Georg Huß: Juristische Denkanstöße durch einen Wehrhaften
Augustin-Leser_innen kennen Georg Huß von den Beiträgen aus seinem Häftlingstagebuch. Seine unerschrockene Aufmüpfigkeit gegen die ganz normale Vollzugspraxis liefert in ganz besonders konzentrierter Form Denkmaterial zur Strafjustiz. Das Verhältnis der Justiz zu seiner Straftat ist paradox und diskussionswürdig. Franz Blaha hat mit Georg Huß über den engen Handlungsspielraum im Gefängnis gesprochen.
Illu: Carla Müller
Georg Huß ist ein deutscher Staatsbürger, der wegen eines Hanfdelikts in Österreich einsitzt. Cannabis-Delikte stellen die Sinnhaftigkeit und die ethisch-moralische Verlegenheit der Justizsysteme weltweit besonders in Frage. Vier Jahre wegen des Besitzes von 750 Gramm ungeernteten Krauts hat Huß ausgefasst.
Der österreichische Strafrahmen reicht von zwangsverordneter Therapie der Cannabis-Abhängigkeit bis zu etlichen Jahren Gefängnis. Im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität ist nach § 28 SMG (Suchtmittelgesetz) sogar lebenslanger Freiheitsentzug vorgesehen. In der Praxis wird derzeit nach § 27 SMG, gemildert durch ständig neue Verordnungen, geurteilt. Cannabis ist in der österreichischen und der internationalen Debatte auf dem Weg der Legalisierung. Auf tausenden Quadratkilometern dieser Erde ist geringfügiger Umgang mit dem Stoff vollkommen legal, auf etwa der halben besiedelten Erdoberfläche entkriminalisiert. Vor knapp hundert Jahren war er ein von der Schulmedizin verordnetes Wunder-Medikament und ist jetzt auf dem besten Weg, es wieder zu werden. Was ein Strafdelikt ist, ist also nicht zuerst ein ethisch-moralisches, sondern vor allem ein Problem der Geografie und des Geburtsdatums. Georg Huß war zum Zeitpunkt seiner Verhaftung maximal ein paar Flugstunden oder auch nur eineinhalb Lebensalter von der Legalität seines Tuns entfernt. Cannabis ist auch nicht verboten, weil es die Gesundheit schädigt, sondern weil es auf einer im Jahr 1961 unter vor allem politischen Gesichtspunkten erstellten Liste steht. Ausschlaggebend für das Hanfverbot waren unter anderem die Interessen der erdölverarbeitenden Industrie und der ägyptischen Opiumvertreiber sowie die Aufhebung der (Alkohol-)Prohibition in den USA, von deren Totalversagen durch eine erfundene Teufelsdroge abgelenkt werden musste. In Österreich stellen wir fest:
Alkoholtote (ohne Verkehrstote durch Alkoholisierte): 10.000 jährlich
Cannabistote: 0 (in Worten: null) jährlich
Alkohol in gesundheitsschädigender Menge konsumieren 750.000 Österreicher_innen
Gesundheitsschädigender Cannabiskonsum – keine Erhebung
Vom Regen in die Traufe, von der Traufe in den Orkan
Wer einem 14-jährigen Cannabiskonsum ermöglicht, riskiert viele Jahre Zuchthaus unbedingt. Wer die Alkoholberauschung eines 14-Jährigen zulässt, riskiert eine Geldstrafe von 50 Euro.
Vielleicht sieht Georg Huß seine Liebe zum Hanf angesichts solcher Fakten zu Unrecht verteufelt. Dennoch kämpft er nicht gegen das Urteil, wohl aber gegen die Praxis des Vollzugs.
Huß ist ein Freigeist und Weltenbummler. Je größer eine Anstalt ist, desto kleiner der Freiraum des einzelnen. JA Eisenstadt/JA St. Pölten/JA Graz-Karlau bedeutet 163/229/522 «Plätze». Huß ist «vom Regen in die Traufe und von der Traufe in den Orkan» verfrachtet worden. Verfrachtet im «Krokodil», einem dunklen, in einen Kubikmeter großen Zwinger unterteilten Käfig auf Rädern mit 10 Zentimeter hohen Luftlöchern. Ein Sammeltransport von Anstalt zu Anstalt. Ausgestiegen wird nur einmal zum Pinkeln. Wie eng das gerade für ihn sein muss, der ganze Staaten auf dem Fahrrad durchquert hat? Wie er sich fühlen muss, wenn er wie eine leblose Sache von Käfig zu Käfig verbracht wird? «In 17 Monaten 13 Zellen, 60 Mitbewohner, 3 Anstalten», klagt er. Man will ihn in sein «Heimatland» Deutschland abschieben, das für ihn schon lange nicht mehr Heimat ist. Er hat dort schon ähnlich harte Strafen abgesessen, ist viele Jahre durch die Welt getingelt, seine Frau lebt in Slowenien. Trotzdem ist es möglich, ihn gegen seinen Willen in den dortigen Vollzug zu expedieren (§ 42c EU-JZG regelt zwischenstaatliche Vollzugsmaßnahmen innerhalb der EU). Mit Hungerstreik und Medienaufmerksamkeit, mit Beschwerden, Eingaben, Gesprächen, Briefen kämpft er um Humanität – nicht nur für sich, sondern für alle Betroffenen. Er beklagt Verzögerungen seiner Anliegen und Beschwerden, Vorenthalt vollzugsrelevanter Informationen, «Psychoterror», der ihn krankenhausreif macht. Man lässt ihn die Folgen des Hungerstreiks büßen. Statt medizinischer Aufklärung und Fastenfolgediät überlässt man ihn seinem Heißhunger und den qualvollen Beschwerden, die sich daraus ergeben. Er bleibt unbeugsam. Schließlich gelingt ihm sogar die Gründung eines Vereins. Er nennt ihn «Ha-Hä-Hi», und wir wünschen Georg Huß das Herbeiströmen zahlreicher «Hußiten», denen ein fruchtbarer Dialog mit Justiz, Wissenschaft und Behörden gelingen möge.
Am 8. Mai 2015 hat das Justizministerium seine Ablehnung, Cannabis aus der Suchtgiftkategorie auszunehmen, damit begründet, dass Österreich sich die Vorreiterrolle bei der Liberalisierung nicht leisten könne, weil dann Zuzug aus den Ländern zu befürchten sei, in denen das Mittel kriminalisiert ist. Das tröstet Georg Huß zwar nicht, zeigt aber einmal mehr, wie sehr Gesetzgebung auch von ganz anderen Interessen als denen von Ethik und Moral bestimmt ist. Ob davon nicht negative Impulse («dann muss ich ja wohl auch dürfen») auf das Verhalten der Durchschnittsbürger_innen ausgehen?
Im kommenden Augustin Nr. 401 können Sie «Odyssee in der Haftanstalt», Georg Huß’ Bericht über seine Überstellung von der JA St. Pölten in die JA Graz Karlau, lesen.