Die Narren und die Pfarrer(sfrauen)Dichter Innenteil

Die Ankündigung einer Faschingssitzung der «Obersdorfer Faschingsgilde», die am 27. Jänner im Volksheim der niederösterreichischen Kleinstadt Herzogenburg über die Bühne ging, hatte mein laienethnologisches Interesse erweckt. Faschingsumzüge waren mir, dem aus der Provinz Zugewanderten, vertraut, aber den Fasching in Form von Gilden-Sitzungen assoziierte ich mit dem deutschen Karneval.Ich sah ein vierstündiges, in keiner Phase wirklich peinliches, in vielen Phasen inhaltlich starkes Revueprogramm in drei Teilen, von denen nur der erste Teil dem Amateurtümlichen verhaftet blieb. Das Laienensemble steigerte sich zum Dilettantischen, im ursprünglichen Sinn des Wortes: zur Leidenschaft der Darstellung. Wäre ich Wiener Theatermacher, würde ich sofort nach Herzogenburg fahren und mir die LaiendarstellerInnen herausfischen aus dem Gilden-Topf.

Die Kirche bekam vor allem als am Zölibat festhaltende Institution ihr Fett ab. Jungen Männern in Herzogenburg und Umgebung, die wegen ihres Misserfolgs, ihrer Unentschlossenheit, ihres Desinteresses gegenüber Frauen ins Gerede kommen, hält man das Beispiel eines Klerikers entgegen: «Söbst da Pforra vo Kapelln hod scho ane » Die Faschingsgilde braucht hier nichts Fiktives hinzuzufügen, die Realität ist erleuchtend genug. Dass der Bahnhof großzügig renoviert wurde, die Bundesbahnen aber «bloß Schienenersatzverkehr» anbieten, der keinen Bahnhof mehr benötige, ist eines der lokalpolitischen Themen; die Brisanz der Nebenbahnliquidierung in Niederösterreich hätte an diesem Punkt eine provokantere Kommentierung nötig und möglich gemacht.

Der «Gendermainstreaming»-Sketch, in dem durch Übertreibungen jegliche Bemühungen zur EntHERRlichung der Sprache auf die Schaufel genommen wurden, war für mich der eigentliche «Gruß aus der Provinz». Vorurteilsbeladen hatte ich solche Provinzialismen schon von Anfang an erwartet, umso mehr, als ich sie ja vor allem aus Wien kannte, aus der Hauptstadt des provinzlerischen Widerstands gegen Erneuerungsbestrebungen und -bewegungen. Der Protagonist gab vor, nicht zu übertreiben, sondern zu dokumentieren, wenn er gegen die angeblich obligatorische Streichung des Begriffes «history» aus dem öffentlichen Schulunterricht eines US-Bundesstaates polemisiere. Die SchülerInnen seien gezwungen, «history» durch «herstory», SEINE Geschichte durch IHRE Geschichte, zu ersetzen.

Dass wortspielhafte Wiedergutmachungen dieser Art zur sprachkritischen feministischen Praxis gehören, wenn es um Geschichtsschreibung aus Frauenperspektive (also aus der Verliererinnenperspektive) geht, ist bekannt. Eine diesbezügliche Verordnung durch eine staatliche Stelle ist eine Herzogenburger Narrenerfindung. Beim Witz über den Italiener, den Japaner, den Österreicher und den Türken, die einer nach dem anderen alles zum Fenster hinausschmeißen, wessen sie nachvollziehbar überdrüssig geworden sind, hat der Türke das letzte Wort. Das hat mir gefallen: Nachdem sich der Italiener der Spaghetti entledigt und der Japaner die Portion Reis aus dem Zugfenster kippt, sagt nicht der Ösi zum Türken, sondern umgekehrt der Türke zum Ösi, eingedenk des noch immer offenen Fensters: Mach jetzt keinen Scheiß!

Am Tag der polizeilichen Verfolgungsjagden auf die Gegnerinnen und Gegner des Balls der rechtsradikalen Verbindungen brachte es die Faschingsgilde aus der niederösterreichischen Kleinstadt sogar zuwege, einen durchreisenden Anarchisten zum Lachen zu bringen. Was ist der kleinste Bauernhof? () Eine Funkstreife. (???) Vorne zwei Bullen, hinten eine arme Sau. Und geschunkelt wurde im gerammelt vollen Saal erst beim Finale, vier Stunden nach Beginn. Und auch das nur deshalb, weil der Boss der Narren das Publikum dazu aufforderte, in Unkenntnis meiner ethnologischen These, dass das unter biertrinkenden Völkern beliebte Schunkeln in Regionen des guten Weines (Herzogenburg liegt an der Schwelle des «Weinbaugebietes Traisental», das im Norden fließend in das «Weinbaugebiet Kremstal» übergeht) als nicht authentischer Brauch gilt.

Geschädigt durch die Übertragungen des Mainzer Karnevals, denen ich als Kind kaum entkommen konnte, hatte ich die «Unsitte» der närrischen Sitzungen vor schunkelndem Publikum eher der deutschen Kultur zugerechnet, was sich aber schon beim Betreten des Herzogenburger Volksheimes als Irrtum herausstellte. Denn hier fiel mir gleich die jüngste Ausgabe der «Narren-Presse» in die Hände, die über die Aktivitäten der diversen österreichischen Faschingsgilden berichtete.

Die Reportage über den «Rathaussturm in Bad Hall» ließ eine wenn auch inzwischen sehr latent gewordene subversive Veranlagung des Gildenfaschings erahnen: «Die Bad Haller Faschingsnarren stürmten unter der Führung der beiden Prinzenpaare das Stadtamt und erkämpften sich den Rathausschlüssel. Mit dem Autokran des Prinzenpaares wurde der Bürgermeister aus dem Rathaus geholt und zur Kapitulation gezwungen. Jetzt regiert der BHCC, war die Parole des Bad Haller Carneval Clubs.» Bei der Döblinger Faschingsgilde freilich, zumindest lässt das ein Bericht vom «Narrenwecken» (11. 11. um 11 Uhr) im 19. Wiener Gemeindebezirk vermuten, ist diese subversive Tradition schon sehr verschüttet. Anders kann ich mir nicht erklären, wieso das Publikum auf den Tischen zu tanzen begann, als der «Ehrensenator» der Gilde seinen Ego-Hit «I bin da Lugna» zum Besten brachte.

Niemand hat ein Monopol auf den Fasching

Dass in Österreich Umzüge und Bälle beliebter sind als Faschingsgildensitzungen, liegt an der relativen Mindergewichtigkeit des «Bundes der österreichischen Faschingsgilden (BÖF)» im Spektrum der zivilgesellschaftlichen Faschingsmacher. «Wenn auch in letzter Zeit das Faschingsgeschehen im Allgemeinen ein höheres Ansehen und eine größere Verbreiterung erfahren hat und in vielen, auch kleinen Gemeinden Faschingszüge oder ähnliche Faschingstreiben stattfinden, so sind die Träger solcher Veranstaltungen vielfach doch Vereine oder Personen, die normalerweise mit dem Fasching an sich nichts zu tun haben. Viele der Faschingszüge werden von den örtlichen Fremdenverkehrs- oder anderen Brauchtumsvereinen oder sonstigen Organisationen durchgeführt», erfährt man auf www.fasching.boef.at. Niemand hat ein Monopol auf Fasching, das tut wohl.

Niemand denkt heute an die Umkehrung der sozialen Verhältnisse, spielerisch vorweggenommen und von oben toleriert in den Kalendertagen des Faschings, ab Aschermittwoch zum Gegenstand zivilgesellschaftlicher Phantasien und zum Ziel entsprechender Handlungen erklärt (Ausnahme: F13-Projekt Subversiver Fasching an jedem Freitag, dem Dreizehnten). Wenn die «1. Bad Vöslauer Faschingsgilde» am Faschingsdienstag, dem 8. März, um 17.11 Uhr vor dem Vöslauer Rathaus den «Fasching verbrennt», weil Bad Vöslau zur Landesnarrenhauptstadt von NÖ 2011 ernannt worden ist, wird in der realpolitischen Landesnarrenhauptstadt kein Machtträger erleichtert aufatmen: Vom Fasching her droht ihnen (noch?) keine Gefahr.

Das Zölibat wird allerdings fallen. «Da Pforra vo Kapelln» und einige Faschingsgilden werden das Ihrige dazu beigetragen haben.

Eine Auswahl von Kennrufen niederösterreichischer Faschingsgilden:

Faschingsgilde Aspang AuWeh

Faschingsgilde Ardagger MA-ST-KO-ST

Faschingsgilde Bad Vöslau VÖ VÖ

Berndorfer Faschingsgilde Brumm-Brumm

Markgrafen zu Biedermannsdorf LU LEI LA LAU

Faschingsgilde Bruck a/d Leitha Halli-Hallo

Faschingsgilde Erlach 1,2,3 Erlei-Erlei

Faschingsgilde Felixdorf Miau-Miau

Faschingsgilde Gumpoldskirchen Prost-Prost

Hainburger Faschingsgilde Hei-Hei-Mo-Mo

Faschingsgilde Hinterbrühl Hi-Hi-Brüh-Brüh

Faschingsgilde Horn Horn-vorn

Faschingsgilde Kottingbrunn Göd-Aus

Laaer Faschings-Freunde He-He-Laa-Laa

Mauterner Faschingsgilde Mau-Mau

Mödlinger Förderungsverein Mö-Mö

Faschingsgilde Neulengbach Neu-Neu

Faschingsgilde Neunkirchen Neu-Neu

Faschingsgilde Pernitz Bla-La

Tullner Narrenparade Tulli-Tulli

Faschingsgilde Vösendorf VÖ-VÖ

Faschingsgilde Wiener Neustadt AEIOU-Uhu-Uhu

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