Die Rise-up-Küchevorstadt

Am Bacherplatz soll ein Lokal «Anschlussmöglichkeiten zum Alltäglichen» bieten

Die Menükarte der Migrating Kitchen offeriert eine ziemlich schräge Auswahl an Speisen. Christof Mackinger (Text) und Mario Lang (Fotos) schauten noch genauer als das Marktamt hin.

«Wir bieten syrisch, karibisch, österreichisch. Und Jugo, hin und wieder. Was Veganes gibt’s auch immer», erzählt Alex Nikolić, während er seinen Wischmob über den Boden bugsiert. «Das gibt’s bei uns alles im Catering.» Noch ist die Gaststube der Migrating Kitchen etwas leer. Von außen ist fast nicht zu erkennen, dass man hier drinnen sogar mehr als willkommen sein wird. Direkt am Bacherplatz, an der Ecke Schwarzhorngasse, im fünften Bezirk, befindet sich die Migrating Kitchen. Dem äußeren Erscheinungsbild nach eines der vielen verrauchten Beisln, wie es sie in den Arbeiter_innenbezirken Wiens so zahlreich gibt. Über dem Eingang prangt noch immer das verdreckte Schild der Bier-Ausschank, die es mal war: Castle Pub. «Essen und Trinken war immer wieder Teil unserer solidarischen Praxis. Wir waren immer in dem Bereich tätig, wo es gute Anschlussmöglichkeiten zum Alltäglichen gibt.» Und diese solidarische Praxis kann sich durchaus sehen lassen: Vom karibischen Gemüseeintopf mit dunkler Schokolade und Trinidad-Style-Polenta über Knödel mit Ei und Salat, Fish & Chips mit Trüffelmayonnaise bis hin zum Schweinsbraten mit Semmelknödel und Krautsalat reicht das überaus diverse Angebot des neuen Lokals.

Raus aus dem Ghetto.

Betrieben wird die Migrating Kitchen vom Wiener Kulturverein BOEM. Alex Nikolić, einer der Mitbegründer und Ideengeber des Vereins, hat mittlerweile die Putz­utensilien beiseite gestellt und zündet sich eine Zigarette an. Nikolić und seine Kolleg_innen betrieben in der Vergangenheit in Ottakring ein Gastarbeiter_innen-Caféhaus. «Wir wollten raus aus dem akademischen und künstlerischen Ghetto und uns die Hände schmutzig machen. Bei solchen alltäglichen Begegnungen kann man unheimlich viel erreichen und lernen», beschreibt Nikolić seine Aktivitäten der letzten Jahre.

«Die Leute kommen mit rassistischen Obskuritäten daher. Es heißt dann: ‹Da meine ich nicht dich.› Aber sie wissen nicht mal, wen sie damit meinen.» Die rassistischen Vorurteile der Menschen stehen meist im Widerspruch zu ihrer eigenen täglichen Praxis. Genau darauf zielt die Arbeit des Kulturvereins ab: Menschen zu ermöglichen, im Alltag neue Erfahrungen zu machen, andere Erkenntnisse zu liefern als die von den gratis Revolverblättern kolportierten. Das war auch der Versuch mit dem Gastarbeiter_innen-Café BOEM. Aber nach zwei Jahren hat das Café Nikolić und seine Kolleg_innen an ihre Grenzen gebracht. «Das saugt dich rein, so ein Betrieb! Die Kaffeehäuser in Wien krachen alle. In der Regel sind solche Cafés meistens Camouflage für einen Baubetrieb und rennen irgendwie als Mensa. Da wir keine Baufirma haben, funktionierte das nicht», schmunzelt der Gastronom.

Per Publikumsvoting auf den Bacherplatz. Die Migrating Kitchen ist also irgendwie ein Nachfolgeprojekt des Gastarbeiter_innen-Cafés. Hier, mitten im fünften Bezirk, soll ein Raum entstehen, wo man essen, trinken und plaudern kann. Ganz sind die Renovierungsarbeiten noch nicht abgeschlossen, noch wird Personal rekrutiert. Das Lokal lässt aber vermuten, dass hier ein gemütliches Beisl entstehen könnte. Vorerst wird nur Catering angeboten und für geschlossene Gesellschaften vor Ort aufgekocht. Ein «Tagesgeschäft» soll noch aufgebaut werden.

Gestartet wurde das Projekt mit einer Kulturförderung, die bei einer Charitygala verlost wurde. Aus drei Anwärterprojekten wurde die Migrating Kitchen per Publikumsvoting ausgewählt. Damit bekam die Initiative 20.000 Euro zugesprochen, was als Symbol zwar nicht schlecht, als Startkapital aber keineswegs ausreichend ist. Von daher ist das Gründungszenario der Migrating Kitchen sicher nicht das eines normalen Betriebs. «Wir sind nicht Start-up, wir sind Rise-up (englisch für «Aufstand»)! Und trotzdem ist man immer ein bissl Start-up, weil wir als Betrieb ökonomisch funktionieren müssen.» Alex Nikolić zieht an seiner Zigarette und blickt durchs Fenster, raus auf den Bacherpark. «Unser Betrieb soll Menschen mit Fluchterfahrung und Arbeitsmigrant_innen die Möglichkeit geben, ein dezentes Einkommen zu erwirtschaften, um sich damit ein unabhängiges Leben in Würde aufzubauen.»

Genossenschaft als Zukunftsmusik.

Chefkoch Reuel Thomas sorgt für den kulinarischen Genuss. Gekonnt jongliert er in der Küche zwischen mehreren dampfenden Töpfen, hackt Koriander und wärmt gleichzeitig Maissuppe auf. «Wir haben schon oft fürs Rathaus Catering gemacht, erst vor kurzem wieder für die SPÖ», erzählt Alex Nikolić nicht ganz ohne Stolz und reicht dem Koch weitere Behälter. Derzeit beschäftigt die Migrating Kitchen vier Leute, auf lange Sicht soll das ausgebaut werden. Darüber hinaus gibt es die Idee, den Betrieb in eine Genossenschaft, also in kollektiven Besitz zu überführen – «damit es niemand privatisieren kann,» so Nikolić.

Doch das ist noch Zukunftsmusik. Davor muss das Business erst mal ordentlich angelaufen sein und müssen sich Nikolić und seine Kollegen ordentlich die Hände schmutzig gemacht haben. Beim Zubereiten des Caterings wird sich das wohl kaum vermeiden lassen. Jetzt fehlen nur noch die Kund_innen. Doch auch das wird sich ergeben, immerhin ist ja die Augustin-Zentrale direkt ums Eck.

 

Tel.: 0660 455 10 16

migrating-kitchen.com

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