Die Praterstern-Sheriffstun & lassen

Polizeiliches Fehlverhalten: Beschwerdesystem funktioniert nicht

Verschwindende Parkbänke, Ausweiskontrollen und starke Polizeipräsenz: der Praterstern im Zweiten Wiener Gemeindebezirk ist das aktuelle Versuchsfeld für repressive Sicherheits- und Stadtpolitik. Was das für die Nutzer_innen des Pratersterns bedeutet, bleibt meist ungehört.

Foto: Niko Havranek

Im Bild: Die Schriftstellerin Eva Schörkhuber

«Gerade gehen drei Polizisten an uns vorbei, um eine Gruppe, die im Gras sitzt und Bier trinkt, zu kontrollieren. In letzter Zeit gibt es am Praterstern viele Autos, viel Präsenz und mittlerweile auch einen Überwachungskamerawagen der Polizei», schildert Eva Schörkhuber beim Augustin-Interview am Praterstern. Die 34-Jährige lebt seit sieben Jahren im Stuwerviertel und überquert den Praterstern täglich zu jeder Tag- und Nachtzeit – oft auch alleine. «Ich fürchtete mich noch nie. Mir vermitteln eher die Polizist_innen ein Gefühl von Unsicherheit durch ihre martialische Art, Stärke und Präsenz zu zeigen, durch breitbeiniges Gehen und häufige Ausweiskontrollen», so Schörkhuber. Obwohl sie selbst noch nie kontrolliert wurde und sie von zwei medial kommunizierten, sexuellen Übergriffe weiß, findet sie die Polizeipräsenz am Praterstern nicht angemessen: «Sexuelle Übergriffe muss man ernst nehmen. Für die Polizei sind sie aber willkommene Anlässe, um etwas fortzuführen, das vor den Übergriffen schon begann, nämlich die Verdrängung von Personengruppen, die im Stadtbild nicht willkommen sind.» Schörkhuber würde sich entgegen der aktuellen stadtplanerischen Politik am Praterstern statt weniger, mehr Bänke wünschen. «So ein Platz wie der Praterstern ist schön, weil viele verschiedene Menschen unterwegs sind. Ich möchte mich hier eigentlich öfters aufhalten», so Schörkhuber.

Als einer der Hauptknotenpunkte des öffentlichen Verkehrs ist der Praterstern einer der meistfrequentierten Plätze Wiens. Markus Bettesch ist Leiter von sam 2, einer Einrichtung der Suchthilfe Wien gemeinnützige G.m.b.H, und kennt die Situation. An ihren roten Jacken erkennbar, leisten er und neun weitere Mitarbeiter_innen täglich mobile soziale Arbeit am Praterstern, bei der Venediger Au und der Kaiserwiese. «Am Praterstern verkehren pro Tag zweihunderttausend Menschen. Je diverser die Nutzer_innen sind, desto höher ist das Konfliktpotenzial», so Bettesch. Das Ziel des sam-2-Teams ist es, die soziale Verträglichkeit unter den Gruppen zu steigern, indem es Beschwerden entgegennimmt und zu vermitteln versucht. Vieles ließe sich ohne Polizei lösen, bei Gewalt endet jedoch der Zuständigkeitsbereich von sam 2. «Die Zusammenarbeit mit Revierpolizist_innen ist eng und wichtig. Schwierig ist es mit tageweise eingesetzten Polizist_innen, zum Beispiel im Rahmen von Schwerpunkteinsätzen. Sie kennen die Klient_innen nicht und können deswegen Situationen schwerer einschätzen. Beziehungsarbeit erleichtert aber auch die Polizeiarbeit», so Bettesch. Eine Herausforderung stellen zurzeit nicht so sehr drogenkranke Klient_innen, die eher wenig am Praterstern sind, dar, sondern geflüchtete Jugendliche und junge Erwachsene. Das größte Problem für die Mitarbeiter_innen sei, dass sie ihnen wenig bieten können. «Wir vermitteln Obdachlosen Schlafsäcke bzw. Notschlafplätze, medizinische Versorgung und Essen. Geflüchtete suchen aber vor allem Ausbildungsplätze, Wohnungen und Arbeit. Solche Bedürfnisse können wir als sam-2-Team nicht erfüllen», erläutert Bettesch.

Aufdeckungsrausch

Mit der Änderung des Suchtmittelgesetzes kam auch die erhöhte Polizeipräsenz und der Überwachungskamerawagen am Praterstern. Beides wird vor allem gegen Marihuana-Dealer_innen auf der Straße eingesetzt. «Aus einer Perspektivenlosigkeit heraus dealten junge Geflüchtete relativ ungeniert und offen mit Gras. Die Polizei hatte dagegen aber keine wirksamen Maßnahmen, ein Zustand, der sich mit Änderung des Suchtmittelgesetzes veränderte», so Bettesch. Der letzte Suchtmittelbericht des Bundeskriminalamts von 2014 zeigt, dass 74 Prozent der wegen Suchtmittelerhebungen Festgenommenen in Österreich keine österreichischen Staatsbürger_innen sind. Fast die Hälfte der angezeigten Personen ist arbeitslos; 86 Prozent sind Männer. 2014 konfiszierte die Wiener Polizei knapp 570 Kilogramm Marihuana, diese ist damit die meistsichergestellte Droge Wiens. Im Augustin-Interview antwortet der Pressesprecher der Landespolizeidirektion Wien Roman Hahslinger auf die Frage, ob die Polizei, um Suchtmitteldelikte aufzuklären, am Praterstern Racial Profiling (Herausgreifen von Menschen, die «fremd« aussehen) anwenden würde: «Kontrolliert wird jeder. Ob eine Person jetzt weiß, schwarz, gelb, rot, braun ist – das ist wurscht. Die Personenkontrolle richtet sich ja nicht nach der Hautfarbe, sondern danach, wo Straftäter zu finden sind.»

Der 23-jährige Ghausoddin Aurang flüchtete als Jugendlicher von Afghanistan nach Österreich. Seit einigen Jahren wohnt und arbeitet er in der Nähe des Pratersterns. Wie Schörkhuber ist auch Aurang fast täglich am Praterstern, um nach Hause zu gehen oder sich mit Freund_innen beim McDonald’s oder Quick Wu zu treffen. «Wenn meine Freunde – viele sind Asylwerber aus Syrien und Afghanistan – am Praterstern auf mich warten, kontrolliert die Polizei oft ihre Ausweise und durchsucht ihre Taschen nach Drogen. Ich selbst musste zwei oder drei Mal meinen Personalausweis herzeigen», so Aurang. Er selbst fühle sich am Praterstern sicher, da ihm bis jetzt weder etwas gestohlen wurde, noch ihn jemand angegriffen habe. Aurang mache vor allem die Anzahl der Polizist_innen vor Ort nervös. «Polizei ist für die Sicherheit da, aber wenn statt zwei oder drei Polizist_innen zwei oder drei Polizeiautos am Praterstern sind, dann bekomme ich Angst. Ich will nicht mehr ins Fluc gehen, wenn davor ständig ein Polizeiauto steht», erzählt Aurang. Er und seine Freund_innen machten bereits schlechte Erfahrungen im Kontakt mit der Polizei. «Viele Polizist_innen sind nett, aber es gibt Polizist_innen, die dich respektlos behandeln. Bei einer Ausweiskontrolle vor zwei Jahren wurde ich von einem Polizisten ständig mit ‹Du› angeredet», schildert Aurang.

Claudia Schäfer, Pressesprecherin des Vereins ZARA für Zivilcourage und Antirassismus-Arbeit, kennt solche Fälle gut. Seit der Gründung von ZARA vor sechzehn Jahren würden regelmäßig Fälle gemeldet werden, bei denen Personen den Eindruck haben, nur aufgrund von «nicht-österreichischem» Aussehen kontrolliert zu werden. Die aktuelle Novelle des Suchtmittelgesetzes lässt, laut Schäfer, weiterhin Fragen bezüglich der Auswahl der «Verdächtigen» offen. «Racial Profiling wird nur wenig von der genauen Formulierung des Suchtmittelgesetzes beeinflusst. Vielmehr geht es bei Racial Profiling um die praktische Umsetzung des Gesetzes durch Polizeibeamt_innen. Auf welcher Grundlage die Polizei Menschen auswählt, die sie hinsichtlich möglicher Suchtmitteldelikte kontrolliert, ist nicht gesetzlich festgelegt – auch nicht in der Novelle», erklärt Schäfer. Dass das Machtverhältnis zwischen Polizei und Betroffenen ungleich verteilt ist, zeigt sich anhand der wenigen Meldungen ungerechter und rassistischer polizeilicher Amtshandlungen. «Viele haben das Gefühl, dass eine Beschwerde keinen Sinn hat und sie keine Chance haben, Recht zu bekommen. Das nicht optimal funktionierende ‹Beschwerdesystem› im Zusammenhang mit polizeilichem Fehlverhalten ist die größte Hürde beim Beanstanden von Polizeiverhalten», so Schäfer. Wenn eine unangemessene Amtshandlung beobachtet wird, mache es laut Schäfer selten Sinn, sich in diese einzumischen. «Nur die betroffene Person hat das Recht, die Dienstnummer der Beamt_innen zu verlangen. Im Falle von rassistischen Vorfällen mit der Polizei ist es am sinnvollsten, sich im Nachhinein über das Verhalten zu beschweren. Deshalb sind Zeug_innen von enormer Wichtigkeit, da sie sich der_dem Betroffene_n anbieten und eventuell auf das Beratungs- und Unterstützungsangebot von Organisationen wie ZARA hinweisen können», schließt Schäfer.

Fehlende Beziehungsarbeit zu den Menschen am Praterstern, offensives Auftreten in der Öffentlichkeit, ungerechte Behandlung von geflüchteten Nutzer_innen des Pratersterns und ein Beschwerdesystem, das häufig nicht Betroffene, sondern Polizist_innen stärkt: Der Druck, den die Polizei am Praterstern zunehmend aufbaut, schärft die Frage, wen die Polizei eigentlich mit ihrer Forcierung schützen will – und wen nicht. Für die Nutzer_innen des Pratersterns können immer mehr Polizist_innen keine Lösung für soziale Probleme sein, denn wie Bettesch sagt: «So viel Polizei will niemand, dass es keine Konflikte mehr gibt.“