Die Literatinnen von WienArtistin

Lena Johanna Hödl und Lydia Haider gehen ins Weidinger.  Was ihnen dort zu Literatur – der eigenen und der anderen –, zu Macht, Bauern und Feminismus einfällt, haben wir dokumentiert.

Protokoll: Lisa Bolyos, Fotos: Jana Madzigon

Lydia Haider: Glaubst du, dass die Aura von Menschen Farbe hat? Ich glaube, wenn meine Aura eine Farbe hätte, wäre sie schwarz und gold.

Lena Johanna Hödl: Meine wär rot. Weil es aggro ist und sexuell.

Und voll kräftig.

Ja, meine Aura hat mehr Energie als ich selber. Ich bin immer müde, und die Aura arbeitet dagegen an.

Dann kommen wir gleich zur Arbeit. Du schreibst auch im müden Zustand?

Es ist mir peinlich, das zuzugeben, aber ich schreibe ja gar nicht so viel.

Ein ganzes Buch hast du schon geschrieben.

Ich habe Freunde, die sind hauptberuflich Poetryslammer, und die wachen in der Früh auf und machen erst einmal eine Viertelstunde Schreibübungen. Ich schreibe – außer beim Buch – nur, wenn ich ur das Bedürfnis danach habe, und das kommt halt alle zwei, drei Monate einmal vor. Beim Buch hat mir der Verlag ordentlich in den Arsch treten müssen. «In drei Wochen musst du es abgeben, magst nicht irgendwann einmal was machen?»
Ich weiß nicht, ob ich einen fiktionalen Roman schreiben könnte. Mit richtiger Handlung und Charakteren, die du dir ausdenkst, und einer Storyline, Höhepunkt und Ende und Handlung. Und dann versuchst du mehr als zwei Seiten damit zu füllen. Bei meinem Buch war es relativ einfach, ich hab mir aufgeschrieben, welche Leute, in die ich verliebt war, arg genug waren, dass sie ins Buch passen. Der Verlag hat dann gesagt: Magst nicht noch ein bisschen Hintergrundwissen dazugeben? Ich glaube, das ist das eigentlich Spannende am Buch: Dieses Ur-Österreichische, alle haben entweder eine Persönlichkeits- oder eine Essstörung. Man wohnt am Land und es ist nur scheiße.

Ich bin auch am Land aufgewachsen.

Woher bist du?

In der Nähe von Linz.

Wie heißt das dort?

Ich will es eigentlich gar nicht sagen. Wobei ich in einem Roman eh einmal nur das thematisiert habe: Es ist Mauthausen. Ich find’s schon furchtbar, wenn man das Wort sagt, weil es sofort so einen Raum aufmacht, und zu Recht. Es ist ja ein Raum, den kriegt man nicht weg, und auch seine Geschichte nicht. Darum sag ich meistens: aus der Nähe von Linz. Und meistens sind die Leute damit auch zufrieden.

Bei den Sachen, die ich von dir gelesen habe, hab ich das Gefühl, es geht sehr viel um Hass. Hass ist meiner Ansicht nach von allen Emotionen die, die den stärksten Antrieb leistet. Du kannst nicht wütend sein und dabei müde. Oder wütend sein und dabei unmotiviert.

Ich habe immer geglaubt, meine Themen sind Macht und Handlungsohnmacht. Deswegen inhaltlich immer Nazis und immer Religion, und natürlich sowieso überall drin: das Frauenthema.

Für mich zieht das zwangsläufig Hass mit sich.

Wenn man immer in der unterdrückten Position ist, klar. Ich schreibe aber ja eigentlich nicht über Hass und Grant sondern in dem.

Ich habe mir kurz nach unserer Lesung in Graz dein Buch «Wahrlich fuck you» gekauft. Dann war ich mit ein paar Leuten was trinken, und da war ein Typ dabei, der hat ein paar Sätze darin gelesen und den ur Auszucker gekriegt. «Wieso darf so etwas gedruckt werden mit Förderungen von meinen Steuergeldern» und so … Ich glaube, wenn ein Männername am Cover gestanden wäre, hätte es ihm getaugt.

Obwohl ja eigentlich ein Mann so etwas nimmer schreiben kann.

Weil es für Männer ausgelutscht ist.

Ärgern dich so Typen?

Mich ärgert eigentlich alles immer, weil ich generell eine arge Grundanspannung habe.

Heilt das das Schreiben nicht ein bissl?

Auf alle Fälle. Mein Buch ist ja diese Liste von Leuten, in die ich verliebt war. Mit einem Typen hab ich gar keinen Kontakt mehr, und ich hab seinen Vornamen absichtlich nicht geändert, weil ich mir gedacht habe, hoffentlich liest irgendwer das Buch und erkennt dich, du Wixer!

Vielleicht verklagt er dich ja, das wär das Beste, was dir passieren kann.

Wie war das mit dem Babykatzen­ding?

Da war es umgekehrt, eigentlich wollten wir klagen, weil die in der Kronen Zeitung einfach ein Foto verwendet haben, das sie nicht verwenden durften. All den anderen schwindligen Hanseln das bisschen Geld wegklagen, das sie haben, das hätte man ganz leicht können, aber da haben wir gesagt, damit tun wir der Welt auch nix Gutes.

Wenn dir so Hass entgegengebracht und erzählt wird, dass du hobbymäßig Tiere quälst, tut das gut, weil es Publicity ist? Oder ist es nur Scheiße?

Weder noch. Ich bin da sehr neutral, seit ich so viel schreibe – mich regen so Sachen überhaupt nicht mehr auf. Wenn ein Typ irgend sowas sagt, denk ich mir: Sprich zur Hand – also, man kann die Geste im Text nicht sehen, ich will sagen: Eine Watsche ist für den auch schon zu viel. Kümmern wir uns doch um die großen Sachen! Nimmer von so Kleinscheiß ablenken lassen von dem, was wir tun müssen! Wir sind die, die produzieren und schaffen und erklären und analysieren.

Du bist so gechillt. Ich sitz da und frag mich, darf ich das grad schreiben oder sind meine Eltern dann böse auf mich? Darf ich mit meinen Privilegien ein Buch darüber schreiben, wie fürchterlich traurig ich bin und was ich für psychische Krankheiten habe? Ich habe auch keine direkte Agenda, die ich mit meinen Texten verfolge. Ich denke oft, dass ich die Verantwortung habe, was politisch Wichtiges zu schreiben, und nicht darüber, dass mein Exfreund mit mir Schluss gemacht hat. Bei dir hat man das Gefühl, du bestellst dir ein Bier, und das ist politisch.

Man muss über diese Frage, was tatsächlich politisch ist oder feministisch, auf einem bestimmten Level im Schreiben nicht mehr explizit nachdenken. Das ist im ganzen Schaffen und Schreiben drin, darauf kann ich mich verlassen. Die Agenda ist in deinem ganzen Wesen drin – bis dorthin, wie du dein Bier bestellst. Und dann kann man so richtig rangehen ans Eingemachte und auf die Sprache fokussieren.

Ich finde, den Menschen fehlt im Alltag das Epische. Ich finde es supercool, wenn man dieses Epische, das größer ist als das Leben selbst, mitnimmt in die Sprache. Ein Beispiel ist der Song Team von Lorde, die sagt, dass sie auf einer Houseparty ist, und alle Freunde haben Akne, their skin in craters like the moon, das ist so schön wie aus der Bibel, aus dem Hohelied König Salomos, dieses Mythologische, mit dem banale Sachen verzaubert werden. Ich habe ein Problem mit Religion, aber ich eigne mir ihre Sprache an.

Die gehört uns auch. Alle Sprachen gehören uns.

Warst du als Kind in der Kirche?

Wenn, dann mit meiner Oma. Ich komme aus einer linken Familie, wo am Frühstückstisch nur geschimpft worden ist auf Kirchen, Pfarrer, Bauern. Ich habe nach wie vor ein Problem, wenn ich was kaufe, wo «Bauernbutter» draufsteht oder «Bauernbrot».

Aber Bauern sind doch nichts Schlimmes! Die stellen uns Nahrungsmittel zur Verfügung, die wir brauchen.

Ja. Aber ich habe da einen Komplex eingeimpft bekommen.

Wenn es Tesla-Butter gäbe, würdest du die kaufen?

Nein, Tesla ist mir zu neoliberal. Lieber 1er-Golf-Butter.

Mich macht das neidisch, weil bei uns in der Familie ist am Frühstückstisch geschimpft worden über: ein Verbrechen, das ein vermeintlicher Asylbewerber begangen hat; dass bei der Akademikerballdemo jemand einen Stein geworfen hat und der Burschenschafter im Krankenhaus liegt; oder über Hollywoodstars und ihre narzisstische Glitzer­welt. Darum habe ich die Gegenbewegung gemacht und bin völlig besessen von allem, was die Kardashians machen. Aber auch von allem, was als zu feminin, zu mädchenhaft, zu tussig gilt. Das ist das Verbotene. Wenn ich meine Eltern superstolz machen will, müsste ich am Frühstückstisch über Molekularbiologie reden. Oder über den Sartre. Ich rede aber am Frühstückstisch nichts, weil ich alleine wohne und vereinsamt bin, und schaue YouTube-Videos von einem Typen, der darüber redet, dass ein TikTok-Star jetzt einen Skandal hat.
Was machst du, damit du schreiben kannst?

Ich kann nur mit Musik schreiben. Da fängt es an, als würde man loslassen. Wie wenn man einen Rausch hat. Ich höre immer die gleichen Alben, experimentellen Metal, schrägen Scheiß, möglichst schnell muss es sein. Das ist wie mit einem Hund, den man über viele Jahre programmiert hat – wenn ich das höre, fängt’s an.
Hast du manchmal auch das Gefühl, egal was du schreibst, es ist nur Scheiße?

Dann überarbeite ich. Das Schreiben selber ist ja nur 20 Prozent, dann fängt die richtige Arbeit an. Dazu höre ich Klassik. Eigentlich hätte ich ja Musikerin werden sollen, ich habe Klavier studiert, und das holt mich gut runter, ich kann in den Text reingehen, ein Wort gegen das andere abwägen. Man hat die Basis, was inhaltlich voll Arges, das man sich mit Tschaikowski im Hintergrund vielleicht gar nicht ­schreiben trauen würde – und dann wird überarbeitet. Das ist mein Tipp: viel überarbeiten.

Das mach ich eh auch, gezwungenermaßen. Wenn mein Lektor nicht so dahinter wäre, wäre mein Buch im Pathos ersoffen. Emotionaler Leerstand im Privateigentum habe ich großteils in meiner 3 m2 großen Küche geschrieben zwischen vollen Aschenbechern und dreckigem Geschirr und habe dabei gegessen und gekifft. Das war wie früher, vor der Mathematura, wo du gemerkt hast, du kannst nur lernen, wenn du gleichzeitig Schoko isst. Du opferst also wieder mal deine Gesundheit deinem Erfolg! Und wenn meine Mama das liest, wird sie sich wahnsinnige Sorgen um mich machen.

Es könnte noch viel schlimmer sein. Also: No stress, Eltern.

Ist es von deiner Stimmung abhängig, ob und was du schreibst?

Sehr auffällig ist, dass es, wenn man Texte schreibt, in denen man wen beschimpft oder umbringt, natürlich was bringt, wenn man selber voll in Rage ist. Oder wenn man sehr betrunken ist, denn dann hat man keine Hemmungen. Umgekehrt, wenn man eher müde ist, ist Überarbeiten ganz gut, weil man dann einen anderen Blick drauf hat. So oder so glaube ich, dass man alle Zustände ausnützen kann für irgendeinen Arbeitsprozess.

Du klingst wie eine Schauspieldozentin: Nimm’s mit in die Arbeit! Da kannst du so viel draus ziehen für deine Figur!

Ich hab mir so eine grausliche, fast schon neoliberale Arbeitshaltung erst angefangen, seit ich zwei Kinder habe. Weil einfach nie Zeit ist, muss man halt in der einen Stunde, die man hat, voll arbeiten und funktionieren. Oder man muss sich sogar neben den Kindern schon Sachen ausdenken und dann wissen, jetzt hab ich Zeit, und nur dann kann ich die schreiben. Scheiß dich nicht an, die Muse kommt sowieso nie.

Das ist ziemlich gut, weil es gibt diesen Mythos vom Künstler und der Künstlerin, die von der Muse geküsst werden müssen, und ich bin auch ein bisschen so. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens sehr wenig zu tun gehabt und habe es mir leisten können, dass ich nur herumhäng und drauf warte, bis irgendwas ist, das mich so beschäftigt, dass ich jetzt darüber schreiben muss. Aber ich merke auch, dass dieses grausliche Klischee, dass man leiden muss, um gute Kunst zu machen, bei mir stimmt. Die ganze Idee für mein Buch basiert ja nur darauf, dass ich Liebeskummer habe und das verarbeite. Es geht so viel um Gefühle, Emotionen, Panikattacken, um Tage, an denen ich mich schiach und grauslich finde und es mir am liebsten wäre, jemand würd herkommen und mit einer Keule auf meinen Schädel schlagen, wie auf einen Fisch, der grad aus dem Wasser gezogen wird. Jetzt nehme ich supergute Medikamente und bin happy und psychisch stabil, und ich habe seitdem auch nicht wirklich das Bedürfnis gehabt, zu schreiben.

Ich würde mir da keinen Druck machen. Man kann sich emotional auch in Dinge reinversetzen, wenn es einem gut geht – dann holt man sich die Emotionen her, ohne dass man nachher zerstört sein muss. Es ist eher wie ein Virtual-Reality-Brille.

Dich hätte ich gerne als Life Coach. Du wachst in der Früh auf und denkst, was mach ich mit dem Tag? Und auf einmal steht Lydia Haider neben dir: «Es ist alles gar nicht so schlimm!»

Mit einem Schiffshorn: Raus mit dir! Schauen wir, was geht! Wenn man nicht «in der Mitte» sein will, sondern gern in Extremen lebt, kann man sich alles vom Leben nehmen.

In diesem Sinne: Prost!

 

Lena Johanna Hödl

Emotionaler Leerstand im privaten Eigentum
Achse Verlag 2020, 256 Seiten, 20 Euro

Es wäre lustig, wenn es nicht so traurig wäre
Achse Verlag 2019, 74 Seiten, 10 Euro

 

Lydia Haider

Und wie wir hassen! Anthologie
Hg., Kremayr & Scheriau 2020

Zur Poetologie der stanzen Ernst Jandls
Peter Lang 2019, 106 Seiten, 28,80 Euro

Am Ball. Wider erbliche Schwachsinnigkeit
mit Esther Straganz, RD-Edition 2019, 70 Seiten 12,90 Euro

Wahrlich fuck you du Sau, bist du komplett zugeschissen in deinem Leib drin oder: Zehrung Reiser Rosi. Ein Gesang
RD-Edition 2018, 58 Seiten, 15,90 Euro

rotten
müry salzmann 2016, 184 Seiten, 19 Euro

Kongregation
müry salzmann 2015, 288 Seiten, 24 Euro