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Die Integrationslüge verschluckt die wichtigen Fragen, die hinter den Konflikten stecken: Bildung, Arbeitsmarkt, Wohnen, soziale Rangordnungen, Ohnmacht, Anerkennung. Die Integrationslüge spricht über die Anderen immer als Andersartige, macht Zugewanderte fremder, als sie sind, und Hiesige heimischer, als sie es je waren.
Oder lässt sich die Anderen mittels eines romantischen Kulturalismus kulinarisch auf der Zunge zergehen. Alles ist «Kultur». Wir sind kulturversessen und verhältnisvergessen. Wir reden zu viel über «Kultur» und zu wenig über die Verhältnisse: Arbeitsmarkt, Aufstiegschancen, Bildung und Geld. Wir verwandeln Ungleichheit in Differenz und Gesellschaft in «Kultur». Wir reden über «Kultur», um über die Verhältnisse zu schweigen.
Da ist zuerst die soziale Frage. Der soziale Status hat einen großen Anteil an der Erklärung der Unterschiede, manchmal sogar bis zu hundert Prozent. Its the economy stupid!, hätte Bill Clinton gerufen. Nicht der Migrationshintergrund ist prägender Faktor, sondern die sozialen wie ökonomischen Verhältnisse sind der Angelpunkt. Ob working class oder nicht, ob gute berufliche Position oder nicht, ob Arm oder Reich, ob Bildung oder nicht, ob Einfluss oder nicht: Der Statushintergrund macht viel aus. Das zeigt sich beispielsweise bei der Gesundheit. Besonders ausgeprägt sind bei Einkommensschwächeren die Erkrankungen des Bewegungsapparates, des Stoffwechsels und des Herz-Kreislauf-Systems. Das sind genau jene Erkrankungen unter denen ältere Migrant_innen am meisten leiden. Der Effekt des Krankwerdens hat hier mit der sozialen Lebenslage zu tun. Das zeigt sich auch in der Schule. Nicht die ethnische Herkunft, sondern der soziale Status erklärt einen großen Teil des Schulerfolgs.
Integration ist auch eine Frage sozialer Rangordnungen. Zum/r «Ausländer_in» wird, wer auf Distanz gehalten werden soll. Je weniger sozialer Aufstieg, desto befremdender. Für alle. Hier ist das Merkmal zur Unterscheidung der Menschen in gute und schlechte: das Geld. Wer es hat, der ist kein Fremder, wem es abgeht, der wird zum Fremden. Wer auf Dauer «unten» bleibt, ist fremder als jemand aus der derselben Herkunftskultur mit gehobenem Lebensstil. So verstärkt sich Be-Fremdung. Wer als «Ausländer_in» definiert wird, ändert sich ständig. Vor hundert Jahren waren die Migrant_innen aus Tschechien «die Ausländer_innen». Besonders beklagte man sich über ihre mangelnde Anpassung, ihre Rückständigkeit, die «dreckigen» Wohnverhältnisse und ihre Herkunft aus der Landwirtschaft («Bauerntölpel»).
Teilnehmer_innen eines Experiments an der Stanford Universität, USA, wurden gebeten, die ethnische Herkunft von Gesichtern zu bestimmen, die sie auf Computerbildern zu sehen bekamen. Personen, die Anzug und Krawatte trugen, der Geschäftswelt zuzuordnen waren, wurden eher als «weiß» eingestuft; Gesichter mit Kleidung aus der Welt der Portiere und Hausangestellten als eher «schwarz». Es waren aber dieselben Gesichter. Einzig ihr sozialer Status und ihre berufliche Position ließ die einen «schwärzer» bzw. «weißer» als die anderen erscheinen.