Die neuen apokalyptischen Reitertun & lassen

Zu allen Angeboten des Systems «Nein, danke!» sagen

Sich im Herbst zwischen all den Terminen ein ganzes Wochenende freischaufeln. Hoffen, dass das haushaltszugehörige Kind die angebotene Kinderbetreuung nicht aufmischt. Und letztlich, eh wie jedes Mal, eintauchen in eine andere Welt: beim SOL-Symposium 2012 in Wien zum Thema «Genug. Sinnvoll arbeiten und maßvoll konsumieren»SOL ist überkonfessionell und arbeitet schon seit 10 Jahren mit vielen Religionsgemeinschaften bei der Erstellung der «Interkonfessionellen Kalender» zusammen auch mit den Baha’i. Heuer war das Symposium bei den Baha’i zu Gast. Ein eleganter Rahmen für die 40 bis 50 Teilnehmer_innen, die den Vorträgen folgten und in den Arbeitskreisen diskutierten. Den Anfang machte Friederike Habermann mit ihrer Studie zu Wirtschaft jenseits von Arbeit, Askese und Ausbeutung. Sie sprach über das Prinzip Ecommony. War dem Vortrag zu folgen eine phasenweise mühsame Angelegenheit, so darf das Buch aus ihrer Feder als kurzweiliger Renner bezeichnet werden. Der Psychologe Harald Hutterer hielt einen launigen Vortrag über Werte, Bedürfnisse und Strategien. Die meisten Menschen, so seine These, verwechseln ihre Strategien zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse mit den dahinterliegenden Bedürfnissen selbst. Den Abschluss bestritten Klaus und Ulrike Sambor mit einem Update zum bedingungslosen Grundeinkommen.

Zuvor aber der Höhepunkt des Symposiums, der Vortrag Marianne Gronemeyers. Nicht nur der Zeitpunkt ihres Beitrags, der Sonntagvormittag, sondern vor allem der eindringliche Vortrag hochbrisanter Inhalte ließen den Gedanken an eine Predigt im positiven Sinn wach werden wachrütteln und ins Gewissen reden in Reinkultur. Zum Niederknien.

Harmlos begann sie mit einer Anekdote über ihren Café-Besuch, der sie zum Nachdenken über den Begriff des Systems brachte. «Das System ist auf eine teuflische Weise verführerisch: Es verleitet uns dazu, unsere Gefangenschaft mit Zugehörigkeit zu verwechseln, unsere Funktionalisierung als Anteilhabe an der Macht zu deuten, unsere Unzuständigkeit für Entlastung zu halten und die Verregelung für einen Zuwachs an Sicherheit. Und statt klaustrophob in der verwalteten Welt zu werden, fühlen wir uns ganz bequem und auskömmlich mit allem versorgt und arrangieren uns halbwegs zufrieden mit den rapide zunehmenden Beschränkungen unseres Handlungsspielraumes.»

Gronemeyer sieht unter allen Umständen die herkömmliche Erwerbsarbeit als schädlich an. Sie entlarvt den Hauptzweck aller hergestellten Industrieprodukte darin, Müll zu sein: Das neuere Modell macht das derzeitige automatisch und gezielt zum Müll. (Jeder Artikel) «ist ja nur die Vorstufe des neueren Neuesten, das ihm folgt, er trägt den Makel des Überholten und Defizienten bereits in sich, bevor er zum Zuge kommen kann.»

Noch mehr als den Müll selbst verurteilt sie die Müllgesinnung der Gesellschaft und sieht diese verteidigt durch die «vier neuen Apokalyptischen Reiter», nämlich Naturwissenschaft, die Ökonomie, die Technik und die Bürokratie. Und trotz der fortschreitenden Einengung haben die Systeminsassen keine Flucht-Impulse, sondern wollen im Gegenteil hinein ins System, integriert sein, nur ja vom System nicht rausgedrängt, ausgespien werden. Aber, so Gronemeyer: «Durch Integration aller in eine inhumane Gesellschaft wird diese nicht humaner.»

Und obwohl man das Abseits auf den ersten Blick niemandem empfehlen kann ein garstiger Ort, an dem sich die Ausgestoßenen, Für-unnütz-Erklärten und Deklassierten sammeln, eigentlich hingedrängt werden , legt Gronemeyer gerade dieses Disziplinierungsmittel der Mächtigen den Ohnmächtigen ans Herz. Es kommt nämlich darauf an, die Macht des Systems zu erkennen, ohne sie anzuerkennen. Das probate Mittel: die Desertion. Deserteur_innen als Nicht-mehr-Mitmacher_innen entziehen sich dem System leise und unerlaubt. Sie sagen zu allen Angeboten des Systems «Nein danke!»

Orte, leer von Macht, entstehen erst durch Menschen, die sie mit ihrer Anwesenheit, Menschlichkeit füllen, die reinen Herzens «nein danke!» zu Wachstum und Konsum sagen nicht die Ausgebeuteten, sondern die gut Versorgten. Denn jeder Cent, den wir zwar haben, aber nicht brauchen, bedeutet ein kleinstes Stück mehr Freiheit.

Aber: Diese Freiheit müssen wir uns durch Verschwiegenheit erkaufen. Denn während Widerstand im System an Macht gewinnt, je mehr Aufmerksamkeit er erreichen kann, werden Deserteur_innen umso mächtiger, je besser sie sich dem System unerkannt entziehen können. Gefragt ist vor allem kreative Eigenarbeit: «Eigenarbeit spart Zeit, indem sie sie verausgabt, Geld, indem sie es nicht braucht, Raum, indem sie ihn pfleglich nutzt, Kraft, indem sie der Mühe Sinn entlockt, und Natur, indem sie ihr möglichst wenig schadet. Es ist nicht so, dass Eigenarbeit sich nicht rechnet, vielmehr so, dass sie sich nicht berechnen lässt.»

Noch ein Wort zur Kinderbetreuung: Die war phänomenal. Die Kinder waren drei Halbtage mit dem Aufgreifen des Begriffs Nachhaltigkeit beschäftigt, so geschehen mittels Upcycling (also Basteln mit Abfall), und sie genossen es uneingeschränkt. Die gefertigte Müll-Schlange hat im Kinderzimmer einen Ehrenplatz.

Infos:

SOL Menschen für Solidarität, Ökologie und Lebensstil

Tel.: (01) 876 79 24

sol@nachhaltig.at

Termin:

Gronemeyer am Gaußplatz 11

Di., 6. November, 19.30 Uhr, im Rahmen der Aktionsradius Wien-Reihe «Ausstieg aus dem Hamsterrad» (www.aktioinsradius.at)

Eine Kooperation mit dem Europahaus Eisenstadt, das vom 7. bis 9. November ein Ivan-Illich-Gedenksymposion veranstaltet (www.europahaus.eu).

Originalton Marianne Gronemeyer

Eine zugegeben anstößige These


Meine zugegebenermaßen anstößige These ist nun die, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der es so gut wie keine gute, berufsmäßige, also für Geld verrichtete, Arbeit gibt. Dass alle Arbeit, die der industriellen Erzeugung von Waren und Dienstleistungen gewidmet ist, mehr schadet als nützt. Wer könnte heute noch sagen, dass er gute Arbeit verrichtet. Alles was wir heutzutage berufsmäßig tun, schadet mehr, als es nützt: Die Landwirtschaft zerstört den Boden, den sie beackert, verseucht und vergiftet ihn oder bringt ihn ganz zum Verschwinden. Die technischen Errungenschaften zerstören unsere Lebensgrundlagen oder reparieren allenfalls, was sie gerade zerstört haben, um so unbedenklicher weitere Zerstörung anzurichten.

Medizin macht krank, Schulbildung verdummt und macht die sogenannten «Gebildeten» unsozial, Rat und Hilfe führen geradewegs in immer perfektere Verwaltung, die Spitzenkräfte der Wissenschaft stellen ihr Know-how der Vernichtungsindustrie zur Verfügung (mehr als 40 Prozent der hervorragend ausgebildeten Wissenschaft stehen in irgendeiner Form im Dienst der Rüstungsindustrie.) Ich bin sicher, dass Sie mir diese These als steil und haltlos ankreiden werden, aber es ist sicher der Mühe wert, sie minutiös zu untersuchen. Wenn ich recht habe mit meiner These, dann ist Arbeitszeit verlorene Zeit, selbst wenn sich die Arbeitenden fidel und vergnügt damit arrangieren und allen Ehrgeiz daran setzen, schlechte Arbeit noch besser zu machen.

Quelle: www.denk-doch-mal.de

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