Die rigorose Privatheit der FritzArtistin

Führung durch eine Bibliothek, deren Sprache du nicht verstehst

M.Fritz.jpgSie verweigerte sich in radikaler Weise der Öffentlichkeit, gab keine Interviews, ließ sich nicht fotografieren, ihre letzten Lesungen absolvierte sie Ende der 70er Jahre: Marianne Fritz ist, auch zwei Jahre nach ihrem Tod, die große Außenseiterin des österreichischen Literaturbetriebs. Ihre Hinterhofwohnung im siebenten Bezirk ist geblieben, was sie war: ein einziges für Außenseiter enigmatisches Archivsystem. Die Autorin des folgenden Beitrags teilt die Jelineksche Ehrfurcht vor Marianne Fritz: Es ist ein singuläres Werk. Der im März für eine interessierte Gruppe erstmalig geöffnete Arbeitsraum der Fritz ist Teil dieses singulären Werks.

Wer gegen totalitäre Ansätze, Rutschbahnen, wer gegen diktatorische Vollkommenheitsgebote, wer gegen Effizienzgott anbetende Apostel allergisch ist, ich bin das zweifellos, wird zwangsläufig so nebenbei vollkommen vergessen, was ich nicht vergessen sollte. Ökonomische Zwänge haben mit Bücherverbrennungen etwas gemein: Eingriff in die Wirkungsgeschichte von Menschen, die scheinbar mit Kunst nichts, aber auch gar nichts gemein haben müssen. Eingriff katastrophaler Natur. Als Künstlerin fühle ich mich also dem Überflüssigen verpflichtet. Dem Ausrottbaren. Dem Vernichtbaren. Dem Wesen, dem alles geschehen kann, wenn es nicht zeitgemäß funktioniert. Auf dieser Rutschbahn sind wir, ausnahmslos alle, schon längst unterwegs. Dass unsere Regierung davon nichts bemerkt, nun ja.

Die Schriftstellerin Marianne Fritz, geboren 1948 in der Steiermark, gestorben 2007 in Wien, war keine, die sich Konventionen unterordnete. In ihrem an das Bundeskanzleramt gerichteten Bewerbungsschreiben für das Robert-Musil-Stipendium 2005, dem die oben zitierten Sätze entnommen sind, hält sie sich mit herber Kritik an der hiesigen Kulturpolitik nicht zurück. Marianne Fritz wollte eines ganz besonders nicht. Sich den Regeln des Kulturbetriebs fügen. Allein ihr Werk sollte für sie sprechen ohne Ablenkung durch ihre Person oder durch Interpretationshilfen von ihr. Marianne Fritz serviert keine gefälligen Happen für einen literarischen Schnellimbiss.

Auch ihre Literatur verweigert sich dem schnellen Zugriff, sondern verlangt ein radikales Sich-Einlassen, sowohl von der Sprache als auch vom Umfang her. Bereits ihr erster 1978 veröffentlichter Text, die Erzählung „Schwerkraft der Verhältnisse“ wurde mit dem Robert-Walser-Preis ausgezeichnet und steht am Anfang des fast 10.000 Seiten umfassenden Zyklus Die Festung. Nach ihrem zweiten Roman Das Kind der Gewalt und die Sterne der Romani (1980) entstand in nur vier Jahren der 1985 veröffentlichte 3400-Seiten-Roman Dessen Sprache du nicht verstehst. Die Texte, die die Gewalt und soziale Ungerechtigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse thematisieren, entwickelten sich in fortschreitendem Maße zu Textgeländen, wo Fritz die diversen Textstränge mit vielfältigen grafischen Elementen verflicht, mit Orientierungssystemen, Plänen, Zeichnungen. Bis zu ihrem Tod arbeitet sie an dem dreiteilig angelegten viele tausend Seiten umfassenden Roman Naturgemäß. Der dritte Teil, ein Manuskript von 700 Seiten, blieb unvollendet.

Marianne Fritz lebte sehr zurückgezogen im 7. Wiener Gemeindebezirk. Dank des großzügigen Entgegenkommens von Fritz Lebensgefährten Otto Dünser wurde die rigorose Privatheit ihrer Wohnung für kurze Zeit aufgehoben und im Rahmen des März-Literaturschwerpunkts des Aktionsradius Wien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die im ruhigen Hinterhof gelegene Wohnung in der Schottenfeldgasse war nicht primär dem Wohnen zugedacht, sondern war in all ihren Facetten ein Arbeitsraum Archiv, Bibliothek, Ort der Sprache. Bücherkästen, Archivsysteme, Regale bis unter die Decke, die in einer wohldurchdachten, sehr subjektiven Ordnung die Überfülle des Materials für ihr literarisches Schaffen beherbergen.

Allein die spartanische Küche blieb ausgespart. Hier wohnte eine manisch Schreibende, die der literarischen Produktion ihr Leben zugeeignet hat. Sechzehn-Stunden-Arbeitstage waren keine Seltenheit, wochentags wie an Wochenenden. Als einmal kein Papier mehr zur Hand war, schrieb sie auf der weißen Tischplatte ihres Arbeitstisches weiter. In ihrem eingangs zitierten Stipendiumsansuchen, das Otto Dünser den HerausgeberInnen der Literaturzeitschrift 101 zur Veröffentlichung überließ, schreibt sie über sich: Ich bin, das lässt sich kaum vermeiden, sogar innerhalb der eigenen literarischen Kreise eine extreme Außenseiterin: Obendrein gezwungen, einer inneren Uhr jene Treue zu bewahren, die ich keiner Kollegin und keinem Kollegen empfehlen könnte als Zumutung, die man sich antun soll. Allerdings ich entkomme ihr nicht.

Otto Dünser öffnet Ordner mit verschiedenen Entwurfversionen von Texten, mit vielfärbigen Textbauplänen, Karteikästen mit ausgetüftelten Ordnungssystemen, Schachteln mit Textfahnen, Plankästen. Er ermöglicht Einblicke in ihre Arbeitsweise, die dieses monumentale Werk noch einmal in einem anderen Licht erscheinen lassen. Akribisch wurde alles für die Zeit und den geografischen Raum verfügbare Material in Archiven und Bibliotheken aufgestöbert, wurden endlose Reihen von Akten durchgearbeitet, Zigtausende Fotos in Fotoarchiven durchgesehen, Pläne verglichen und gezeichnet, Flussverläufe und Landschaftstypen studiert. Alles Material musste gesehen, gelesen und erfasst werden, um ein möglichst plastisches Bild der Verhältnisse der Zeit entstehen zu lassen und um es dann, wie Otto Dünser sagt, wieder zu vergessen. Oft erst ein bis zwei Jahre später verarbeitete Fritz dieses Wissen und die Erinnerungen daran literarisch.

Die Außenseiterin des Literaturbetriebs Marianne Fritz ist bislang, obwohl mit vielen renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet, eine Literatin für Insider. Jenen, die sich aufmachen, das literarische Universum der Marianne Fritz zu erkunden, sei als Anreiz Elfriede Jelineks Urteil mit auf den Weg gegeben: Es ist ein singuläres Werk, vor dem man nur stehen kann wie ein gläubiger Muslim vor der Kaaba.

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