Die Salami meiner KindheitDichter Innenteil

«Weißkäppchen» am Etikett der Salami meiner Kindheit Foto: Nives Kramberger

«Barčica po morju plava, drevesa se priklanjajo, oh le naprej, oh le naprej, dokler je še vetra kej!»

(Das kleine Schiff schwimmt auf dem Meer, die Bäume verneigen sich, oh weiter, weiter, solange es noch Wind gibt.)

Dieses Lied hat meine kleine Mama Neva mir immer vorgesungen, wenn wir mit dem Auto in den Jug fuhren, meist Richtung Rijeka. Sobald die unglaublich blaue Adria mit den kleinen, friedlich auf ihr dahingleitenden Segelbooten in Sicht kam, begann sie zu singen.

Und ich war schrecklich aufgeregt, bis ich sie endlich sah: meine geliebte, geliebte Adria. Jedes Mal musste ich weinen, sobald ich zum ersten Mal das Meer unterhalb der Berge am Horizont erblickte, voll der kleinen Segelboote. Ein Heimatgefühl, das ich lange vehement unterdrückte. Seit sechzehn Jahren nähere ich mich einmal jährlich der Heimat meiner Eltern, meinem Geburtsland, wieder an.

 

Einmal im Jahr erhielt mein Vater aus der fernen Heimat ein großes Paket. Das war in den 70ern. Telefonate waren damals teuer, es gab weder Internet noch Computer oder Handys. Seine damalige Aufregung entsprach meiner, sobald ich das Meer sah.

In dem großen Paket waren luftgetrocknete Salami und Speck aus der Heimat. Damals war mir seine Freude fremd, mit der er die harte Speckschwarte eines Almschweines mit Zwiebeln und Brot auf einem Brett aufschnitt und an einer knochentrockenen Salami sägte.

 

In der Konsumplastikwelt des Tri Top Sirups meiner 70er wirkten diese, aus heutiger Sicht natürlich aussehenden Würste widerlich. Heutzutage in der rasierten Welt der EU-Produkte, mit Körbchengrößen für Obst und Gemüse, sehnen wir uns nach dem authentischen Geschmack einer Tomate und einer Wurst. Wir kaufen Bio, um den Ursprung des Genusses für unsere Geschmacksknospen zu erahnen.

Eine einzige große Salami war in dem Paket dabei, die meine Mutter die «Ungarische» nannte. Bis kurz vor ihrem Tod kaufte meine Mutter in Deutschland das hauchdünn geschnittene Pendant – ungarische Salami.

 

Maribor, meine Geburtsstadt und Heimatstadt meiner Eltern, grenzt an Prekmurje und das an Ungarn. Und zu Zeiten meiner Großmutter Francisca Truppe-Ramelli war es ein Land: das König- und Kaiserreich Avstro-Ogrska (Österreich-Ungarn) eben.

Auf besagter Salami war ein rotbackiges Mädchen in slawischer Tracht mit weißer Haube. Eine Art Jug-Rot-, nein, Weißkäppchen. Jug heißt übrigens Süden.

Hier in Premantura im Supermarkt habe ich sie wiederentdeckt. Die Salami meiner Kindheit: «Garilivac zimska Salama».

Vor lauter Glück habe ich der kroatischen Wurstverkäuferin die Geschichte gleich auf Slowenisch erzählt und ihr bekommt sie gerade auf Deutsch.

Translate »