Beppo Beyerl ist ein Flaneur vom alten Schlag, der detailliert den Ost-Charme Wiens skizziert
Zum Beispiel auf der Kennedybrücke. Mit dem 60er geht es heute wieder einmal raus nach Rodaun. So wie damals, als ihn die Frau Mama noch Bepperl rufen durfte und der Herr Papa nicht Tschechisch mit ihm reden wollte. Die Mama aus dem nahe gelegenen Mauerbach. Der Papa aus Karlovy Vary, dem berühmten Karlsbad. Ein angesehener Holzhändler, der nach dem Kommunistenputsch 1948 seiner Heimat den Rücken gekehrt hatte und der auch auf der Fahrt nach Rodaun keinen Sinn darin erkennen wollte, dem einzigen Sohn eine wildfremde Sprache beizubringen, die doch nur jene Elenden benötigten, die hinterm Eisernen Vorhang bleiben mussten.
Ich habe drei Heimaten, eröffnet Beppo Beyerl, während sich unsere Tram durch das mondäne Hietzing schlängelt. Das Wien seiner Mutter und das Böhmen seines Vaters liegen auf der Hand. Dazu gesellt sich noch sein geliebter istrischer Karst, den er schon als Slawistik-Student für sich entdeckt hat. Damals, im alten Jugoslawien, lange bevor die Fischer in der Bucht von Piran völkerrechtliche Wellen schlugen.
Alsdann, ein Lieblingswort des Wiener Wanderers. Auch heute, an der Endstation der Linie 60 in Rodaun, die noch genauso trostlos aussieht wie in seiner Kindheit. Der Beppo kennt den Weg.
Wege, so nennt sich auch sein neues Buch, das soeben im Wiener MoKKa-Verlag erschienen ist. Kein Buchtitel passt besser zum Autor als dieser. Kompromisslos folgt er seinem Weg. Immer auf der Suche nach Geschichten. Entlang der Wiener Stadtgrenze. Entlang der alten Grenzen zwischen Ost und West, in Centropa, wie man heute dazu sagt, in Istrien oder in den Bergen südlich von Wien. Überall dort, wo er sich halt zu Hause fühlt. Immer zu Fuß bzw. mit Bim, Bahn oder Bus. Vor dem Franz-Ferdinand-Schutzhaus ruft er aus: Was brauch ich einen Führerschein!
Seit dreißig Jahren ist Beyerl im Geschäft. Zwölf Bücher und 300 Reportagen hat er seither geschrieben. Viele wurden im Extra, der von Thomas Pluch gegründeten Wochenendbeilage der Wiener Zeitung, gedruckt. Doch seit dem Rechtsruck in der Chefredaktion der ältesten Zeitung der Welt wolle er nicht mehr mitmarschieren.
Mutter wie Vater wird in seinem Oeuvre gleichermaßen Ehre zuteil: Eine Hälfte der Reportagen erzählt von Wien, die andere vom Umland der Zuwanderer. Bewegt er sich durch Wien, ist Beyerl ein Stadtflaneur der alten Schule. Nichts ist exotischer als unsere Umwelt! Diesem Satz des ehrwürdigen Prager Sozialreporters Egon Erwin Kisch folgt auch der Be-Be. Dabei schreckt er nicht davor zurück, die ganz arge Tristesse des Peripheren bis zur Schmerzgrenze in Worte zu fassen.
Nur mit einem Diktaphon und ausreichend Kartenmaterial ausgerüstet, folgt er stundenlang seiner inneren Eingebung. Plötzlich wird das Hirn von selbst tätig, sagt der Schreiber beim Gehen. Und dann kommen die Ideen ganze Gedankenketten. Jede Kette spricht er auf Band, um sie nicht auf dem Weg liegen zu lassen.
Aufnahmegerät einschalten, Randnotizen festhalten, die Sorgen des Alltags verdrängen. Die Einsamkeit als Wegbegleiter genießen. Auch so eine Kette. Das ist einer der wenigen Vorteile, die eine Existenz wie meine bietet. Bei mir ist, wie man so schön formuliert hat, die Entfremdung der bürgerlichen Gesellschaft aufgehoben.
Der Nachteil seiner Existenz: Weil Arbeits- und Freizeit fließend ineinander übergehen, kann ich eigentlich nie richtig abschalten. Seine Frau Eva, eine gelernte und gut beschäftigte Gärtnerin, scheint viel Geduld mit ihm zu haben. Ich versuche im Gegenzug, ein aktiver Hausmann zu sein, der einkaufen geht und auch kocht.
Glücklich ohne Auto. Als Wanderer, vergleicht Beyerl in den Hinterwäldern von Rodaun, weiß ich, wie Himbeeren vor dem Regen und nach dem Regen schmecken. Während der Autofahrer nicht einmal weiß, dass hier Himbeeren wachsen. Fragt man ihn im Schutzhaus, beim gemütlichen Verzehr eines Paarls Frankfurter, was ihn an Wien fasziniert, erläutert er begeistert: Die Mischkulanz. Es mag vielleicht einen reinen Düsseldorfer geben, aber in Wien samma doch alle Zuwanderer.
Auch den doppelten Boden, den das Wienerische den Schmähtandlern ebenso wie den Schriftstellern bietet, weiß der Beppo zu schätzen. Gewiss, die Arbeit mit einem deutschen Verleger biete mehr Sicherheit. Mehr Gaudium habe ich allerdings mit jenen, die immer nur sagen, das mach ma schon.
Schade nur, dass ihm der Vater nicht schon als Kind die schwierige tschechische Sprache näherbringen wollte. Was der Bepperl nicht lernte, kann der Beppo nur schwer perfektionieren.
Zurück an der Endstation Trostlos. Der Flaneur nimmts nicht schwör. In diesen Tagen wandert er entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Mit dem Diktaphon in der Hand. Gedankenketten fürs nächste Buch sammelnd. Man darf gespannt sein.
Info:
Lokalmatadore nennt sich auch der Sammelband dieser Porträtserie erhältlich bei Ihrem Augustin-Verkäufer sowie im Buchhandel.