Die Kehrseite der Smart Citytun & lassen

Wie die Data-Eliten den Planeten verletzen

Wien soll eine sogenannte Smart City werden. Nicht nur für den Umweltschutz ist das ­fatal, auch für die Menschen in jenen Ländern, in denen Rohstoffe für die Informationstechnologien ­abgebaut werden, schreibt Robert Sommer (Text und Foto).

Santiago de Chile: In einer Novembernacht haben Demons-trant_innen eine Überwachungsdrohne der Polizei zum Absturz gebracht. Videos zeigen die Freude der Massen über diesen Sieg. Aber was hat das mit Wien und mit dem Konzept der Smart City zu tun?
Die Drohnentechnologie ist einer der Stränge des vermeintlichen Triumphzugs der Digitalisierung durch die reichen Städte der Welt. Drohnen könnten bald viel klüger sein als ihre überforderten Kolleg_innen von der Polizei. Denn sie zählen zu den Lieblingskindern der Digitalisierungsträger Robotik und Künstliche Intelligenz (KI). Flugdrohnen werden vor allem in der Logistik eingesetzt. In der Landwirtschaft sind sie ebenso hilfreich wie bei der Paketzustellung. Morgen werden sie die Roboter der Eisenbahngleis-Inspektion sein. Oder die Kontrolleur_innen unterirdischer Pipelines. Und in den vielen regionalen Kriegen, die in bodenschatzreichen Gegenden geführt werden, haben sie sich schon bewährt.

Ambivalenz des Digitalen.

Ehrgeizige Programme, die Stadt weltweit zur Spitzenreiterin der digitalen Revolution, also zur Smart-City-Musterstadt zu machen, sind das, was den Stadtverwaltungen in Santiago de Chile und Wien gemeinsam ist. Mit dem Santiagoer Weg der verantwortungsvollen Digitalisierung sei der chilenischen Hauptstadt ein Alleinstellungsmerkmal entstanden. Solches suggerierte die Regierung des Landes, die noch im September die Ruhe, das Wachstum und die konfliktarme Neoliberalisierung in der Hauptstadt lobte, in der im Oktober die größte Revolte seit dem Sturz Pinochets begann.
Das europäische Pendant zu Santiago soll Wien werden: «Die Smart City Wien ist Europas Digitalisierungshauptstadt der besonderen Art, mit sehr wienerischen, heißt: menschlichen Zügen», formuliert ein rot-grünes amtliches Redaktionsteam. Die Sprache der beiden Smart-City-Managements ist die gleiche – googlisch-microsoftisch: «Industrie 4.0, Automatisierung, Service-Roboter, smarte Anwendungen von Mobility, Grids, Health, Education Buildings, cloudbasierte Lösungen, Internet der Dinge – das sind die Bausteine des Strukturwandels», wie in dem Grünen-Statement Die Digitalisierung als Chance begreifen zu lesen ist.
Zwar freut sich in Chile das ganze Volk, wenn ein hochdigitalisiertes Überwachungsinstrumentarium zerstört wird, doch der Schreiber dieser Zeilen ahnt, dass er auch in der handysüchtigen chilenischen Metropole schräg betrachtet werden würde, wenn er sich als Nichtbesitzer eines Smartphones outete.
Noch gelingt es den Eliten, zu verhindern, dass die Massen sich um die Ambivalenz des Digitalen scheren. Damit konnte bis jetzt der Mythos der «smart revolution» überleben. Vielleicht kann sich das ändern, wenn den Menschen die folgende Liste der Katastrophen für die Armen dieser Welt gewahr wird, die zu Opfern urbanistisch-westlicher Smart-City-Visionen werden.

Menschenrechtsverletzungen.

1. Die Smart City ist die Form, in der sich der Digital-Capital-Military-Complex, in dem die Unternehmen des Silicon Valley wie Google, Amazon und Microsoft eine entscheidende Rolle spielen, das Ende der Geschichte vorstellt. Die meisten Städte Chinas und fast alle Städte des Westens und des Nordens haben sich diesem Megatrend untergeordnet; es ist eine Modernisierungsreligion entstanden, deren Credos sich, global betrachtet, so sehr gleichen, als hätten die erwähnten Unternehmen den PR-Abteilungen der Städtemanagements die Formulierungen vorgegeben.
2. Die neue heilige Dreifaltigkeit, bestehend aus dem Ausbau von erneuerbaren Energien, Elektromobilität und Digitalisierung, wird die Abhängigkeit vom Öl beseitigen, aber die Nachfrage nach metallischen Rohstoffen und seltenen Erden massiv erhöhen. Es zeichnet sich klar ab, dass sich dadurch die sozialen Konflikte in den Abbauländern verschärfen und ungerechte Handelsstrukturen weiter verfestigen. Die Versuche der US-Politik, Länder auf Dauer zu destabilisieren, um den Zugriff westlicher Konzerne auf die billigen Rohstoffe zu garantieren, werden sich von den Ölregionen auf die Metallregionen verlagern.
3. Lithium ist ein Schlüsselstoff für derzeitige Energiespeichertechnologien. Die verheerenden Auswirkungen der Lithiumgewinnung auf Menschen und Umwelt in Lateinamerika sind bekannt. Die peruanische Ombudsbehörde Defensoria del Pueblo gab bekannt, dass in den vergangenen zehn Jahren 270 Tote und mehrere Tausende Verletzte bei sozialen Konflikten, die zum Großteil mit dem Lithium-Bergbau im Zusammenhang standen, beklagt werden mussten.
4. In der Demokratischen Republik Kongo, wo sich die weltweit größten Kobaltminen befinden, ist mit einer Zunahme schwerer Menschenrechtsverletzungen zu rechnen. Die globale Jahresproduktion an Kobalt liegt zur Zeit bei rund 124.000 Tonnen. Doch selbst mit der heute fortschrittlichsten Technologie brauche man 400.000 Tonnen reines Kobalt für 30 Millionen Batterieautos mit 90-kWh-Akku, wird Hartmann F. Leube, Senior Vice President bei BASF, einem der größten Hersteller von Kathodenmaterial, zitiert. Die aktuelle Kobalt-Jahresproduktion reicht also nicht einmal für halb so viele Autos, wie die Industrie sie schon bald jedes Jahr bauen will – es sei denn, sie machte Abstriche bei der Reichweite und baute kleinere Akkus. Dass der Ausbau der individuellen Elektromobilität immer noch zentrales Anliegen der Smart-City-Politiken ist, sollte unter kritischen Zeitgenoss_innen Staunen verursachen.

E-Mobilität und Kolonialismus.

5. Ein Zuwachs bei der Elektromobilität führt zu einem steigenden Bedarf nach Kupfer. Der Abbau dieses Metalls geht mit einem enormen Wasserverbrauch einher. Die Umweltbelastung pro Tonne gefördertem Kupfer nimmt exponenziell zu, weil die Konzentrationen in den Kupferlagerstätten weltweit abnehmen und daher immer größere Eingriffe in die Natur nötig werden. In den Müllhalden der Dritten Welt gewinnen Kinder das begehrte Kupfer durch das Verbrennen von Elektrokabeln und Schaltkreisen. Der toxische Qualm, der dabei entsteht, vergiftet Mensch und Natur.
6. Wie wenig der Kolonialismus in Bezug auf die Ausbeutung von Rohstoffen überwunden ist, wird in einem begeisterten Artikel des Handelsblatts vom Dezember 2018 deutlich: «Im Salzsee Salar de Uyuni in Bolivien schlummern die größten Lithiumreserven der Welt – Rohstoff für die Batterien künftiger Elektroautos. Den Schatz soll ein deutsches Unternehmen heben.» Profitieren soll von dieser Entwicklung vor allem die deutsche Autoindustrie im Hinblick auf die Eroberung von Marktanteilen in China.
7. Angesichts dieser Szenarien scheint der Anspruch einer «wienerischen, also menschlichen» Digitalisierung eine ­Farce zu sein. Eine demokratische Smart-City-Politik muss die Eigentumsfrage stellen. Die physische Infrastruktur der Digitalisierung – die Telefon- und Glasfaserleitungen, die Satelliten, die Kabel am Meeresgrund, die Informationsfabriken namens Data Centers, deren Verbrauch an Energie, Wasser und Metall gigantisch ist, gehören einigen wenigen Firmen. Smart-City-Projekte beschleunigen den Ausbau dieser Infrastruktur, sodass alle diese Projekte – auch wenn sie von dezidiert linken Stadtregierungen ausgehen – in ihrer Substanz die größten Umverteilungsmaschinen von öffentlichen Geldern zu privaten Unternehmer_innen darstellen.
8. Es mutet seltsam an, wenn die Wiener Grünen die Digitalisierung als «große Chance» in ihren Kernbereichen Umwelt-und Klimaschutz betrachten. Die Rechenzentren, das Rückgrat der Digitalisierung, gehören zu den am schnellsten wachsenden Stromkonsumenten in den OECD-Ländern und den wichtigsten Treibern beim Bau neuer Kraftwerke. Der Kohlendioxyd-Fußabdruck der gesamten Informations- und Kommunikationstechnologie wird dank Smart-City-Blindheit bald an jenen der Luftfahrtindustrie heranreichen.

Verbundenheit ohne Smartphone.

Viele andere Punkte hätten hier noch die Kehrseite der Smart City ans Tageslicht fördern können, um in der Bergbausprache zu bleiben. Unser Ausgangspunkt war der lasergrün beleuchtete Nachthimmel der chilenischen Hauptstadt. Wenige Wochen vor dem Drohnenabschuss konnte der Präsident noch behaupten, Chile sei ein Vorzeigeland Südamerikas, dessen Bürger_innen für eine Rebellion nicht prädestiniert wären. Natürlich ist es kein Aufstand gegen die Smart-City-Idee. Und gerade zur Koordination der Straßenkämpfe leistet das Smartphone große Dienste. Und auch in Österreich liebt das Volk, jung oder alt, die Geburtstagsgrüße aus dem Facebook.
Doch ein gewisses Unbehagen braut sich zusammen. Menschen kaufen Vinyl-Schallplatten, entwickeln analoge Schwarzweißfotos in der Dunkelkammer oder lesen Zeitungen, zum Beispiel meinen Text hier. Ich fühle mich mit ihnen verbunden – auch wenn sie gar nicht darüber nachdenken, ob es Wichtigeres gibt als die Smart City an der Donau.

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