Ich biege in die Längsfurche des Gürtels mit den zwei Streifen, auf denen sausendes Geschütz in entgegengesetzte Richtungen schießt, eingeschlossen inmitten ein schmaler Beton- und Wiesenstreifen mit einem Klettergerüst für Kinder und Hindernissen.
Illustration: Karl Berger
Jungen rennen über Betonblöcke, die wie Siegerpodeste aufgebaut sind, springen ab, winden sich an Schnüren und Stangen des Klettergeräts vorbei, greifen nacheinander, weichen einander aus, und wieder jagen ihre Beine hintereinander über dasselbe Hindernis. Gefangen in kleinstem Terrain, denke ich, bei Lärm, grauer Umgebung, lungenschädigender, reduzierter Atemluft. Doch sie nehmen vorlieb, sie behalten ihre Dynamik. Sie kümmern sich nicht. Auf dem schmalen Betonstreifen weiter unten fahren Burschen mit dem Skateboard über Rampen, ziehen jede Schleife nach, die die erhöhten Betonränder bilden, fahren über Stangen und Rollen und springen in die Höhe, während sich das Skateboard unter den Beinen dreht. Ich trete näher, bleibe stehen. Neben mir stoppt ein Bursche mit zerrissener Hose, kurzer Wollhaube und grüner abgetragener Jacke, dreht sein Board und beschleunigt auf eine etwa dreißig Zentimeter hohe Steinkante zu, die ein Wiesenbeet einfasst, springt aufwärts mit dem Rollbrett, kippt nach außen und fällt auf den Beton. Ich zucke zusammen. Wieder tritt er sein Skateboard zu mir zurück, dreht um, versucht erneut aufspringen, und stürzt vom Steinsockel. Einige Male wiederholt sich die Szene. Er gibt nicht auf. Ich blicke ihn an, das wirre Haar, der Ärger in seinen Augen, der Blick, als ob es nichts Schönes zu sehen gäbe. Arm, denke ich, abgefuckt, er wiederholt seine Kindheit. Hinter ihm andere Jungen, die in Bögen an ein Hindernis heranfahren, aufspringen oder darüberspringen wollen, und es noch nicht schaffen.
Niemand weint
Wieder sehe ich gefährliche Stürze. Niemand weint. Niemand hört auf. Einer wird es schaffen. Einer kann schon gelassen manche Hürde nehmen. Ich sehe die Gewinner beim Red-Bull-Wettbewerb in griechischen Dörfern über Randsteine balancieren, über Steinstufen springen, über Gärten hinweg auf die Straße oder die nächste Brüstung. Nur wenige werden es sein. Die einzige Chance, sich zu behaupten, denke ich. Wie sie uns überlegen sind in der Bewegung, wie die Bewegung ihr Leben ist. Das rasche Reagieren gegen Schläge zu Hause, denke ich. Die rasche Abfuhr von unkontrollierten Gefühlen ihrer Väter, die wechselnden Stimmungen, die sie wendig und jede Gefahr witternd gemacht haben. Diese Gefahr gilt es zu meistern. Sie sind in Bewegung und mir voraus, die ich dastehe mit meinem sorgfältig sauberen Gewand, der weichen Lederjacke und langsam den Verkehrsstreifen entlanggehe. Die ich den Tag über sitze und den Bildschirm fassen will oder den Text aus einem Buch oder den Staubsauger, der mich überfordert. Die stolz ist, wenn sie einmal joggen geht. Ich bewundere sie. Ihren Mut und die Kraft gegen den Schmerz. Das Wiederaufstehen und Weitermachen, noch einmal, bis es gelingt.
Ich hätte Angst
Trainieren Sie für einen Verein?, frage ich den Burschen mit der grünen Jacke, der wieder neben mir stehen bleibt. Ein gefährlicher Sport, ich hätte Angst. Ein schöner Sport, sagt er, man muss genau wissen, wieweit man geht, und jede Situation richtig einschätzen. Sonst ist es fatal. Seit wann, frage ich, trainieren Sie? Seit dem vierundzwanzigsten. Und wie alt sind sie? Vierunddreißig. Nein, Ich hätte Sie höchstens auf zwanzig geschätzt. Man sieht, der Sport hält jung. Mein Vater ist plötzlich alt geworden mit fünfzig, man weiß nie, sagt er, und sein Blick ist nach innen und klein. Und, frage ich zögernd, was machen sie tagsüber? Ich bin Landschaftsgärtner, ich mache Baumschnitte und Gartenpflege und -gestaltung, und der schwingende Tiroler Akzent ist über jeden Vorstadtdialekt erhaben. Wieder bin ich überrascht. Hatte ich einen Arbeitslosen, einen Outcast-Jungen erwartet, einen, dem man nicht mehr helfen kann? Dem man Kleidung geben müsste und Brot? Hatte mein Mitleid die falsche Richtung genommen und sollte mir zukommen, die ziellos durch Gassenschluchten läuft und Häuser und fremde Menschen beobachtet? Ich verabschiede mich und gehe rascher, versuche wendiger zu werden, indem ich die Arme hochhebe und unsichtbare Bälle abfange, indem ich von einer Seite auf die andere laufe im Zickzack und Fäuste vorstoße. Trainiere die Geistes- und Körpergegenwart, ruft es mir nach!