Lokalmatador
Marko Iljić hat mit 50+ freiwillig den Beruf gewechselt. Er führt nun Gäste durch Wien.
TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG
Ruđer Bošković und dessen Hauptwerk Theorie der Naturphilosophie muss Marko Iljić seinen Landsleuten nicht erklären. Für sie ist Bošković einer der klügsten Köpfe ihrer Heimat. Eine Gedenktafel am vormaligen Universitätsplatz zeigt an, dass der in Dubrovnik geborene katholische Priester, Physiker, Mathematiker, Astronom, Geograf, Techniker und Dichter in den Jahren 1756 bis 1760 sowie 1763 in Wien gewohnt und auch geforscht hat.
Neuer Name.
Dass die gelernte Wienerin und der gelernte Wiener noch nie von diesem Mann gehört haben, ist eine andere Geschichte. Diese muss Marko Iljić bei seinem Spaziergang durch den ersten Bezirk nun öfters berücksichtigen. Heute kann er sagen: «Meine Kundschaft kam nur am Anfang ausschließlich aus Kroatien sowie aus Bosnien und Herzegowina.»
Iljić weiß, was alle in Wien interessiert. Der diplomierte Fremdenführer ist einer von dort – und auch einer von hier: Er wurde 1962 im Tito-Jugoslawien geboren, doch er lebt schon seit 1972 in Wien.
Neuanfänge begleiten sein Leben. Er war noch kein Jahr alt, da übersiedelten seine Eltern zum ersten Mal: von einem bosnischen Dorf nahe Brčko über die Save in ein kroatisches Dorf nahe Županja. «Weil mein Vater dort Arbeit in einer Kolchose fand.»
Besser in Erinnerung geblieben ist dem «gastarbajter»-Kind seine Ankunft in Wien: «Wo mein Vater auf Baustellen zu arbeiten begann, und meine Mutter als Hausmeisterin. Wir sind ganz klassisch mit dem Zug auf dem Südbahnhof angekommen.» Die fremde Stadt wirkte auf den Zehnjährigen vom Land zunächst einmal «groß, laut und schmutzig».
Neues Zuhause.
Doch er akklimatisierte sich schnell: in der Schule mitten in Margareten («In der Klasse war ich das einzige Ausländerkind») ebenso wie auf dem Einsiedlerplatz («Der war mein erster Bezugspunkt in Wien, im Käfig haben ich mit den Kapounek-Brüdern Fußball gespielt»).
Willkommenskultur war in den 1970er-Jahren noch kein innenpolitisches Reizthema, mehr gelebte Normalität. Marko Iljić erinnert sich: «Schon nach einer Woche wurde ich zu einer Geburtstagsparty eingeladen, und die Kapounek-Brüder haben mich zum Training beim Sportclub mitgenommen.» Der Zuwandererbub hatte auch etwas anzubieten: «Ich war sehr gut in Mathematik, und ebenso beim Fußballspielen.»
Eine klassische Wiener Familiensaga: Ursprünglich wollten seine Eltern nur zwei, drei Jahre bleiben, um Geld für den Bau eines neuen Hauses zu sparen. Doch dann erhielten sie das Angebot, in einer Villa beim Türkenschanzpark die Hausbesorgerwohnung zu übernehmen. Und ihr «Unten», wie sie ihre alte Heimat liebevoll nennen, verlor allmählich an Anziehungskraft.
Marko Iljić lebt heute gerne in Wien, betont er. Doch er sagt auch, dass er die ersten zehn Jahre seines Lebens nicht vergessen hat. Er führt jetzt durch die sich schlängelnde Schönlaterngasse. Neben dem Eingang zum Haus Nr. 13 wurden zwei weitere Gedenktafeln angebracht. Eine erinnert an das Kollegium Croaticum, ein Studentenheim des Zagreber Bistums, das Joseph II. nach 155-jährigem Bestehen 1782 aufgelöst hat.
Studiert hat auch Iljić in Wien, Geografie. Nach dem Magisterium arbeitete er 25 Jahre lang für das Wiener Hilfswerk: zuerst als Projektmitarbeiter, später als Projektleiter, dann lange als Abteilungsleiter.
Bei seinem Engagement in den Nachbarschaftszentren des Hilfswerks halfen ihm seine Mehrsprachigkeit und nicht zuletzt seine eigenen Erfahrungen, sein Wissen um den prägenden Hintergrund von Migration.
Neuer Beruf.
Erst seit dem Vorjahr ist Marko Iljić als Fremdenführer in Wien unterwegs. Freiberuflich, mit all den damit verbundenen Vor- und Nachteilen. Seine Ausbildung dauerte intensive drei Semester, sie schützt ihn jedoch nicht vor Konkurrenz. Und die ist riesig im größten Tourismusort des Landes. Dennoch ist der Spätberufene überzeugt, dass es richtig war, auf sein Herz zu hören: «Ich wollte mit 50 noch etwas Neues beginnen. Die neue Aufgabe erfüllt mich mit großer Begeisterung.»
Als Guide kann Marko Iljić dazu beitragen, kulturelle Missverständnisse zu beseitigen, indem er den einen von den anderen erzählt. Wichtig, betont er am Ende seiner Tour durch die Wiener Innenstadt, sei auch die Unterstützung seiner Frau Verena, die voll hinter ihm steht.
Und wenn dann die einen wie die anderen bei der Verabschiedung sagen, dass sie von ihm etwas Neues gelernt haben, kann er sich zufrieden auf den Heimweg machen. Zu Fuß, denn sein Zuhause ist heute der nahe gelegene zweite Bezirk, das Grätzl zwischen Donaukanal und Augarten.
Mehr über seine Spezial-Touren im Internet unter: iljic.wien