Die Musik in Zeiten von Corona, Teil IArtistin

Musikarbeiter unterwegs … umschauen

Anlässlich der aus Lübeck nach Wien gekommenen Aktion «Ohne Kunst & Kultur wird’s still»: der Versuch einer mosaikartigen strukturellen Musikstadtrundschau.

Text: Rainer Krispel
Foto: Mario Lang

Am Weg ins Neruda im 4. Bezirk, um mit Maria Paz Caraciolli Gutierrez und Martin Diesch das Foto für diesen Artikel zu machen, lese ich einen offenen Brief von Herbie Molin, adressiert an tatsächlich politisch Kulturverantwortliche. Molin, leidenschaftlich und kenntnisreich in Sachen Musik tätig, veranstaltet als liccht (Verein für Nischenmusik und Populärmusik, facebook.com/licchtvienna) sorgsam kuratierte Konzerte. In seinem Brief weist er gelassen darauf hin, dass die per Pressekonferenz am 19. 10. angedrohten Maßnahmen so nicht gemeint sein können: «Achtung, da ist ein Fehler passiert!» Der Brief wird breit geteilt. Tage später ist mit ausformulierter Verordnung wie so oft in letzter Zeit alles wieder ein wenig (ganz) anders. Klingende (Sub)Kultur in Lokalen mit Getränkeausschank scheint wieder – irgendwie – möglich. Dass besagte Verordnung erst mit Sonntag, den 25. 10., in Kraft treten würde, nehmen reflektierte Beobachter_innen des politischen Coronawahnsinns (dies meint weder Leugner_innen noch «Querdenker_innen») seufzend zur Kenntnis. Dass eine so gestrige Regierung so eine tätige Liebe zur ständig veränderten Vorzukunft hat, vulgo Regieren durch Ankündigung, haltlose Behauptung und Verwirrung, ist für alle aufreibend und verunsichernd.

Klarheiten in drohende Stille hinein.

Ganz anders sind Blicke und Gestus der 18 Musikarbeiter_innen, die uns von den Wänden des Neruda anblicken. Der Clubbetreiber, der Sänger, die Sängerin, die Tänzerin, die Theatermacherin, der Tontechniker, die Tourmanagerin, der Veranstalter & Barbetreiber und zehn andere Menschen aus der Branche, die uns gemeinsam zum Motto «Ohne Kunst & Kultur wird’s still» anschauen, tun das Ihre im deutschen Lübeck – oder ein schon ganz schön lange währendes derzeit eben nicht –, aber sie scheinen vertraut. Als könnten sie jeden Moment in der Margaretenstraße vorbeigehen. Keine_r strahlt Aggression aus oder massive, existenzielle Irritation, die mensch im Oktober 2020 schon empfinden kann. Allein, die Hände, die Arme – sie haben nichts anzugreifen, nichts zu greifen. Das Neruda, von Betreiber Marco Antonio Sanhueza ausgerechnet diesen Herbst wiedereröffnet, ist derzeit Ausstellungsraum und Fotostudio. Martin Dietsch bildet hier Wiener Kulturabeiter_innen ab, die ab Anfang/Mitte November mit den Lübecker Kolleg_innen in Wien plakatiert werden, Teil einer von Maria Paz Caraciolli Gutierrez konzipierten Aktion. Maria, in Wien familiär verwurzelt, als Bookerin der Lübecker Kulturwerft (kulturwerft-gollan.de) derzeit diesbezüglich zur Untätigkeit verdammt, weil es schon auch ein Schwachsinn ist, 800er-Säle prinzipiell (!) für 200 potenziell zuschauende Menschen zu bespielen, sieht diese vorrangig als Eröffnung eines Dialogs und als Sichtbarmachung. So werden wir demnächst den Studio-Wizzard Zebo Adam, Trompeter Thomas Gansch, Plakatiergott und Künstler Rudi Hübl (viennaposterservice.at), Musikagentin Sabina Schebrak (cultureworks.at) oder Valerie Stojka, die dafür sorgt, dass die Gitarre von Harri zu hören ist (harristojka.at), auf von Marias Vater Patricio Handl gestalteten Plakaten und Postkarten sehen. «Wo ist denn unsere Stimme im ganzen System?», fragt Martin fast beiläufig, als sich die Fotografen eigentlich auf Fotografisch unterhalten.

Stimmengewirr.

Die Situation in Deutschland ist kaum mit jener hier vergleichbar, nicht zuletzt durch die Macht- und Verwaltungsstrukturen. In Wien kriegt mensch den Eindruck, es sei, was Musik anbelangt, alles wie immer. Was mitnichten so ist. Der Musikarbeiter könnte mehr als genug indoor Konzerte besuchen, an hiesigen, qualitativ hochstehenden Tonträgern ist kein Mangel. Doch es franst aus. Fragen, schon vor Corona unbeantwortet, drängen durch. Da spielen Freund_innen zu fünft für drei Menschen, hier ringen «große» Künstler um Publikum, wobei in A die Aufmerksamkeit immer dort gebündelt ist, wo ohnehin schon Aufmerksamkeit ist. Fair Pay für Musiker_innen oder Live-Mindesthonorare gehören diskutiert und etabliert (musicaustria.at, «Mindesthonorare» suchen). Dort kündigt eine Musikerfamilie die Wohnung, da konzipiert ein Freund Festivals mit Programmpunkten, die meinem Rechtsverständnis nach derzeit kaum legal machbar sind. Schauen und hören wir weiter. 

instagram.com/ohnekunstundkultur_still