Die Musik in Zeiten von Corona, Teil 2Artistin

Musikarbeiter unterwegs … (mit den Augen am Boden) umschauen

«Stop and go» hat als musikalisches Stilmittel seinen Reiz. Als Realität durch den neuerlichen Lockdown für Musiker_innen und Veranstalter_innen – Stop! – weniger.

TEXT: RAINER KRISPEL
FOTO: MARIO LANG

Am Sonntag ringe ich mir einige Zeilen zur Absage des KlezMORE Festivals 2020 ab. Zu sagen, ich tue dies «mit ambivalenten Gefühlen», wäre eine krasse Untertreibung. Kaum ist der Text fertig, wird klar, dass zumindest das Eröffnungskonzert am 7. 11. im Porgy & Bess ohne Publikum stattfindet und gestreamt wird. «Jetzt geht die Streamerei wieder los», seufze ich bei mir, stündlich die Wiederkehr der Balkonkonzerte erwartend. Wobei Steve Gander mit Friends und dem Sistas Choir mit ihrer Würdigung des großen Leonard Cohen –
4 years gone – eingebettet waren in The show must go online again, tägliche Konzert-Streams (www.porgy.at) aus dem Porgy, teils live, teils aus dem Archiv. Es wären nicht Christoph Huber und sein Team, wenn nicht zu bemerken wäre, dass die Notlösung – eine Rose ist eine Rose, und ein Livekonzert ist ein Livekonzert – aktiv und reflektiert gestaltet wird. So gibt es zwischen Schreiben und Erscheinen dieses Artikels zwei Netzevents mit den Tiger Lillies aus Großbritannien. Was erwähnenswert ist, weil Aspekte der Veranstaltungskultur in den Grenzen von Corona der letzten Monate eine zwangsläufige Re-Regionalisierung/Nationalisierung (Balkon!) samt unfreiwilliger (?) Elitenkultur (Verknappung der Zugänge) und ohnehin latenter Selbstbezogenheit waren. Dazu die für den Autor völlig unerträgliche Argumentation, «systemrelevant» zu sein. (Bitte her mit dem Widerspruch zu diesem Gedanken: Hätte ich in noch bedrohlicheren Zeiten «kriegswichtig» sein wollen?) Schreiben wir es so: Die hiesigen Beiträge von Musiker_innen, gar reflektiert und bewusst in die eigene Musik/Kunst und deren Präsentation eingearbeitet, die in Richtung eines Umgangs mit der Krise gingen/gehen, die internationale und gesamtgesellschaftliche Solidarität (Grundeinkommen! Gemeinsame, reflektierte Kontaktreduktion) als unumgänglich dafür voraussetz(t)en und transportieren, sind überschaubar und überhörbar.

We’ve got a (further) bigger problem now.

Ab Montag, den 2. 11. 2020 wird noch einmal vieles anders. Wir verschieben den Fototermin für diesen Artikel um einen Tag. Ich mag und kann nicht raus. Am Mittwoch ist es, bei aller dumpfen Mulmigkeit, gut, durch die Stadt zu gehen. Während des Gehens ruft ein Freund an und teilt mir mit, dass für sein Duo Hirsch Fisch wegen Lockdowns drei Abende in der Strengen Kammer des Porgy entfallen. Musiker_innenrealität 2020. At home ist der E-Mail-Eingang voll. Absagen, Verschiebungen, (noch?) Veröffentlichungen. Neues von Bruch, eine Cover-EP von Clara Luzia, eine EP von Squalloscope. Mahan Mirarab, Gitarrist, den wir gemeinsam mit der Sängerin Golnar Shahyar vorm Neruda treffen, hat am Telefon zuvor beiläufig seinen abgesagten Konzertnovember und -dezember erwähnt.

Outernational!

Noch im September diskutierten wir im Neruda über Begrifflichkeiten, wie «Outernational» und World Music, mit inhaltlichen Inputs von Golnar, Mahan und der Sängerin Sakina Teyna. Mirarab spielte dazu mit einem neuen Duo mit András Dés. Im Rahmen einer eben nicht mehr «World Music Session» stiegen Golnar, Sakina und die im Publikum anwesende Diana Rasina singend ein. Zaubermusik. Die die besprochenen Wirklichkeiten umso ernüchternder einfahren ließen. Wie marginalisiert und pauschaliert die Wahrnehmungen sind, Golnar und Mahan sind grundsätzlich die «Musiker_innen mit persischem Background», Sakina ist «politisch» verortet und im «kurdischen» Kontext. Zum selbstbehaupteten (Pop-)Musikwunder Wien werden diese wunderbaren Wiener Musiker_innen bedingt eingeladen. Wie weit wir von echter Inklusion und Diversität entfernt sind, ist zu erahnen, wenn Shahyar davon spricht, wie in den musikalischen Ausbildungen einzig der westliche und europäische Klangkanon gelehrt werden. Jetzt im November haben wir noch gestreift, wie die letztens hier erwähnten Mindestgagen und die Realität auseinanderklaffen. 1.050 Euro als Grundangebot, wenn Golnar und Mahan mit ihrem Trio in Wien spielen? Von 1.000 Euro, die sie als selbstständige Musiker_innen derzeit von ihrer Sozialversicherung wegen komplettem Verdienstentgang monatlich angewiesen bekommen, kann mensch vielleicht leben. Irgendwie. Auf Dauer, mit und ohne Corona, mit und nach Corona, nicht. Wir müssen reden. Wir müssen tun.

golnarshahyar.com
mahanmirarab.com

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