Brücken, Kanäle, enge Gassen – viel Platz bleibt in Venedig nicht fürs Fußballspielen. Gespielt wird trotzdem.
Venedig ist anders. Vielleicht die schönste Stadt der Welt, auf Pfählen in eine Lagunenlandschaft hineingebaut. In jedem Fall kann man diese Stadt mit nichts Bekanntem oder Gewohntem vergleichen.
Auch was den Fußball betrifft, geht Venedig eigene Wege. Das Stadion des traditionellen heimischen Klubs, des Venezia FC, liegt im Südosten, ganz am Stadtrand, neben dem Jachthafen. Vor mehr als 100 Jahren wurde es erbaut, und es hat schon viel mitgemacht, Spiele in der vierten wie in der ersten Liga, und nicht weniger als drei Mal erklärte sich der Verein für bankrott. Gerade scheint er sich wieder etwas gefangen zu haben, er mischt oben in der Serie B mit. Ich besuche ein Abendspiel. Schon eine Stunde vor Matchbeginn ertönt laute Musik aus den Lautsprechern des Stadions. The Clash und Sex Pistols. Man lässt es also ordentlich krachen, so laut, dass die Musik unweigerlich auch in die Wohnzimmer der Anwohner:innen dringt. Die einen wird es freuen, die anderen nicht. Zu der einen Seite des Stadio Pierluigi Penzo liegt das Stadtviertel Castello, zur anderen ist nichts als Wasser.
Beruhigendes Wasser
Passend zur Musik flackert das Licht der Flutlichtanlage. Just so wie in einer Disco. Allmählich treffen die ersten Zuschauer:innen ein, viele kommen mit dem Vaporetto, dem städtischen Wasserbus. Die Honoratior:innen fahren indes im Wassertaxi vor. Direkt vor dem Haupteingang des Stadions ist eine Anlegestelle.
Gewalt? Fanausschreitungen? Klar, die Fans der beiden gegeneinander antretenden Mannschaften werden auch in diesem Stadion – wo im Übrigen ein hart getretener Ball auch schon einmal über das Stadion fliegen und im Wasser landen kann – auf getrennte Sektoren aufgeteilt, aber dass sie vor oder nach dem Match auf Wickel aus wären, das kann man sich hier kaum vorstellen. Hier, wo das allgegenwärtige Wasser das Gemüt so schön beruhigt und wo die geschwungenen Gassen zusätzlich deeskalierend wirken.
Zu den Spielen im Stadio Pierluigi Penzo kann man also getrost Kinder mitnehmen. Die haben es in Venedig einerseits herrlich. Sie wachsen ganz ohne Autos auf. Also ohne das, was die verursachen: Gestank, Lärm, Umweltverpestung, Todesgefahr. Andererseits haben sie es aber auch schwer. Denn so wie alle Kinder in der Welt lieben auch sie es, dem Ball hinterherzujagen. Nur, wo kicken, wenn es in ihrer Stadt kaum Grünflächen gibt, geschweige denn Fußballplätze?
Campi statt Park
Venedig wartet mit Kanälen und schmalen Gassen auf, aber auch mit Campi: Das sind so etwas wie die Dorfplätze in den einzelnen Bezirken, den Sestieri. Hier weitet sich der Raum, Bänke stehen herum, wo insbesondere ältere Leute zusammenkommen. Auf den Campi packen auch die Kinder und Jugendlichen gerne den Ball aus. Als Tor erwählen sie mit Vorliebe eine Kirchenmauer, denn eine Kirche befindet sich fast immer am Rande eines Campos. Sonst macht es auch eine gewöhnliche Hauswand. Die Fenster der Parterrewohnungen sind vergittert, ein Schutz gegen Einbrecher:innen, der den jungen Kicker:innen zugleich signalisiert, dass sie ruhig mit Wucht gegen den Ball treten können, denn so schnell wird keine Fensterscheibe zu Bruch gehen.
Die Massen umdribbeln
Natürlich, wie das Pfeiferl zum Schiri, so gehören die Tourist:innenmassen zu Venedig. Überall sind sie in der Stadt unterwegs, auch auf den Campi, da stehen sie dann unversehens vor den Kicker:innen – und denen im Weg. Ein Ärgernis. Manche der Kicker:innen weichen deshalb auf den Abend aus, da haben sie den Campo eher für sich. Andere gehen es sportlich an. Die unvermittelt auftauchenden Hindernisse umkurven sie mit einem Dribbling oder sie befreien sich mit einem Pass in die Tiefe. Gefragt ist die schnelle Reaktion, eine Lösung in Bedrängnis. Ein gutes Training. So werden basale fußballerische Fertigkeiten eingeübt. Bei uns lernen angehende Fußballer:innen ihr Handwerk klassischerweise in einer der zahlreichen Akademien oder im «Käfig», in Venedig tun sie es auf dem Campo.