Die Medien brauchen frische Monstertun & lassen

Maßnahmenvollzug: Psychiatrische Gutachten sind Fehlurteile

«… die härteste Sanktion, die das Strafrecht kennt, weil sie lebenslang … bedeuten kann … auch für einen simplen Drohbrief …» So Journalist Thomas Trescher im eben erschienen Buch «Maßnahmenvollzug» zu eben diesem. Franz Blaha, Ratgeber des Augustin in allen Angelegenheiten des Strafvollzugs, hat es durchgelesen.Treschers Beitrag ist einer von 42, die Markus Drechsler im gegenständlichen Buch zu einem vitalen Kompendium aller Problembereiche der Materie zusammengestellt hat. 36 Expert_innen, im Anhang genannt oder auch anonym, beleuchten die Misere auf netto 350 Seiten aus allen Blickwinkeln, oder «Blickpunkten», denn so heißt die Insassenzeitschrift der JA Wien-Mittersteig, die in einer medienpreisgekrönten Ausgabe das Skelett dieser Publikation bildet. Das Buch ist «zeitnah zur anstehenden Gesetzesreform» erschienen. Eine Reform, für die der Verein SIM (Selbst- und Interessensvertretung zum Maßnahmenvollzug) 17 konkrete Positionen bezieht, die auf dem beigelegten Folder vermerkt sind. Man kann sie auch auf der ausführlich gestalteten Homepage www.maßnahmenvollzug.org finden, die überdies über eine bequeme Suchfunktion verfügt.

Prekärer Kern der Maßnahme ist Paragraph 21 StGB. Verkürzt: Wer auf Grund einer psychischen Erkrankung nicht schuldfähig oder schuldfähig, aber unter dem Einfluss einer Persönlichkeitsstörung kriminell handelt, wird auf unbestimmte Zeit «untergebracht». «Unterbringung» ist ein Euphemismus für die Haft unter besonderen Bedingungen. Schon eine als Drohung ausgelegte Beleidigung genügt, um in diese Unterwelt verdammt zu werden, denn am Eingang zum Hades steht die Gottheit Gutachter und am Ausgang wieder. Nach Befragung des Orakels der psychologisch-psychiatrischen Diagnostik oder auch nach eigener Eingebung öffnet sie das Tor zur unbestimmt langen Haft. Am Ende des Hades steht die Gottheit wieder mit dem Schlüssel zum Tor in die bedingte Entlassung, denn sie sitzt am Ohr der Rechtssprechung, die ihrer Expertise, der Gefährlichkeitsprognose, folgt.

Markus Drechsler ortet für diese Gottheiten «Eine große Schwierigkeit», durch «juristische und medizinische Terminologien, die nicht ident sind». Das Gericht richtet sich nach dem Sachverständigenbefund. Daher muss dieser klar formuliert sein. Eine von der Vollzugsdirektion beauftragte Studie befindet aber nur jedes zweite Gutachten als transparent (auf welcher Grundlage haben die Gerichte da entschieden?). Dabei gibt es recht genau festgelegte Standards. Aber: «Die Qualität des größten Teils der Gutachten liegt (…) weit unter diesen Qualitätsstandards» (Norbert Nedopil im Interview). Die Leiterin der Forensischen Abteilung der Wagner-Jauregg-Nervenklinik wundert das nicht, denn die Gottheiten seien für ihr Orakel «grottenschlecht bezahlt».

Ist man einmal in Haft, hat man nur alle zwei Jahre ein Recht auf persönliche Anhörung. Und zwar ohne Rechtsbeistand. «Der Verteidiger, so er einen hat, wird sowieso nicht informiert. Der Akt bekommt nämlich jedes Jahr eine neue Zahl und damit fliegt der Verteidiger hinaus.» (Franz Langmayr in «Die Nicht-Entlassung» von Katharina Rueprecht. Schließlich kann am Ende der x-ten Zweijahres-Periode bei positiver Gefährlichkeitsprognose durch ein Gutachten eine bedingte Entlassung erfolgen. In besonders schlimmen Fällen, wenn man durch Zwangsbehandlungen dauerhaft pflegebedürftig geworden ist, in ein Heim, in dem man hilflos vor sich hinsabbert. Auch dorthin kann man immer nur bedingt entlassen werden.

 

Psychische Folter und steigende Haftzahlen

Das Interview mit dem Kriminalsoziologen Reinhard Kreissl titelt «Natürlich ist das psychische Folter». Folter ist vor allem das unbestimmte Haftende. Und es betrifft immer mehr Menschen, die wegen immer geringerer Vergehen in die Maßnahme gelangen. Wie ist das zu erklären? Der Kriminalsoziologe ortet einen Kreislauf emotionalisierender Falschinformationen. Boulevard-Medien suggerieren Gefährlichkeit, die sie aus Polizeiinformationen konstruieren. Die Polizei wieder erhebt ja nicht die Tat, sondern protokolliert den Verbalinhalt der Anzeigen, deren Jargon wieder zu 90 % auf die Suggestionen der populistischen Presse zurückzuführen ist. «Auch die Politik bedient diesen bescheuerten Verstärkerkreislauf. (…) bedeutet, dass Strafrechtspolitik nach dem Boulevard gemacht wird, und das ist völlig unverantwortlich!» Zunehmend genießt es der Boulevard, Ausgegrenzte als Monster präsentiert zu bekommen, und sonnt sich in einer zunehmenden Hass-Legitimierung, in der Bedienung des Bedürfnisses: Ich brauche dringend Leute, die ich hassen darf. Offenbar paart sich der Hasswunsch mit gesteigerten Sicherheitsbedürfnissen, die von anderen Autor_innen erwähnt werden (u. a. vom ehem. Leiter der JA Göllersdorf). Ein Blick in andere Länder zeigt: Die meisten kommen ohne einen solchen Paragrafen aus, in Deutschland ist der Vollzug zumindest breiter gefächert, und in der Schweiz ist die Einstiegsschwelle deutlich höher. Varianten, die der österreichische Vollzug nicht kennt.

 

Zwangsbehandlung

«So ist er diesen Maßnahmen zwangsweise zu unterwerfen.» Die Rechtsanwältin Rueprecht erörtert die Grauzonen dieser Rechtsbestimmung, und die Strafverteidigerin von Fritz Goll berichtet den Fall ihres Mandanten, den die Zwangsbehandlung in Siechtum und Tod geführt hat. Anm.: Was im Vollzug als «Ruhigstellen» bezeichnet wird, erfolgt oft durch Depotinjektionen «atypischer Antipsychotika». Dabei handelt es sich nicht um Ruhigstellen durch Sedativa, sondern um Verminderung der Erlebnis- und Handlungsfähigkeit. Langzeiteffekte solcher Mittel können massive Veränderungen im Nervensystem und andere Schäden, die nicht reversibel sind, sein. Fritz Goll hat sich gegen eine solche Injektion zu wehren versucht. Dabei wurde ihm das Rückgrat gebrochen.

Justizminister Brandstetter hat, wie eingangs erwähnt, eine Arbeitsgruppe zur Reform der «Maßnahme» ins Leben gerufen. Eine gänzliche Abschaffung, wie der ehemalige Anstaltsleiter Minkendorfer sie fordert, ist dabei wohl nicht zu erwarten. Es bleibt aber zu hoffen, dass in möglichst vielen Punkten, von denen hier nur einige wenige erwähnt werden konnten, Maßnahmen zur Verbesserung der «Maßnahme» in Gang gebracht werden. Der Öffentlichkeit wird die Lektüre des Buches sehr empfohlen. Es sollte jedermann/frau dringend wünschen, in einem Land zu leben, in dem solche Zustände beseitigt werden.

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