Die Musik in Zeiten von Corona, Teil 3Artistin

Musikarbeiter unterwegs … in die Kulturarbeit

Trotz Virus gibt es Initiativen, die unter den erschwerten Umständen etwas bewegen wollen. Ein Treffen mit der Musikerin Martina Reiter, in der IG Freie Musikschaffende aktiv.

TEXT: RAINER KRISPEL
FOTO: MARIO LANG

«Ihr seid immer nur dagegen, macht doch mal bessere Vorschläge», heißt ein 1997 erschienenes Lied des Hamburger Musikers Knarf Rellöm, der es immer schon verstand, Diskurs zu Pop zu machen. Ich denke an die Wohlfahrtsausschüsse, einen Politisierungschub linker Musiker_innen in den 1990ern in Deutschland mit Bezugnahme auf die Französische Revolution. In A gab es Electronic Resistance, der Schreiber war Teil des Linken Musiker_innenrats, der aber nicht so sichtbar und wirksam wurde wie die bis heute tätige Musikergilde. Die Initiative «Signale 18» versuchte die Ideen progressiver Kulturpolitik und Selbstermächtigung/vertretung von Musiker_innen aufzugreifen und Veranstaltungskultur inhaltlich anders aufzuladen. Die Frage nach der gewerkschaftlichen Organisation von Musiker_innen, einst von der Linzer Zeitung hillinger der Band Shy gestellt, würde 2020 immer noch Erstaunen auslösen.

Vielleicht ein Requiem spielen.

Inmitten der vielgestaltigen Versuche von Veranstalter_innen und Musiker_innen, sich zu artikulieren und das Ohr von Medien oder Politik zu finden (noch einmal «systemrelevant», und ich kriege solche Kabeln!), weil die Veranstaltungskultur, wie wir sie kannten, ausgesetzt ist, fiel mir die IG Freie Musikschaffende auf. Nicht zuletzt, weil ich der Meinung bin, dass Musiker_innen für Musiker_innen sprechen müssen. Wenig später schickt mir Martina Reiter, mit zwei weiteren Frauen und zwei Männern 2020/21 Vereinsvorstand der IG, deren Leitbild. «Die IGFM richtet sich an alle, die in Österreich als freie Musikschaffende tätig sind, ungeachtet ihrer ursprünglichen Herkunft», steht dort zu lesen. «Wichtig ist uns eine flache Organisationsstruktur, auf Augenhöhe mit
einander zu arbeiten», sagt Martina Reiter, aus Oberösterreich stammend. Sie spielt Viola und Violine in einer Vielzahl von Formationen, dabei von Alter Musik bis zum Zeitgenössischen künstlerisch beweglich, und ja, ihre Musik sollte ihren eigenen Artikel bekommen! Aktuell spielt sie mit TiefseeSaiterin («gestartet als freie Impro, wir haben jetzt begonnen, Songs zu schreiben»), mit Melisande zeitgenössische Musik des 20./21. Jahrhunderts, ein Goldberg-Projekt entsteht, mit dem Ensemble 1791 spielt sie um die Tage unseres Gesprächs herum vielleicht live – «das Requiem von Mozart in der Michaelerkirche, wenn es wahr ist». Dazu erscheint die Debüt-CD von Muto 20 bei nonfoodfactory.

Beim Wasser ist gut denken.

Fürs Foto treffen wir uns unweit ihrer Wohnung – «da kann ich auch um Mitternacht Klavier spielen». Bei Martina Reiter geht Musikmachen seit jeher mit dem Organisieren dieser Musik einher, bei den genannten Formationen erledigt sie mit ihrem Mann das «Management». Den Hauptteil des Geldes, das Martina zum Leben braucht, spielt sie als freie Orchestermusikerin ein. «Dabei war und ist es gleichzeitig immer ein Thema, wo arbeite ich, wie arbeite ich, wie sind die Rahmenbedingungen …» Dieses – deregulierte – Feld war über ihr Engagement in der Orchestervertretung der Weg hin zur Arbeit mit und an der IG Freie Musikschaffende. Mensch darf nicht dem Irrtum aufsitzen, dass der Bereich der Klassik an sich bezüglich Arbeitsbedingungen und Entlohnungen weniger prekär wäre als andere. Die Freischaffenden bedienen besser verankerte und gesicherte Institutionen und KV-Orchester zu Hilfsarbeiter_innen-«Gagen». «Es gibt keine Kunst und keine Kultur ohne die Menschen, die diese machen. Es geht nicht, dass das ein Personal ohne Rechte ist. Im Herbst 2019 schon war dieser Zustand so unerträglich, dass wir begonnen haben, uns als IG zu organisieren – Corona hat diesen Prozess beschleunigt.» Dabei versteht sich die IG, in der Gründung personell meist aus der Klassik kommend (das Kernteam besteht aus 13 Personen), in ihrer Arbeit als österreichweit und grundsätzlich genreübergreifend. Es ist eine Arbeit vieler Schritte, wobei Martina Reiter bei Teilen «der
Politik» Bereitschaft sieht, Fairnessprozesse zu ermöglichen. Ihr Appell: «Wenn wir als IG etwas erreichen wollen, brauchen wir eingetragene Mitglieder, je mehr, desto besser. Werdet aktiv Mitglied und helft so mit, dass wir noch ernster genommen werden und noch stärker auftreten können!»