«Die Opposition ist eher komatös»Artistin

Franzobel im Gespräch über seinen neuen Roman Rechtswalzer

Wien 2024. Eine rechte Regierung, ein autoritätshöriges Land und ein Gefängnis, in dem Lynchjustiz herrscht. Franzobels neuer Roman ist eine Dystopie. Wie schnell sie

von der Realität eingeholt werden wird, hat Robert Fischer den Autor gefragt.

Foto: Nina Strasser

Obwohl Ihr neuer Krimi Rechtswalzer im Jahre 2024 angesiedelt ist, gibt es große Parallelen zu Österreich in der Gegenwart, Stichwort Sicherungshaft. Ihr Protagonist Malte Dinger landet wegen dem Minidelikt Fahren-ohne-Fahrkarte im Gefängnis und gerät dadurch in die Mühlen der Justiz, aus denen er nur sehr schwer herausfindet. Sind Sie selbst überrascht, wie aktuell Ihre Zukunftsvision auf einmal geworden ist?

Na ja, überrascht … Ich habe schon ein bisschen damit gerechnet, aber dass es in so einem rasanten Tempo geht, ist dann schon bestürzend, eigentlich. Mein Vorbild war der Zustand in der Türkei oder in Ungarn, wo man ja schon beobachten konnte, wie die Entwicklung passieren wird. Dass Österreich da mit großen Schritten folgt, ist schon traurig.

Könnte man das verkürzt auch als die Botschaft von Rechtwalzer bezeichnen, dass in der Politik Dinge, die in der Gegenwart als unvorstellbar und übertrieben gelten, kurze Zeit später zur Realität werden können?

Ja, leider. Ich hoffe nicht, dass es so schnell geht, aber es ist möglich. Was mich auch beschäftigt hat, ist diese Ohnmacht des Einzelnen beziehungsweise, dass man so wenig dagegen machen kann. Natürlich kann man sich auf sozialen Netzwerken dagegen äußern oder eine Demonstration veranstalten, aber richtig verhindern kann man es nicht. Wenn dann die Maßnahmen gegen die Opposition schärfer werden, so wie im Buch beschrieben, sind die Leute, wenn sie überleben wollen, sehr schnell mundtot gemacht. In einer aufgeklärten Demokratie, die wir ja doch teilweise hatten und die gut funktionierte, ist es schon erschreckend, wie rasant die Rückschritte passieren. Zurück in eine vordemokratische Zeit, muss man fast sagen.

Wie schätzen Sie den Widerstand der Zivilgesellschaft gegen die Regierung in Österreich ein? Tut sich da viel, Stichwort Donnerstagsdemonstrationen, oder herrscht eher Apathie vor?

Ich habe in bisschen das Gefühl – vielleicht wird es auch durch die Medien vermittelt –, dass sich die Opposition derzeit sehr komatös verhält. Das ist eine schwierige Situation. Im Jahr 2000, als die erste schwarz-blaue Regierung an die Macht gekommen ist, war da viel mehr Widerstand, viel mehr Gegenwehr! Momentan habe ich den Eindruck, die Leute sind eher so in der «inneren» Opposition. Es gibt sehr viele Leute, die mit der Situation nicht glücklich sind, aber gleichzeitig sind die großen Medien dazu übergegangen, eine Art Hofberichterstattung zu führen, und das beeinflusst natürlich den nicht allzu politischen Österreicher. Das liest man halt immer nur das Positive, was die Regierung gerade macht, und viele Leute, die jetzt geschichtlich nicht so bewandert sind, wissen nicht, was zum Beispiel «Schutzhaft» bedeutet. Oder die Aussage, dass sich das Recht nach der Politik zu richten hat, und diese ganzen anderen, eigentlich fürchterlichen Sachen, die da derzeit passieren.

Es wird immer mehr mit Halbwahrheiten und «Fake News» Politik gemacht …

Ich finde das bestürzend! Allerdings ist das in Österreich nicht ganz neu, das gab es schon immer, dass wir hier einen sehr laschen Umgang mit der Wahrheit pflegen. In Deutschland wäre das meiner Meinung nach unvorstellbar, dort wird wesentlich präziser agiert. Das ist sicher auch ein Zeichen dafür, wie frech man sich aktuell mit der Bevölkerung umzugehen traut.

Wohin wird die politische Entwicklung Ihrer Meinung nach gehen?

Die Kräfteverhältnisse werden sich sicher wieder einmal ändern. Aber ich glaube, das dauert jetzt schon noch eine Weile. Wie lange haben wir diese Regierung eigentlich schon? Mir kommt es vor wie eine Ewigkeit! Ich bin sehr davon überzeugt, dass die Regierung die nächsten Wahlen schadlos überstehen oder in puncto Mandate vielleicht sogar noch etwas zulegen wird. Es ist ein Glück, dass der Bundespräsident zumindest nicht aus dieser politischen Ecke kommt, aber eigentlich sehe ich da auf absehbare Zeit wenig Hoffnung auf Veränderung.

Rechtswalzer erzählt detailliert vom Gefängnisalltag des Hauptdarstellers in der Justizanstalt Josefstadt. Wie haben Sie dafür recherchiert?

Auf unterschiedliche Art: Einerseits war ich einmal persönlich dort. Der zuständige Beamte war irgendwie ganz glücklich, dass da mal jemand kommt und sich das anschaut. Er und seine Kollegen haben sich lange Zeit genommen, mir den Gefängnisalltag zu schildern und mir die einzelnen Abteilungen im Gefängnis genauer zu erklären. Ich habe eine Einzelzelle gesehen, auch eine «Absonderungszelle», die Medikamentenausgabe, die ganzen Schleusen, wo man durchgehen muss, oder die Höfe, wo die Insassen spazieren gehen. Ich habe auch schon ein paar Mal im Gefängnis gelesen, das hat mich immer sehr beeindruckt und berührt.

Dann habe ich mich noch öfter mit einem Bekannten getroffen, der schon in Untersuchungshaft war, und von ihm Infos bekommen. Zusätzlich habe ich noch viele Gefängnisbücher gelesen. Das war schon ein Thema, das mich sehr interessiert hat.


Sie schreiben: «Das Gefängnis ist ein bizarre Einrichtung, aber für manche Kreaturen gibt es keine Alternative». Wie ist das gemeint?

Na ja, das ist eine offene Frage. Es gibt schon sehr unsoziale Wesen, die in einer Gesellschaft schwer zu ertragen sind. Ich weiß auch nicht, wie man mit diesen Leuten am besten umgeht. Ich habe einmal einen TV-Bericht über ein alternatives Modell des Strafvollzugs in Norwegen gesehen. Soweit ich mich erinnere, werden da Gefangene auf eine Insel gebracht und leben dort ziemlich frei, können die Insel aber nicht verlassen. Ich finde, das ist eine interessante Idee. Die Mehrheit der Insassen im Gefängnis ist absolut gesellschaftsfähig und könnte gefahrlos auch draußen leben. Bei ein paar anderen bin ich mir nicht sicher, aber die gehören dann wahrscheinlich auf eine geschlossene Psychiatrie.

Vielleicht würde es sich für die Politik lohnen, wieder intensiver über Alternativen zum Gefängnis nachzudenken?

Auf jeden Fall! Die Frage ist, ob die Strafe an sich heutzutage überhaupt noch Ihren Zweck erfüllt. An das Prinzip der Abschreckung durch drastische Strafen glaube ich nicht. Also ist der Zweck vor allem der, den Opfern eine gewisse Rache zu gönnen. Ich denke, Prävention und Opferbetreuung wäre sinnvoller als Leute wegzusperren. Das Gefängnis ist ein überholtes Modell. Es gibt ja auch diese Liberalisierung mit der Fußfessel, was ich sinnvoll finde. Gesamt gesehen ist es halt leider trotzdem immer noch wichtig, dass es eine Abschreckung durch die Justiz gibt, damit nicht jeder gleich den Nachbarn erschlägt, wenn er zu laut Radio spielt!

Man hört selten, dass irgendwelche Politiker Gefängnisse besuchen, um die Situation dort zu verbessern.

Ja, das stimmt leider! Das Gefängnis ist eine schwarze Fläche in der Gesellschaft. Die landläufige Meinung in der Bevölkerung ist, dass die Insassen Ihre Strafe verdient haben, und für die soll auch kein Geld ausgegeben werden. Trotzdem ist es wichtig, dass diese Leute wieder re-integriert werden und dass man Ihnen eine Möglichkeit bieten muss, um zu arbeiten, sich fortzubilden etc. Es gibt ja durchaus auch Leute, die im Gefängnis ein Studium abschließen.

Franzobel: Rechtswalzer

Zsolnay 2019

413 Seiten, 19,60 Euro