junge ist selber 44 Jahre alt und hat zwei Kinder.

Zum Teil hat Hüseyins Angst vor einer Reise in die Türkei, auf Grund bestimmter Aktivitäten in den Sozialen Medien, auch wenn diese Aktivitäten in anderen Ländern getätigt wurden, reicht es, um an den Grenzen der Türkei verhaftet zu werden. Obwohl diese kritischen Geister sich auch mit vielen Ungerechtigkeiten in Europa auseinandersetzen und sich für die Migrantinnen einsetzen, ob sie Kopftuchträgerinnen sind oder auch nicht. Das Thema wird von den Rechten, Nationalisten und Religiösen so in Anspruch genommen, dass die Wahlen zu gewinnen sind.

Gestern Abend war Hüseyin in einem türkisch-kurdischen Kaffeehaus, das «Uzay» heißt. «Uzay» bedeutet Weltraum. Leute, die sich dort befanden, waren nicht im Weltraum, sondern in Wien in der Türkei.

Schönen Sommerbeginn wünscht Ihnen Hüseyin!