Die letzte Entscheidung trifft immer die Behördevorstadt

Sozialer Wohnbau müsste anders ausschauen als die «Gartenstadt 2.0»

Ein später Nachmittag in einem Gasthaus an der Bezirksgrenze zwischen Meidling und Liesing. Dicht gedrängt stehen Menschen vor Schautafeln. Hier soll die Bevölkerung über den geplanten Bau von 1100 Wohnungen auf dem ehemaligen Gelände der Bundesanstalt für Virusseuchenbekämpfung bei Haustieren aufgeklärt werden.

Foto: Irmgard Derschmidt

Das als «Gartenstadt 2.0» bezeichnete Projekt am Südwestfriedhof ist inzwischen ein lokaler Aufreger. Eine Bürger_inneninitiative befürchtet zu hohe Gebäude und hinterfragt das Verkehrskonzept. Wo sollen die Autos der neuen Bewohner_innen fahren? Wird es einen Ausbau der Öffis geben? Auf einer Ausstellungstafel zum Thema Verkehr wird «langfristig» eine neue S-Bahn-Station verkündet. Dazu später mehr.

Bürger_inneninitiativen bei großen Bauprojekten sind in Wien längst ein Politikum. Von Wohnbaustadtrat Ludwig kennt man inzwischen die Aussage aus einem Interview für die Sektion 8 der SPÖ Wien, es sei ihm zwar wichtig, Anrainer in die Planungen einzubeziehen. Aber: «Problematisch wird es in meinen Augen nur dann, wenn das Prinzip der Solidarität verletzt wird und Verhinderungsargumente vorgeschoben werden, weil man etwa keine neuen Nachbarinnen und Nachbarn will.»

Zuckerbrot und Peitsche. Unsolidarische Besitzstandswahrer_innen und Anrainer_innen, die man über Bürger_innenbeteiligung einbinden will. Die für Stadtentwicklung und Stadtplanung zuständige MA 18 hat sogar ein Partizipationshandbuch herausgegeben. Der Tenor: Man kann Bürger_innen über viele Wege einbinden, aber die letzte Entscheidung trifft immer die zuständige Behörde.

Schwammige bis keine Informationen

«Uns gegenüber hat sich die Stadt beschwert, dass wir gegen das Bauprojekt zu früh in der Planungsphase an die Öffentlichkeit gegangen sind», sagt Susanne Riedl von der Bürger_inneninitiative am Südwestfriedhof. «Dabei kann man ja nur in der Planungsphase Einfluss nehmen.» Tatsächlich wirkt auf der Infoveranstaltung manches übereilt. Handouts gibt es keine, Informationen sollen, so die Veranstalter_innen, «bald online gestellt werden».

Dabei hat das Projekt Planungshistorie, wie man auf einer gleichnamigen Schautafel lesen kann. Demnach war es 2009 Sieger der Wohn- und Städtebauinitiative EURPOEAN 10. Dann folgte bis 2012 ein «kooperativer Vertiefungsprozess», in dem «Fachplaner» aus den Bereichen «Verkehr, Freiraum, Infrastruktur und zuständige Magistratsabteilungen» miteinander kooperiert haben. Von 2012 bis 2013 gab es die «Ausarbeitung eines städtebaulichen Masterplanes auf Basis der Vertiefungsprozesse als Basis für die Umwidmung der Liegenschaft».

Gerne bringt die Stadt Wien gegen Kritiker_innen von Wohnbauprojekten das Argument ins Spiel, hier handle es sich um Menschen, die den sozialen Wohnbau in Wien behindern. Bauträgerin beim vorliegenden Projekt ist die Austrian Real Estate (ARE), eine hundertprozentige Tochter der Bundesimmobiliengesellschaft. Letzterer gehört das zukünftige Baugelände.

Für den Bereich Wohnen verkündet die ARE folgende Unternehmensziele: «Wohnobjekte dienen der Risikodiversifizierung durch Investition in eine weitere Assetklasse und durch eine Steigerung des Anteils nicht-öffentlicher Mieter.» Und zusätzlich im BIG Nachhaltigkeitsbericht 2013: «Langfristig soll die ARE Börsefitness erreichen und eine nachhaltige Wertsteigerung erzielen.»

Am Südwestfriedhof wird also ein gewinnorientiertes Unternehmen bauen, dessen Privatisierung angestrebt wird. Zur ARE gehören 25 Prozent des BIG-Besitzes, ein nicht gerade kleines Kuchenstück öffentlichen Eigentums, das bald an zukünftige Aktionär_innen verkauft werden soll. Sozialer Wohnbau ist das nicht.

Doch schon jetzt ist der private Sektor involviert. Der Mann mit dem Schild «Verkehr» am Hemd gehört nicht etwa zu einer zuständigen Magistratsabteilung. Es handelt sich um Andreas Käfer, den Geschäftsführer der Traffix Verkehrsplanung GmbH. Als solcher ist er Mitglied des Wiener Fachbeirates für Stadtplanung und Stadtgestaltung.

Seine Firma hat jene Ausstellungstafel beigesteuert, auf der die neue S-Bahn-Station, sowie zusätzliche Busverbindungen und verkürzte Busintervalle nicht versprochen, sondern verkündet werden. Auf Nachfrage heißt es jedoch: «Eine neue S-Bahn-Station ist nur angedacht. Es gibt noch keine Pläne. Man muss jetzt mal mit den ÖBB reden.» Deren Pressesprecher Christopher Seif hält diese «nur für ein mögliches Zukunftsszenario, für das keine Realisierung in näherer Zukunft vorgesehen ist».

Viel Konkretes scheint aus «kooperativem Vertiefungsprozess» und der «Ausarbeitung des städtebaulichen Masterplans» nicht herausgekommen zu sein. Nur über den profitorientierten Bauträger herrscht Klarheit. Eine Anfrage an die Stadtplanung, welche auf dem Infoabend vorgestellten Konzepte wirklich realisiert werden und an welche Einkommensgruppen sich das Projekt richtet, wurde nicht beantwortet.

2015 soll gebaut werden. Sollte der Spatenstich noch vor den nächsten Gemeinderatswahlen erfolgen, werden sicher die Stadträtin Vassilakou und der Stadtrat Ludwig zum Fototermin erscheinen. Vielleicht gibt es dann Infos dazu, wie teuer das alles für mögliche zukünftige Mieter_innen wird.