Die Kunst ist die Lupe der VerhältnisseArtistin

In Linz wurde die Ausstellung von Marika Schmiedt angegriffen

Marika Schmiedt macht nicht nur Kunst gegen das historische, sondern auch gegen das alltägliche Vergessen. Die Rechtsneigung Europas ist ihr Thema – notgedrungen. In Linz wurde ihre Ausstellung «Die Gedanken sind frei», die wir im Augustin Nummer 341 angekündigt hatten, tätlich angegriffen.

Patriotismus macht gaga im Kopf – nicht nur sowieso, sondern speziell wenn es darum geht, dass im «eigenen Land» etwas nicht mehr in Ordnung ist. Wir erinnern uns etwa an die Kränkung, die jegliche Kritik an der Blödheit Österreichs, sich eine rechte Regierung zu wählen, in manchen Köpfen hervorgerufen hat. Als wäre es schlimmer, von den EU-Nachbar_innen beleidigt zu werden, indem sie Schwarz/Blau nicht fassen konnten, als von den «eigenen» Landesmitbewohner_innen, indem sie für Schwarz/Blau gesorgt hatten.

 

Ähnlich hat aktuell Ungarn zu leiden. Wie in Österreich in schwarz-blauen Zeiten gibt es auch in Ungarn in Zeiten von Fidesz und Jobbik eine mobile Masse, die Fidesz und Jobbik verachtet; und die «Magyar Gárda» und den Rassismus und die Neonazis und die maßlos gewordenen Gewalttaten und den Geschichtsrevisionismus. Aber wie hier gibt es auch dort eine patriotische Menge, die auf Kommando beleidigt ist, wenn Ungarn kritisiert wird. Wem das Herz in die Hose rutscht beim Anblick der täglichen rassistischen Übergriffe, die in Ungarn stattfinden, die ist – erraten – selbst eine Rassistin; eine Ungarn-Diffamiererin; eine, die staatliche Integrität nicht anerkennt; eine, um genau zu sein, die sich noch fast hundert Jahre danach über Trianon freut! «Eine Jüdin», wie man in rechter ungarischer Blog-Sprache zu sagen pflegt (siehe etwa das rechtsradikale Forum www.kuruc.info), was so viel bedeutet wie «eine Kommunistin» (oder wahlweise auch «eine Kapitalistin»), «eine Verräterin» am Volk, an der Nation, an Großungarn jedenfalls.

Verhältnisse unterm Vergrößerungsglas


Am 14. April wurde in der Linzer Innenstadt, beim Altstadtfest «Ein Dorf in der Stadt», die Ausstellung der Wiener Künstlerin und Aktivistin Marika Schmiedt eröffnet. Der Titel «Die Gedanken sind frei» ist eine ironische Bezugnahme auf die Meinungsfreiheit – im Jahr 68 nach der Befreiung ist es durchaus wieder «en vogue» und straffrei möglich, rechte, rassistische Gedanken in Tat umzusetzen.

 

Initiiert von der Linzer Stadtwerkstatt, in Zusammenarbeit mit der kleinen Galerie Hofkabinett konnten an einem Bauzaun einunddreißig Plakate montiert werden, die Schmiedt zum Thema aktueller rassistischer Verfolgungen von Rom_nija in Europa gestaltet hat. Darin geht es um Beleidigungen in der deutschsprachigen Lebensmittelbezeichnung («Z-Schnitzel»), um Abschiebungen aus Frankreich, untragbare Lebensbedingungen in peripheren Wohngebieten in Serbien, um Neonaziübergriffe in Ungarn und die fehlende Aufarbeitung des Porajmos, des Völkermordes durch die Nazis. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán (Fidesz) wird ob seiner eigenen verleugneten Herkunft lächerlich gemacht, «Roma Inclusion = Illusion», steht auf einem Plakat, auf einem anderen ist unter der Aufschrift «Retro» ein Häkelspitzendeckerl mit fein ausgearbeitetem Hakenkreuz zu sehen. Marika Schmiedt kommentiert, was los ist in Europa, und sie ist dabei nicht zimperlich mit historischen Vergleichen. «Meine Kunst ist nur ein Spiegel», sagt sie, «die Verhältnisse gibt es auch ohne sie.» Aber das ist zu klein gedacht. Ihre künstlerische Arbeit ist nicht Spiegel, sondern Vergrößerungsglas der Zustände. Sie zoomt hinein in den Wahnsinn, der tagtägliche Politik ist, weiterzappen unmöglich.

Post für Viktor


Nun zum Plakatekrimi: Am Vormittag des 14. April ging Marika Schmiedt gemeinsam mit Olivia Schütz (Stadtwerkstatt) auf den Hofberg, um die vorbereitete Ausstellung zu begutachten. Während Schmiedt Fotos von ihren ausgestellten Plakaten machte, kam eine Frau wütend angebraust, riss ein Plakat herunter und begann Marika Schmiedt zu beschimpfen: «Als Rassistin hat sie mich beschimpft, sie zeigt mich an, ich verunglimpfe das ungarische Volk und blablabla.» Soll passieren. Interessant wurde es erst, als zweierlei geschah: Die schimpfende Frau stellte sich als Linzer Stadtführerin heraus. Und innerhalb von achtundvierzig Stunden nach der Vernissage, die der Kulturdirektor der Stadt Linz, Julius Stieber, mit einer Rede geehrt hatte, waren erst vier Plakate weg, dann zehn, dann alle einunddreißig. «Wir sind von Anfang an davon ausgegangen, dass das ein schneller Verfall sein wird», kommentiert Kurt Holzinger, der die Ausstellung von der Stadtwerkstatt aus initiiert hatte. «Rassistische Schmierereien, ein, zwei zerrissene Plakate, ja. Aber dann haben wir gehört, dass die Polizei selbst alle Plakate abgenommen haben soll.» Das Rätsel wurde also immer verworrener.

 

Ein erster Anruf bei der Polizei ergab erwartungsgemäß nichts, der zuständige Beamte sei nicht da, man wisse von nichts. Die Linzer Stadtführerin – von der sich die «Interessensgemeinschaft der Fremdenführer OÖ» in einem Schreiben an die Stadtwerkstatt bereits distanziert hat – drohte mit Anzeige, vertreten durch die Wiener-ungarische Anwältin Eva Maria Barki, die in ungarninteressierten Kreisen für ihre Landesverteidigungshaltung bekannt ist. (Kürzlich erst geisterte ihr Name durch die Medien, als sie gegen den ORF bezüglich der von Paul Lendvai gestalteten Sendung «Nationale Träume – Ungarns Abschied von Europa?» Beschwerde einlegen wollte). Die Drohgebärde der Stadtführerin auf dem Blog von Marika Schmiedt liest sich wie folgt: «Ihre «künstlerischen» Machwerke wurden alle fotografiert und an das Büro des ungarischen Ministerpräsidenten sowie an eine Rechtsanwaltskanzlei in Wien z. Hd. Frau Dr. Eva Maria Barki gesandt. Diese wird die Staatsanwaltschaft einschalten.» 

Über die Vorstellung, dass Viktor Orbán in der Post Fotos von Marika Schmiedts Plakaten findet, lässt sich noch schmunzeln. So einen direkten Draht hätte die Künstlerin selbst gar nicht herstellen können. Aber die Möglichkeit, sich mit einer Anzeige abmühen zu müssen, ist unangenehm: «Das würde mich insofern stressen, weil ich ja überhaupt kein Geld habe. Und es würde meinen Geist stressen, dass ich mich damit auch herumschlagen muss.»

Polizei im Auftrag des Antirassismus


Wie die Story weiterging, ist schnell erzählt: Die Stadtwerkstatt bekam Auskunft von der Polizei, dass die Plakate tatsächlich am 16.4. behördlich entfernt worden waren. Der diensthabende Beamte behauptete, er habe Marika Schmiedt angerufen und gefragt, ob er die Plakate entsorgen solle. Was schnell widerlegt ist: Den Anruf hat es nie gegeben. Die Polizei habe im Auftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz gehandelt, so die telefonische Auskunft aus der Wachstube. Mit welcher Begründung, konnte Olivia Schütz bisher nicht in Erfahrung bringen. Die Stadtwerkstatt hat Anzeige wegen Sachbeschädigung erstattet.

 

Marika Schmiedt stellt sich das so vor: «Die Stadtführerin ist auf die Polizeiwache gegangen und hat sich aufgeregt, die Plakate seien rassistisch und müssten entfernt werden. Und die Polizei hat das gemacht.» Was ein bisschen Mut macht: Der nächste Wahlkampf kommt bestimmt, und man könnte die gleiche Strategie anwenden – ab in die Wachstube, und weg sind die rassistischen Wahlplakate.

 

Aber lustig ist das nur einen Augenblick lang. Immerhin liegt diesem behördlichen Angriff auf politische Ausdrucksformen in der Kunst die alte Strategie zugrunde, jene als Rassist_innen zu bezeichnen, die Rassismus anprangern. Das geht ganz einfach, wenn man einen homogenen Volksbegriff hat: Du sagst, in Ungarn gibt’s ein Rassismusproblem? Ich verklage Dich, weil Du (uns) Ungarn beleidigst.

 

Schmiedts Collagen mögen schmerzen, weil sie den Finger auf Europas wunde Punkte halten. Und sie mögen übertreiben, weil der Auschwitzvergleich ein bisschen locker sitzt. Aber was in der Reaktion auf ihre Arbeiten offenbar wird, ist dass ein Poster mit Viktor Orbáns Konterfei auf einer Salami als schlimmer empfunden wird als die Wirklichkeit: «Meine Plakate werden angegriffen, aber die Verhältnisse nicht.» Und darin ist die Wut begraben, die Schmiedt weiter antreibt. «Ich würd mich liebend gern um was anderes scheren, wenn die gesellschaftlichen Zustände es erlauben würden.» Bis dahin muss noch viel Wasser die Tisza hinunterfließen.

 

Foto: Hofkabinett