Mit Chuzpe zum Erfolg: Der SC Hakoah Wien
Der jüdische SC Hakoah ist mit der Wiener Fußballgeschichte untrennbar verbunden. 1925 holten die Mannen mit dem Davidstern auf der Brust den österreichischen Meistertitel und wurden so zum ebenso heiß geliebten wie umfehdeten Symbol jüdischer Identität.Wenn Rapid gegen die Hakoah-Amerikaner spielte, sei das, „wie wenn (der tschechische Operetten-Komponist, Anm.) Oskar Nedbal gegen Otto Klemperer dirigieren würde.“ Beim Fußball dürfte der jüdische Journalist, Romancier und Theaterautor Soma Morgenstern in seinem Urteil wohl schwerlich milder gewesen sein denn als Kulturkritiker. Wiewohl diese Zeilen aus keinem seiner Artikel stammen, sondern aus seiner privaten Korrespondenz mit dem Komponisten, Grün-Weißen und persönlichen Freund Alban Berg. Veröffentlicht wurde der Brief 1997 in Roman Horaks und Wolfgang Maderthaners Buch „“Mehr als ein Spiel““. Geschrieben wurde er empfindlich vorher, am 13. Juli 1928. Der jüdische SC Hakoah Wien war damals einer der größten Allgemein-Sportvereine in Österreich: Im Wasserball und im Landhockey wurden österreichische Meistertitel errungen, die Leistungen der Schwimmer und Leichtathleten waren Weltklasse. Beachtliche Erfolge gab es auch für die Ski-Mannschaft, und der Hakoah-Ringer Micki Hirschl holte 1932 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles zwei Mal Bronze. Allein: Ruhm und zwingende Größe verdankten die Blau-Weißen allem voran der Popularität ihrer Fußballsektion.
Dabei hatte alles ganz anders begonnen: In einer Privatwohnung in der Rembrandstraße wurde die Hakoah 1909 ins Leben gerufen. Der Vereinsname ist der hebräische Ausdruck für Kraft. Ziel des Klubs war nicht zuletzt dem Assimilationsdruck und antisemitischen Tendenzen ein nationales jüdisches Bewusstsein entgegenzusetzen. Als der Fußball nach dem Ersten Weltkrieg zum Massenphänomen wird, schlägt dem Verein die große Stunde: 1920 gelingt der Aufstieg in die oberste Spielklasse, die erste Saison in der Wiener Liga beenden die Blau-Weißen auf dem vierten Tabellenplatz – noch vor dem Sportklub und der Vienna. Die Fußballsektion avanciert zum professionell geführten Aushängeschild der Vereinigung: In unmittelbarer Nachbarschaft zum heutigen Happel-Stadion entsteht bis 1923 im Prater eine eigene Sportanlage für mehr als 20.000 Besucher, mit einem 5:0 gegen Westham gelang den Mannen mit dem Davidstern auf der Brust der erste Auswärtssieg gegen ein englisches Team.
Der Torhüter als Meister-Torschütze
Zu kämpfen hatte der Klub dabei nur mit dem sportlichen Gegenüber, sondern auch mit den zunehmenden Vorurteilen des Wiener Publikums. So beklagt die jüdische „Wiener Morgenpost“ im Herbst 1923: „Es vergeht fast kein Wettspiel, bei dem die Hakoahner nicht in der niedrigsten Weise beschimpft und bedroht werden. Beim Verlassen des Spielfeldes begleitet sie ständig eine Schimpforgie, wobei sie häufig angespuckt und insultiert werden. (…) Dabei können wir den jüdischen Sportlern aber einen Vorwurf nicht ersparen. Sie haben nämlich noch nicht erkannt, daß vieles, was jedem anderen Spieler erlaubt, ihnen verboten ist. Die geringste sportliche Entgleisung, die das Publikum sonst mit Humor aufnimmt, wird, wenn sie Hakoahner sich zuschulden kommen lassen, zum Verbrecher gestempelt.“
Im Jahr 1924 wird in Österreich der Profi-Fußball eingeführt, und die Hakoah trifft als Tabellenführer drei Runden vor Schluss auswärts auf den Wiener Sport-Club. 25.000 Zuseher wollen das vorentscheidende Match sehen, im „Sport-Tagblatt“ vom 6. 6. 1925 ist kurz zusammengefasst Folgendes zu lesen: Beim Stand von 2:1 für den WSC stießen 16 Minuten vor Schluss Sport-Club-Verbinder Höß und Hakoah-Tormann Fabian im Kampf um den Ball zusammen, der Keeper geht zu Boden, Höß eilt über ihn hinweg und stellt auf 2:2. Der Linksaußen Neufeld musste statt seines verletzten Mannschaftskameraden ins Tor, Fabian nimmt den ihm ungewohnten Platz am Flügel ein. In der 81. Minute gelangt der Ball zu Fabian und der zum Feldspieler avancierte Torhüter schießt aus kürzester Entfernung unhaltbar zum 3:2 ein. Nach Spielende wird er auf den Schultern der jüdischen Anhänger im Triumphzug vom Feld getragen. Eine Woche später fixieren die Hakoahner den ersten und einzigen Meistertitel der höchsten österreichischen Spielklasse.
Einer der Hauptverantwortlichen dafür war der ungarische Rastelli Béla Guttmann: Im Mittelfeld wie im Leben offensiver Freigeist, unterschrieb er zwei Jahre später auf einer Amerika-Tournee der Blau-Weißen einen Vertrag bei den New York Giants und kehrte nicht mehr nach Wien zurück. Als Spieler, Trainer und Geschäftsmann kommt er rund um die Welt, lebt unter anderem in Brasilien und Uruguay und übersteht in der Emigration den Zweiten Weltkrieg. In Europa sollte er noch Sportgeschichte schreiben: Mit Benfica Lissabon holt er 1961 und 1962 nach fünf Real-Madrid-Siegen en suite den Meistercup.
Über Nacht aus der Tabelle radiert
Für die Hakoah folgte auf den Verlust ihres schillernden Mittelläufers das Ende des ganz großen Höhenflugs. Dem Abstieg aus der Wiener Liga 1928 folgt zwar der sofortige Wiederaufstieg – im Kampf um den Meistertitel konnte der jüdische Sportklub aber nicht mehr mitmischen. Dennoch: Bis 1937 halten sich die Blau-Weißen nahezu ununterbrochen in der obersten Spielklasse, die bitterste Niederlage der Vereinsgeschichte hatte mit den sportlichen Leistungen rein gar nichts zu tun: Unmittelbar nach dem Anschluss wird der Verein faktisch ausradiert und einfach aus der Tabelle gestrichen, die Sportanlage wird beschlagnahmt. Zwei zufällig anwesende Funktionäre werden ins KZ Dachau verschleppt, mindestens 37 Hakoahner sterben in den Konzentrationslagern.
Zum völligen Erliegen konnte die hebräische Kraft in Wien aber auch durch den Nationalsozialismus nicht gebracht werden: Schon kurz nach Kriegsende wird der Verein von einigen wenigen Verbliebenen und Zurückgekehrten reanimiert, bis heute ist er Bestandteil des Wiener Sportlebens. Die Fußball-Sektion konnte allerdings nie wieder richtig Tritt fassen – heute ist sie Geschichte. Was sich allerdings in naher Zukunft wieder ändern könnte: Sechzig Jahre nach Kriegsende entsteht nach schier endlosen Rückgabe-Verhandlungen an alter Stelle derzeit ein Sport- und Freizeitzentrum für die Hakoah.
Zu den vielen blau-weißen Geistesgrößen der Zwischenkriegszeit zählte neben Soma Morgenstern auch der überaus erfolgreiche Wasserballer und Schriftsteller Friedrich Torberg. Warum er Zeit seines Lebens Stolz auf die Hakoah war, beantwortet er in Arthur Baars Buch „Fünfzig Jahre Hakoah“ mit einer persönlichen Anekdote: Noch in der Pionierzeit hatten die Blau-Weißen auswärts gegen den Brigittenauer A.C. anzutreten: Da die selbst spielfreie Mannschaft Vorwärts 06 nur mehr dann eine Chance auf den Klassenerhalt hatte, wenn die Hakoah siegte, kam deren gesamter Anhang, um für den jüdischen Klub zu „drucken“. Als der Linksaußen der Hakoahner endlich alleine auf das gegnerische Tor stürmte, erhob sich gewaltiges Anfeuerungsgebrüll: „Besonders ein an der Barriere lehnender Vorwärts-Anhänger schrie sich die Kehle heiser. Die übliche Bezeichnung, die er für Juden allgemein parat hatte – nämlich „Saujud“ – schien ihm in diesem Augenblick doch nicht recht am Platze, den Namen des Spielers kannte er nicht. ,Hoppauf!‘ brüllte er also, und nochmals ,Hoppauf!‘ – und dann kam ihm eine Erleuchtung. Sein nächster Zuruf lautete: ,Hoppauf, Herr Jud!'“ Die Frage, warum er seit seinem dreizehnten Lebensjahr stolzes Mitglied der Hakoah war, beantwortet Friedrich Torberg also so: „Weil sie den andern beigebracht hat, ,Herr Jud‘ zu sagen.“