Die Passion der Selbstvorwürfetun & lassen

Meine Kinder sind süchtig (1)

tun_Giftlerinnen1__FCB_Kobza_BerndFliesser_KerstinHeymach.jpgImmer wenn ich in der Unterführung am Karlsplatz auf dem Weg zum Naschmarkt bei den Streetworkern vorbeikomme, trifft mich der Anblick der Kinder, die sich dort um Spritzen oder Drogenersatzprogramme anstellen, mitten ins Herz. Meine beiden Kinder waren selbst einmal drogenabhängig. Sie haben es geschafft, wegzukommen. Ein mehrteiliger Bericht von Karin Mandel.



Illustration:FCB KOBZA,BERNDFLIESSER,KERSTINHEYMACH


Manchmal in meinen Träumen schrecke ich hoch und lausche. Hat nicht gerade das Telefon geläutet? Wird am Ende der Leitung der lallende Hilferuf meiner Tochter zu hören sein? Mama, hilf mir, hol mich ab Das ist vorbei, schon lange. Aber noch immer verfolgen mich die Angstträume von damals.

Damals das ist über 20 Jahre her. Mein Kind, pubertierend, hübsch und lustig, war immer voller Übermut und witziger Abenteuer. Ein fröhliches, schlagfertiges junges Mädchen, das den Polytechnischen Zweig besuchte und sich auf einen Beruf vorbereiten sollte. Allerdings waren schon damals die Lehrstellen knapp und Jugendliche, vor allem jene ohne österreichische Staatsbürgerschaft, fielen oftmals in perspektivlose Leere, wenn nach der Schule kein Ausbildungsplatz zu finden war. Als Legasthenikerin zwar nicht besonders hervorragend in den schulischen Leistungen, aber immer irgendwie durchkommend, war meine Tochter bis dahin kein besonderes Problemkind.

Meine andere, ältere Tochter war ruhiger, nachdenklicher, sie hatte gute Schulleistungen. Ihr schauten die Burschen hinterher, ihre langen, blonden Haare betörten so manchen. Sie war sehr eigenständig und zog mit knapp 18 Jahren zu ihrem Freund. Sie behauptete sich als Automechanikerlehrling in der Motorradclique ihrer Bekannten. Ein attraktives Mädchen, das die Aufmerksamkeit und Bewunderung genoss und, so meinte ich, ihren Weg schon machen wird.

Oder habe ich nicht genau hingesehen? War ich zu wenig misstrauisch? Zu sehr mit meinem Beruf und meinen Beziehungsproblemen beschäftigt? Hätte ich heimlich ihre Tagebücher lesen sollen, um auf Probleme aufmerksam zu werden? Immer wieder die gleichen Fragen, die gleichen Selbstvorwürfe, die gleichen endlosen inneren Monologe ohne wirkliche Antworten. Wo fing alles an? Wahrscheinlich war die Trennung von meinem damaligen Lebensgefährten eine Zäsur für meine Kinder. Die Kleine war 16, lebte bei mir, und ich glaubte, sie sei so weit erwachsen, eine familiäre Veränderung zu verkraften. Die Größere war ja schon selbständig unterwegs und wohnte nicht mehr in meiner Wohnung.

Dass oft Tabletten fehlten, beachtete ich nicht

Damals, nach der Trennung, und später im Zusammenleben mit einem neuen Lebenspartner wurde die Veränderung meiner jüngeren Tochter dann für mich zur bitteren Gewissheit. Zwar hatte ich schon zuvor öfter ein eigenartiges Gefühl, wenn ich kopfschüttelnd den Übermut der Kleinen und ihre zügellose Ausgelassenheit beobachtete. Aber auf Drogen, die so ein selbstsicheres Gefühl vermitteln, wäre ich nie gekommen. Oder wollte ich es nicht wahrhaben?

Einmal, das war noch lang vor der Trennung von meinem damaligen Lebensgefährten, habe ich im Zimmer der beiden Mädchen so ein komisches Zeug entdeckt, das sah aus wie getrocknete Blumen, ich dachte, sie würden für das Frühjahr Samen für den Balkon aufbewahren. Viel später, als wir über dieses Thema dann schon reden konnten, gestand mir die Große, das sei O-Tee gewesen, also Mohnkapseln, aus denen sie sich ein Gebräu zubereitet hatte. Das hatte sie von irgendwelchen Freunden erhalten, sagte sie mir, die hatten es in einer Blumenhandlung für Trockengestecke ergattert.

Doch schon damals hätte mir auffallen müssen, dass in unserem Medikamentenschrank öfter Tabletten fehlten. Oder der Hustensaft eigenartigerweise leer war, wenn man ihn bei einer Erkältung brauchte. Da mein damaliger Lebensgefährte aber sehr rasch einmal zu Kopfwehtabletten oder anderen Medikamenten griff, dachte ich mir nichts dabei.

Schon damals hätte ich genauer nachfragen sollen, bei den nächtlichen Unternehmungen meiner älteren Tochter, bei welchen wir immer im Streit lagen, um welche Uhrzeit sie zu Hause sein muss zehn, elf, zwölf Uhr nachts? Oft wurde es später wirklich nur das Ziel Jugendzentrum gehabt hatten, wie sie mir versicherte. Auch hätte ich misstrauisch werden sollen bei ihren Erzählungen, dass sie an den Wochenenden ihre Freundinnen und Freunde in der Camera treffe. Ein Lokal, in welchem Jugendliche sich versammelten. Erst viel später habe ich gehört, dass dort ein einschlägiger Umschlagplatz für Drogen gewesen sein soll.

Das Entdecken der Drogensucht und das Wahrhabenwollen waren fließende Übergänge und lagen im Wechselstreit. Schließlich, als ich nach der Trennung aus einer 12-jährigen Beziehung mit meiner jüngeren Tochter in eine neue Wohnung zog, musste ich mir eingestehen, dass mein Kind sich ständig zumacht. Ich hatte keine Ahnung, womit. Aber es war offensichtlich, dass sie sich mit irgendetwas zudröhnte. Für mich fing die schlimmste Zeit meines Lebens an, begleitet von tiefen Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen, meinem Kind den sicheren Rahmen eines familiären Zusammenlebens genommen zu haben.

Väter ziehen sich aus der Affäre

Ich denke, diese Art Selbstbeschuldigungen kennen nur Mütter. Väter oder Lebensgefährten ziehen sich meist ziemlich schnell aus der Affäre die Verantwortung wird der Mutter zugeschrieben. Sie habe mehr Nähe zum Kind, eine größere Sensibilität, ihr müssten Veränderungen eher auffallen, heißt es. Und schließlich betreuen nach Trennungen meist Mütter ihre Kinder weiter, also kommt ihnen auch die größere Kontinuität in der Verantwortung zu. Das ist noch immer gesellschaftspolitisches Grundverständnis, trotz Einforderung von Väterverantwortung.

In der neuen Wohnung hatte meine Tochter ein eigenes großes Zimmer, das ich ihr so nett wie möglich einrichtete. Die Große lebte ja bei ihrem Freund, sie ist gegen meinen Willen im Zuge der Trennung von meinem damaligen Lebensgefährten dort hingezogen, aber ich hatte Kontakt zu ihr. Die Kleine war immer unterwegs. Und ich lebte in ständiger in Angst, wo sie ist. Mein Freund, der später mein Ehemann wurde und der nach der Trennung von seiner Lebensgefährtin meist bei mir war, obwohl jeder von uns eine eigene Wohnung hatte, half mir in vielen Gesprächen und Taten, klaren Kopf zu bewahren. Es war aber offensichtlich, dass meine Tochter auf irgendeine Art eifersüchtig war. Hinzu kam, dass ihr Bemühen, die 12-jährige Beziehung zu ihrem Ersatzvater, von dem sie nun getrennt war, aufrecht zu erhalten, enttäuscht wurde. Der hatte nach der Trennung absolut kein Interesse an dem Kind, das er zwar von seinem fünften Lebensjahr an begleitete, das aber nicht sein leibliches war.

Mag sein, dass mein neuer Freund und ich, frisch verliebt, zu sehr mit uns selbst beschäftigt waren, aber nachträglich glaube ich nicht, dass dies der Grund für die Drogensucht meiner Töchter war, sie wurde allenfalls verstärkt durch die neue Beziehungskonstellation. Dennoch schwebte der gesellschaftliche Vorwurf wie ein Damoklesschwert über meinem mütterlichen Haupt, mein Kind durch meinen Beziehungswechsel und die Auflösung der bürgerlichen Kleinfamilie in die Drogensucht getrieben zu haben. Dieses Gefühl ist für mich ständiger Lebensbegleiter. Wenngleich es mein Verstand besser weiß.

Die Gründe für Suchtverhalten sind so vielfältig wie die Süchte selbst. Egal aus welchen gesellschaftlichen Kreisen, egal, ob aus geschiedenen oder kleinbürgerlichen, aus reichen oder armen, aus intakten oder zerrütteten Elternhäusern Suchtprobleme kommen überall vor. Allenfalls unterscheidet sich die Art der Sucht. Am häufigsten, aber am meisten bagatellisiert und in einem Weinland gesellschaftlich akzeptiert, ist Alkoholsucht. Denn diese Droge ist leicht legal erhältlich, auch wenn Warnschilder in Gasthäusern den Ausschank an Jugendliche verbieten.

Die Unfallstatistik von jugendlichen Alkolenkern ist zwar erschreckend, dennoch erschauert die Öffentlichkeit am meisten vor Hasch-, Koks- oder irgendwelchen Designerdrogenexzessen. Ganz zu schweigen von all den vielen Süchten, die als solche gar nicht als gesellschaftliches Problem wahrgenommen werden: Spiel-, Wett-, Einkaufs-, Computer-, Fress-, Arbeits-, Mager-, Sex-, Hunger-, Fett-, Nikotin-, Extremsport-, Medikamenten- oder Beziehungssüchte sind akzeptiert, solange sie nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Hingegen sind KonsumentInnen von verbotenen Drogen mit einem Bein immer im Kriminal.

Vielleicht ist aber genau das der besondere Reiz, dem viele unsere Kinder erliegen das Risiko, etwas Verbotenes zu tun?