Abschied ohne jegliches Abschiedskonzert-Trarara
Am 13. Dezember 2014 spielte Sigi Maron sein letztes Konzert. 38 Jahre nach dem Erscheinen seiner ersten Langspielplatte.
Foto: Mario Lang
Ende letzten Jahres verabschiedeten sich zwei fixe Größen der heimischen Musiklandschaft vom Konzert- und Tonträgergeschehen. Die Linzer Band Shy entschloss sich, ihren ausgeschiedenen Schlagzeuger nicht nachzubesetzen und die 1992 begonnene Bandgeschichte zu beenden. In Linz, der Operationsbasis von Andi Kump & Co., vollzog ein anderer Musiker seinen Bühnenabschied. Fast auf den Tag genau sieben Monate nach seinem 70. Geburtstag und im Jahr des Erscheinens seines jüngsten Albums, «Dynamit und Edelschrott» spielte Sigi Maron in der Linzer Stadtwerkstatt mit den Rocksteady Allstars, seiner Begleitband der letzten Jahre, ein letztes Konzert. Ohne jegliches Abschiedskonzert-Trarara.
Konsequent und klar wie Sigi Maron ist und agiert, dürfen und müssen wir damit rechnen, dass dieses letzte Konzert tatsächlich sein letztes bleibt. Es wurde nicht umsonst veranstaltet vom Kulturverein Willy, der seit Jahrzehnten am Weissenbach am Attersee das Festival des politischen Liedes betreibt. Ein Festival, bei dem Maron immer wieder aufgetreten ist, in einem Kontext bewusst politisch agierender Musik und Kunst, den der Musiker, Texter und Autor sehr zu schätzen weiß. Zwei Tage nach dem Auftritt lädt Maron die Musikarbeiter zu sich nach Baden ein. Bei reichlich Kaffee, Keksen und Wasser lässt er launig ein (Musiker-)Leben Revue passieren, das jetzt in eine neue Phase eingetreten ist. Nicht nur dem Porträt von Elvis Prelsey im Maron’schen Wohnzimmer lacht dabei lauthals das Herz, auch wenn das Einstellen der Livetätigkeit – schon 1996 zog sich Maron von der Bühne zurück – gesundheitliche Gründe hat.
Sigi Maron: «Ich kann ja nicht singen, wie die Sänger … I sing ja mit meinem ganzen Körper. Und nachdem ich bis daher gelähmt bin, sing i mit dem, was nicht gelähmt ist. Das kostet mich so viel Kraft, dass ich nach einem Konzert halbtot bin. (…) Aber die Hauptmotivation war immer das Livespielen, ich hab auch vom Livespielen gelebt, wenn ich von die Plattenverkäufe hätt leben müssen … I hob heuer a Abrechung kriegt von der AKM von 7 Euro 98. Die Austro Mechana hob i no ned kriagt, da kriag i wahrscheinlich zwölfe … Und mei Frau und i hom beschlossen, wir pracken des ned im Casino auße, nein wir gehens ins Kino, und sollt ma was aufzahlen müssen, zahlen wir halt auf.»
Zeit für die Autobiografie
Ingrid und Sigi Maron haben 1968 geheiratet, das Paar hat zwei Töchter. Am Ende unseres gut einstündigen Gesprächs, als das Aufnahmegerät schon ausgeschaltet ist und bereit, vergessen zu werden (aber das ist eine andere Geschichte), sagt Sigi noch etwas zu ihrer Ehe. «Wir sind seit 46 Jahren verheiratet, aber i bin ned schuid, sondern des is ihr Leistung.» Nicht der einzige Moment, in dem klar wird, dass Sigi Maron im privaten Umfeld großen Rückhalt hat für das und wie er es tut. Seit 2010 veröffentlichte Maron zwei Studioalben: «Es gibt kann Gott» und das schon erwähnte «Dynamit und Edelschrott». Letzteres bringt gleich 18 Beispiele der Maron’schen Liedkunst, mit Gästen wie Attwenger oder den deutschen Hip-Hoppern Bandbreite. (Zu beziehen übrigens am besten direkt über den Webshop von Marons Homepage.)
«Das ist, was sich in 14 Jahren aufgestaut hat. Zum Schreiben habe ich ja nicht aufgehört. Schreiben tua i jetzt a no, es gibt e genug Leute, die Texte brauchen. Aber i wü jetzt vor allem amoi meine Memoiren schreiben, des wü i scho lang.»
Wobei es schon einzelne Kapitel gibt, aber das Ganze in eine Form zu bringen und abzuschließen, ging sich «zwischendurch» bislang nicht aus. Neue Alben unter seinem Namen schließt Sigi Maron allerdings definitiv aus. Als «realitätsbezogener Mensch» sieht er das Album, egal ob auf CD oder Vinyl, «über kurz oder lang» als sterbende Gattung. Einzelne Lieder zu veröffentlichen hingegen schließt er nicht vollkommen aus, «aber ob i des tua … nur im Studio sein und des dann ned anbringan kennan auf der Bühne, i kaun nur ganz oder gar ned. I hob ja a während meiner Pause bestenfalls Notizen gemacht, oba ka Liad fertig gschriem.»
Des san kane Sozialisten
Maron rekapituliert das Entstehen zweier Lieder auf der Intensivstation, als er – vorerst – seinem Enkel nur Stichworte diktieren konnte, aus denen später «Es gibt kan Gott» und «Cap Anamur» (beide auf «Es gibt kann Gott» zu finden) entstanden, über das Flüchtlingsproblem. «Ich hab mit zwölf Kinderlähmung kriegt und das erste Buch, dass ich dann bewusst als Buch gelesen habe, war «Das Totenschiff» von B. Traven. Und da geht’s eben um die Staatenlosigkeit, ums Nichtdazugehören, immer auf der Flucht sein zu müssen. Ich hab auch viel von Erich Maria Remarque gelesen, wo auch meine Ablehnung der Kriege dazugekommen ist, gleichzeitig hat mir mein Vater mit 14 marxistische Literatur gegeben, zuerst Austromarxismus und dann a bissl was Härteres …»
Mit «Härterem» meint Maron leninistische Texte, ergänzt: «Ich habe auch Ferdinand Lassalle gelesen, weil mein Vater gesagt hat: «Muasst aufpassen, die nennen sich ja Sozialdemokraten, des san kane Sozialisten.»
Warns a ned, deswegen hams ja ka Problem ghobt, die Rosa Luxemburg und den Karl Liebknecht umzubringen.»
Im Laufe des Gesprächs redet sich Sigi Maron geradezu «warm», bringt wie in seinen besten Liedern und Texten «das Persönliche» und «das Politische» auf eine Ebene, lebendig und nachdrücklich.
«So bin ich aufgewachsen. Meine Mutter war sehr katholisch, hat sich aber nur um die Madln kümmern derfn, auch politisch – und da Vater hat sie um die Buam kümmert. Er hod uns den Spruch mitgem – wauns amoi groß sads, Burschen, denkts imma aun mi, a waun i tot bin. Wählt KPÖ und nehmts Pitralon. I nimm heid no Pitralon, ich lehne jedes andere Rasierwasser ab.»
Von der Problematik des marxistisch korrekten Rasierwassers – by all means necessary! – finden wir wieder zurück zum Liederschreiben, wobei Marons Texten und Stichworten rhythmische und melodiöse Grundstrukturen eingeschrieben sind, die er mit Gitarre und seinen «bewährten drei Akkorden – der vierte wird überschätzt!» umsetzt. Die Zusammenarbeit mit anderen Musikern war dabei nicht immer friktionsfrei. «Die haben dann oft heimtückisch an Siebener oder an Sechs-Moll dazugegeben – solangs für mi ned grauslich klingt, derfts es mochen. Solangs in meine Ohren a Verbesserung ist. Wenn Musiker zu mir kommen und sagen: Do foid a Bridge, sog i – i kenn vü Dylan-Lieda ohne Bridge.»
Der schon erwähnte Enkel, Luka, der seinen Großvater und dessen Musikerleben schon jung begleitete, hat diesen an Hip-Hop herangeführt. «So was muasst machen, so was muasst machen.» Mit Bandbreite entstand davon ausgehend «Schenk ma fünf Minuten» – auf dem jüngsten Album – das Udo Jürgens‘ «Griechischer Wein» (ein Lied, das Sigi Maron sehr zu schätzen weiß) ins Heute holt, «wie ist die Situation jetzt?»
Do foid a Bridge
Gefragt nach Musik, die Sigi Maron gut findet, vom politischen Anspruch und Kontext her, kommt Überraschendes.
«Green Day, i bin a ganz begeisterter Fan von Green Day. In Frankreich Jean-Jacques Goldman, der is, glaub i, in da KP. In Bayern a Trio, des haast Wet Socks, mehr Richtung Jazz. Hans Söllner … Hannes Wader rennt imma no um … Konstantin Wecker, owa des is scho mei Generation. Jüngere – Max Schabl, Gebrüder Marx in Wien, auf was i jetzt grad steh – die Poxrucker Sisters, aber di müssen no a wenig subversiv wern.»
Maron nennt Ernst Molden und Der Nino aus Wien, wobei er sich bei Letzterem ein wenig mehr politische Direktheit wünschen würde, räumt aber gleichzeitig ein: «Waun mas von hinten umabringt, is es a okay.»
Musikalischen Kulturpessimismus weist Sigi Maron von sich, verortet Mangel medial und bei den Veranstaltungsorten. «Die Künstler san da …»
Sigi Maron schätzt, dass er bis zum 13. 12. 2014 mehr als 2000 Konzerte gespielt hat, in jüngeren Jahren mitunter 180, 200 pro Jahr. Viele davon in Kontexten wie Hainburg oder in Zusammenhängen der Schaffung kultureller Freiräume im Zuge der Arena-Besetzung, Musik immer auch als Informations- und Kritik-Träger. Vom Abklopfen politischer Realitäten und Grauslichkeiten, Errungenschaften wie der 40-Stunden-Woche, die einmal als ein Anfang für ein «Immer-besser-Werden» gesehen werden konnten, während heute über 12-Stunden-Tage geredet wird, landen wir abschließend beim Song-Contest. «Der logische Nachfolger von der Conchita Wurst warat a oida, glatzerter, linksradikaler Krüppel – nämlich i.» Dass Sigi Maron es nicht ist, ist der Verlust des Landes mit dem A.