Die Krise als Chance?tun & lassen

Solidarische Ökonomie ist machbar: TIMESOZIAL

Timesozial.jpgAuswege aus der sich immer weiter verschärfenden Finanz- und Wirtschaftskrise können nur in grundlegenden Änderungen am Geld- und Wirtschaftssystem ansetzen auf globaler, nationaler wie regionaler Ebene. Viele Lösungsansätze hat der Wiener Kongress Solidarische Ökonomie siehe Seite 18 aufgezeigt. Dort hatte der Autor dieses Beitrags in mehreren Workshops ein Zeitbank-Experiment vorgestellt und auf die laufende Petition „Neues Geld“ an Österreichs Politiker verwiesen. Für den Augustin erläuterte er Begriffe wie Zeitgutscheine und Regiogeld.

Schon heute konkret umsetzbar ist der Aufbau regionaler Währungen, die nach anderen Spielregeln funktionieren: zins- und inflationsfrei, gemeinschaftsbildend und demokratisch, Basis für eine nachhaltige, ressourcenschonende, regionale Wirtschaft.

TIMESOZIAL ist eine so genannte Zeitbank: Auf den Konten werden Stunden verbucht. Als Währung gilt eine Stunde private Lebenszeit (einfache soziale Hilfsleistungen). Im gewerblichen Bereich werden Euro-Preise in Lebenszeit umgerechnet (vorerst 10 Euro pro Stunde). Der Umrechnungskurs wird regelmäßig angepasst, damit der Wert einer Stunde nicht abnimmt (Inflationsausgleich). Zeit ist eine „Währung“ im eigentlichen Sinn und besonders inflations- und krisensicher: Mit einem Zeitguthaben von 100 Stunden hat man immer Anspruch auf 100 Stunden oder gleichwertige Waren und Leistungen. Weltweit gibt es bereits über 800 Zeitbanken.

TIMESOZIAL ist in drei Module gegliedert: Nachbarschaftshilfe, Zeitvorsorge und Wirtschaftsnetz. In der Nachbarschaftshilfe dürfen (steuerfrei) nur soziale Hilfen geleistet werden. „Gewinnorientierte“ Tätigkeiten müssen versteuert werden (Wirtschaftsnetz).

Über Zeitbanken kann die Nachbarschaftshilfe wiederbelebt und ein soziales Netzwerk für Jung und Alt aufgebaut werden: Wer anderen 1 Stunde hilft, erhält einen Zeitgutschein und kann damit wieder 1 Stunde Hilfe beziehen. TIMESOZIAL bringt damit hilfesuchende und hilfsbereite Menschen, Fähigkeiten und Bedürfnisse in der Nachbarschaft zusammen.

Die Hilfe erfolgt immer freiwillig. Jede/r kann die Tätigkeiten einbringen, die er/sie besonders gut kann oder gerne tut, und erhält dafür Hilfe bei Aufgaben, mit denen er/sie überfordert ist mit gutem Gewissen, da sich Geben und Nehmen die Waage halten. Jede/r besitzt besondere Fähigkeiten, die andere benötigen und schätzen. Auch SeniorInnen sind bis ins hohe Alter gefragt (Kinderbetreuung). Da nicht jede/r eine Gegenleistung erbringen kann, wird auch Zeit verschenkt (an alleinerziehende und junge Familien sowie in Notsituationen).

Die Zeitvorsorge stellt eine von Inflation und Kapitalmarkt unabhängige 4. Säule der Altersvorsorge dar. Der Grundgedanke ist folgender: Heute anderen helfen und Zeitguthaben ansparen für Zeiten, in denen man selbst Hilfe benötigt. Ziel ist es, freiwilliges soziales Engagement zu fördern und ein generationenübergreifendes Netzwerk für Hilfe und Betreuung aufzubauen.

Japanische Zeitbank mit 3 Millionen Mitgliedern

In der Praxis funktioniert das so: Hilfsbedürftige kaufen Zeitgutscheine. Freiwillige helfen ein paar Stunden in der Woche und sparen Zeitguthaben an. Die Kommunen erhalten die Euro-Einnahmen aus dem Verkauf der Gutscheine, investieren diese für soziale Zwecke und garantieren, dass man die geleistete Hilfe wieder erhält.

Das weltgrößte Zeitsparsystem ist mit 3 Millionen Mitgliedern Fureia Kippu („Pflege-Beziehungs-Ticket“) in Japan, das 1995 vom Justizminister eingeführt wurde. Mit den Yen-Einnahmen konnten bereits umfangreiche Investitionen getätigt werden. Der Talente-Tauschkreis Vorarlberg mit seinen inzwischen 1500 Mitgliedern startete 2006 die Vorarlberger Zeitvorsorge. Die Landesregierung finanziert nun die landesweite Einführung dieses Modells.

Das TIMESOZIAL-Wirtschaftsnetz soll noch in diesem Jahr starten. Es umfasst ein so genanntes Regiogeld: Gutscheine, die für Euro gekauft werden und in der Region zirkulieren. Beim Rücktausch in Euro ist eine Regionalabgabe fällig, die regionalen Vereinen zukommt und wie ein Regionalzoll wirkt. Regiogeld schafft regionale Wirtschaftskreisläufe, minimiert Transportwege, bindet die Kaufkraft an die Region und ist ein ideales Kundenbindungssystem.

Ferner soll über die Zeitbank ein so genannter Barter-Ring (bartern = tauschen) für kleine und mittlere Unternehmen aufgebaut werden, der vor allem Bauern und Nahversorger mit den Konsumenten und dem sozialen Netz verknüpft. Brot bei einem Bäcker soll dann ein paar „Minuten“ Lebenszeit kosten.

In der Schweiz existiert seit 1934 die WIR-Wirtschaftsring Genossenschaft, die heute über 70.000 Mitglieder und mehrere Milliarden Franken Umsatz pro Jahr hat ein solidarisches Erfolgsmodell, das nachweislich seit 75 Jahren die Schweizer Wirtschaft stabilisiert.

Diese solidarischen Systeme ermöglichen auch in einer tiefen Wirtschaftskrise und beim Kollaps des Banken- und Geldsystems stabile regionale Wirtschaftskreisläufe. Zu deren Aufbau braucht es jedoch viele engagierte Menschen.

 

Info:

Nähere Infos:

www.timesozial.org

www.NeuesGELD.com

Kontakt

DI Tobias Plettenbacher: ATTAC Ried, TIMESOZIAL, Experte für komplementäre Währungssysteme

E-Mail: plettenbacher@timesozial.org

Tel.: 0 664 543 49 39

Buchtipp

Tobias Plettenbacher,: „Neues Geld Neue Welt: Die drohende Wirtschaftskrise Ursachen und Auswege„, planetVERLAG 2007 (www.planet-verlag.at)