Die Planierraupe und das Abenteuertun & lassen

Immo Aktuell

Mit dem Ende der Steinergasse 8 nimmt die Versiegelung des freien kulturellen Bodens in Wien seinen Lauf. Ein Nachruf.

Text: Teo Klug

Nach zehn Jahren Zwischennutzung musste die kollektive Gemeinschaft aus der Steinergasse 8 raus. Das Objekt wird abgerissen, die neue Eigentümerin will es so. Proberäume, Ateliers, alternative Kleinunternehmen brauchen jetzt neue Räumlichkeiten. Mit dem Ende des Veranstaltungsortes unweit vom hippen Yppenplatz, an dem regelmäßig Konzerte, Flohmärkte und Kulturevents stattfanden, verliert Wien einen weiteren Ort, an dem sich eine alternative Szene aufbauen und ausleben konnte.
Ermöglicht wurde die alternative Zwischennutzung über die Untervermietung einer Gewerbefläche, die einst zur Produktion von Hochquellleitungen genutzt wurde. Ein kleiner Teil der Räumlichkeiten wurde vom Hauptmieter für eine Biofischzucht gebraucht, der größere Teil von den Kulturarbeiter_innen genutzt. Nun entschied sich der 80-jährige Eigentümer, den Grund an die gemeinnützige Baugesellschaft Familienwohnbau zu verkaufen. Dieser private Bauträger wird Ende 2021 beginnen, hier einen Wohnkomplex mit freifinanzierten Mietwohnungen zu errichten.
«Nach dem Ende von Mo.ë & Ragnarhof ist die Steinergasse 8 im 17. Wiener Gemeindebezirk für die freie experimentelle Szene in dieser dezentralen Umgebung der letzte in dieser Größe verbliebene, niederschwellige Off-Space-Projekt-Raum», ist in der Onlinepetition des Vereins Fortschritt 242 zu lesen, der hinter der Organisation der Kulturevents der Halle steht. Die Petition brachte etwas mehr als 1.600 Unterstützungserklärungen ein, beim Durch­scrollen der solidarischen Kommentare darunter wird schnell klar: Die meisten sind sich einig, es braucht Orte wie diesen in Wien.

Wien dreht ab.

Dass die Schließung mit dem in Millionenhöhe budgetierten Sommerkulturangebot Wiens Wien dreht auf! zusammenfällt, ist ein kalendarischer Zufall, der aber recht aufschlussreich ist, um zu verstehen, was die Stadt unter Kultur versteht. Die Wiener Stadtregierung will die Kontrolle darüber halten, was in der Stadt passiert. Sie diktiert nicht nur, was als Kunst und Kultur gilt, sondern auch, welche Orte und welche Bedeutung dieser Kunst und Kultur zuteil werden. Das kulturelle Angebot von Wien dreht auf! ist durchaus beachtlich, unter anderem waren das Theaterstück In Grund und Boden von Robert Sommer oder die Rapperin RawCat und Miss BunPun vom Label Beatzarilla zu bestaunen. Doch auch das kritische Kulturangebot kann hier nur nach penibel genau vorgegebenen Regeln und Verordnungen konsumiert werden. Das hat nicht in erster Linie mit der Covid-19-Pandemie zu tun. Kultur wird zu einer reinen Entertainment-Industrie. Die Grenzen sind klar: Zuschauende auf der einen Seite – Performende auf der anderen, und hinten ist die Bar, die für den Umsatz sorgt. Danach gehen alle beseelt nach Hause. Es gibt keinen Platz für Verschmelzungen und Hybridisierungen. Kein Raum, wo Neues erfahren werden kann.

Echte Begegnungszonen.

Doch braucht eine Stadt gerade Räume der Begegnung, bei denen nicht von vornherein klar ist, wie die Dinge ablaufen werden. Viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Ideen vom guten Leben kommen in einer Stadt auf engstem Raum zusammen. Diese Aushandlungsprozesse brauchen Orte wie die Steinergasse 8. Orte, an denen Alternativen geboren werden können, konspirative Orte, die sich den übermächtigen neoliberalen Politiken entgegenstellen, Räume, wo sich ausgetauscht werden kann, was gegen Mieterhöhung zu tun ist, oder Nischen, in denen für ein paar Stunden der Alltag vergessen werden kann.
Für die Steinergasse 8 ist der Schaden bereits entstanden. Mit einem Fingerschnipsen wurden hier über Jahre aufgebaute Verbindungen zerstört. Dass es genau diese Ecke an der Ottakringer Straße nahe dem Yppenplatz trifft, ist kein Zufall, mausert sich das migrantisch geprägte Grätzel doch seit einiger Zeit schon zu einer begehrten Wohngegend, und das sicher nicht zuletzt, weil dort über Jahrzehnte ein reichhaltiges kulturelles Angebot aufgebaut wurde. Es mutet zynisch an, dass genau diese Orte, die die Gegend kulturell aufwerten, irgendwann ihre Zeit gefristet haben und durch profitablere Objekte ersetzt werden.
Dabei wurde ja um gar nicht viel gefragt: nur dieses kleine Objekt dort in diesem unscheinbaren Hinterhof, dieser kleinen Seitenstraße einfach stehen zu lassen. Dieser politische Unwille im Kleinen steht eben auch für die Politik im Großen: Planierraupe über Abenteuer, Beton über Risse, Versiegelungen statt Aufbruch.